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Holzen mit Samthandschuhen

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Holzen mit Samthandschuhen
Die Holzwirtschaft wird beschuldigt, den Regenwald zu zerstören. Doch eine nachhaltige Nutzung könnte ihn sogar schützen. Förster in Brasilien praktizieren das schon heute.

Belém im August, Flughafen Internacional de Val de Cans: Schon kurz nach acht Uhr steigt das Thermometer auf knapp 25 Grad. Johan Zweede fächelt sich Luft zu und hält die Tür des Minifliegers auf, solange der auf die Startbahn zutuckert. Dann Schließen, Anschnallen, Abheben. Die Maschine zieht eine Runde über der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Pará: 1,5 Millionen Einwohner, privilegierte Hafenlage, die Straßen schnurgerade im Karree. Schon nach wenigen Minuten liegt unten nur noch dunkelgrüne Wildnis, dann und wann durchzogen von einem sich schlängelnden Fluss. Eine riesige amphibische Landschaft, braun und trüb der Tocantins, einer der Riesenströme im Amazonasbecken, klar, schwarz oder bläulich funkelnd viele Nebenflüsse. Es geht nach Süden.

Natur ohne Ende: Rund sieben Millionen Quadratkilometer groß ist das Tiefland Amazonien, Brasilien hat mit fünf Millionen Quadratkilometern den Löwenanteil. Amazonien birgt ein Fünftel der Süßwasservorräte der Erde. Hier wächst das weltgrößte zusammenhängende Stück tropischen Regenwalds. An die 20 Prozent aller bekannten Tier- und Pflanzenarten leben hier. Mit rund 120 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in seinen Wäldern hat Amazonien eine globale Bedeutung für das Klima. Doch der Speicher leert sich: Seit Anfang der Siebzigerjahre frisst sich in Brasilien von Süden her eine Abholzungsfront in den Urwald. Rund 720 000 Quadratkilometer, 18 Prozent von einst 4,7 Millionen in Brasilien, waren Ende 2006 zerstört – um Platz zu schaffen für Rinderweiden und Sojaplantagen von Großgrundbesitzern oder für die Minifelder von Kleinbauern, die mit Reis, Maniok oder Bohnen ums Überleben kämpfen. Allein 2006 gingen 14 000 Quadratkilometer Urwald in Brasilien in Rauch auf.

Der Staat ist ein zahnloser Tiger

Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Die Abholzungsraten sanken 2006 bereits im zweiten Jahr. Ein Etappenerfolg, über dessen Ursachen gestritten wird: Während die brasilianische Regierung auf strengere Gesetze und mehr Kontrollen verweist, sehen manche Wissenschaftler eher die Weltmarktpreise für Rindfleisch und Soja am Werk, die einige Jahre rückläufig waren. Momentan ziehen sie wieder an, was den Run auf neue Flächen antreibt. Mitte 2007 legten prompt die Abholzungsraten mancherorts zu. „Bislang hat der Staat kaum Kontrolle über die Abholzung“, meint Paulo Barreto von IMAZON in Belém, einem Think-Tank der brasilianischen Umweltbewegung.

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Auch was von oben intakt aussieht, ist oft beschädigt. „Der Wald hier unten ist wirtschaftlich völlig uninteressant. Da ist an Edelhölzern alles rausgeholt, was geht“, schreit Johan Zweede gegen den Motorlärm an. Man muss suchen, um Gebiete zu finden, in denen nachhaltige Holzwirtschaft noch möglich ist, also eine Wirtschaftsweise, die mithelfen kann, den Wald zu erhalten. Zweede ist Leiter des Instituto Floresta Tropical (IFT). Dessen Mission: Zeigen, wie sich aus tropischen Regenwäldern Holz holen lässt, ohne sie zu zerstören. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, um hier die Köpfe zu verändern, sonst geht Amazonien den Bach runter“ , sagt der hünenhafte Holländer.

Bäume fällen mit System

Nach gut einer Stunde kommt der Flieger ruckelnd auf einer Erdpiste zum Stillstand: Fazenda Cauaxi, rund 200 Kilometer südlich von Belém, 18 000 Hektar Regenwald im Besitz der brasilianischen Holzfirma Cikel Brasil Verde. Seit 1996 unterhält das IFT hier ein Barackenlager. Zwei Forstingenieure und zwei Dutzend Waldarbeiter geben Kurse in nachhaltigem Waldmanagement. Die Wege um das Camp sind gepflegt, und unter dem schattigen Blätterdach bleibt es den ganzen Tag angenehm kühl. Doch bald schon ist die Ruhe vorbei. Die IFT-Truppe bittet zur Besichtigung: Bäume fällen als Regenwaldschutz. Eine Motorsäge dröhnt, und mit ohrenbetäubendem Krach donnert ein 200 Jahre alter Maçaranduba-Baum zu Boden. „In Ordnung“, kommentiert zufrieden Marlei Monteiro Nogueira, „er hat die nächste Krone nicht erwischt.“ Der Techniker hat mit Kompass und Karte die Sägeaktion überwacht. Jeder Baum soll so fallen, dass der Schaden für Nachbarbäume minimal ist. Einige Tage später wird sich eine massiv gepanzerte Rückemaschine krachend ihren Weg durch das Unterholz bahnen, den Stamm mit einer Winde anheben und auf einen Sammelplatz im Wald schleppen. 15 Kubikmeter hartes rotes Holz von Baum E5–943 könnten Parkett oder mächtige Konstruktionsbalken in einem Haus werden. Dass dies Schaden im Wald anrichtet, ist keine Frage. Ihn durch minutiöse Planung so klein wie möglich zu halten, ist Markenzeichen des IFT-Konzepts. Über ein Jahr bevor die Motorsägen kreischen, werden mit Satellitendaten Karten vom Gebiet gezeichnet, um Schutzzonen und Beobachtungsareale auszuklammern. Das Erntegebiet unterteilen die Forstingenieure in Arbeitseinheiten von je 100 Hektar (einem Quadratkilometer) Größe, anschließend ziehen schwere Maschinen Forstwege vor.

35 Jahre Ruhe für den Wald

Jetzt folgt eine Inventur: Mindestens 300 Baumarten wachsen hier je Hektar auf der „Terra Firme“ – in Gebieten, die frei von jahreszeitlichen Überschwemmungen durch die Flüsse sind. „Wir erfassen 95 Baumarten, die wirtschaftlich interessant sind, und Bäume mit einen Durchmesser von mindestens 35 Zentimeter“, berichtet IFT-Gruppenleiter Iran Paz Pires. Die genaue Position eines jeden Baums wird auf Detailkarten verzeichnet. Gefällt werden nur so viele Bäume, dass genügend bleiben, die nachwachsen. Danach greift das Rotationsprinzip: Ist eine Parzelle abgeerntet, bleibt sie auf 35 Jahre tabu. Der Regenwald erobert seinen Platz zurück. Binnen zwei Jahren sind Rückegassen und Sammelplätze zugewachsen. Nur die Hauptwege werden auf Dauer freigehalten.

Die Mühe lohnt sich: Das nachhaltige Wirtschaften verspricht 20 bis 35 Prozent mehr Gewinn als eine konventionelle, planlose Ausbeute. Bei der ist dem Trupp, der die Stämme aus dem Wald herausholt, unklar, wo ein gefällter Baum genau liegt. Der Traktor fährt auf der Suche danach kreuz und quer im Gelände herum. Dabei richtet er nicht nur größere Umweltschäden an, er braucht auch länger und verschleißt schneller – ganz zu schweigen von den Schäden an den gefällten Holzstämmen, die der Traktor meist ungeschützt über den Boden schleift.

Cikel bewirtschaftet heute 500 000 Hektar Primärwald in Amazonien nach der IFT-Methode. Für einen großen Teil der Erntefläche wurde ihr das FSC-Siegel (Forest Stewardship Council) für nachhaltige Holzgewinnung zuerkannt, genau wie einem Dutzend weiterer Firmen und Gemeinschaften. Holz aus insgesamt 2,8 Millionen Hektar Regenwaldfläche in Brasilien trägt zurzeit das Zertifikat. Die Kayapó-Indianer stellen mit 1,5 Millionen Hektar ihres Schutzgebiets Terra Indígena do Baú den größten Batzen.

Das FSC-Siegel ist allerdings umstritten. Die norwegische Regierung etwa erkennt es seit Kurzem nicht mehr als Garant für Nachhaltigkeit an. Sie hat den Einsatz von Tropenholz in öffentlichen Bauten ganz verboten. Denn selbst bei schonendster Bewirtschaftung bleiben etliche Umweltfragen offen: Erst in den kommenden Jahrzehnten werden handfeste Daten über den Zuwachs an Holz in den Wäldern klären helfen, wann ein Gebiet reif für den nächsten Einschlag ist. Lichtungen und herumliegendes Totholz erhöhen nach der Ernte die Feuergefahr im Wald. Und einige Studien deuten an, dass bis zu 24 Prozent der Vögel, Reptilien und Säuger in den Gebieten zumindest vorerst verschwunden sind. Dennoch: Wer in Amazonien Wald erhalten will, muss dafür einen wirtschaftlichen Anreiz schaffen. „Gebiete, die heute von Holzfirmen wirklich nachhaltig genutzt werden, sind mancherorts die einzigen, auf denen überhaupt noch Wald steht“, argumentiert beispielsweise Wandreia Baitz, Umweltmanagerin bei Cikel. Doch damit – und hier ist der eigentliche Haken – spricht sie nur für eine Minderheit der Branche: Rund 25 Millionen Kubikmeter Holz holen Holzfirmen pro Jahr aus Amazonien heraus, 60 bis 80 Prozent davon illegal. Die Holzwirtschaft in den Tropen hat deshalb bis heute einen schlechten Ruf.

Gesetze Sind das Eine …

Dabei schützen Brasiliens Gesetze den Wald längst vorbildlich. Zumindst auf dem Papier: So dürfen Privatbesitzer in Amazonien seit 1996 nur noch 20 Prozent ihres Lands roden und das Holz verwerten – wenn sie eine Genehmigung der Umweltbehörden haben. Für die verbleibenden 80 Prozent, die sogenannte Reserva Legal, sind die Spielregeln nicht weit von dem entfernt, was Institute wie das IFT unterrichten: Klare Strukturierung des Gebiets, Bewirtschaften in Zyklen. Wer alle zehn Jahre ernten will, kann maximal 10 Kubikmeter Holz je Hektar entnehmen, wer erst nach 30 Jahren wiederkommt, das Dreifache. Mindestens drei Bäume jeder Art mit einem Durchmesser von 45 Zentimetern müssen pro Quadratkilometer stehen bleiben.

… Illegale Rodung ist das ANdere

Doch die Auflagen greifen nicht: Bei weniger als zehn Prozent aller Rodungen sehen die Behörden überhaupt einen Antrag. Ähnliche Größenordnungen gelten bei der „Nachhaltigen Nutzung“ der Reserva Legal. „Beliebt ist ein Schema, bei dem ein Plan für ein Gebiet angemeldet, aber dort gar nicht umgesetzt wird. Stattdessen werden die Quoten zum Verkauf von illegal eingeschlagenem Holz verwendet“, berichtet Adalberto Veríssimo von IMAZON. Offiziell als Selektiver Holzeinschlag deklariert, führt diese Holzwirtschaft oft zur völligen Zerstörung des Waldes: Binnen vier Jahren war zwischen 1999 und 2004 ein Drittel der Flächen, auf denen zunächst nur einige Stämme entnommen wurden, komplett gerodet, wie Studien einer Gruppe um den US-Forscher Greg Asner zeigen. Besonders groß war die Gefahr in einem Umkreis von 25 Kilometern um Straßen – Straßen, die oft erst von Holzfällern illegal angelegt wurden. Tausende von Kilometer lang durchziehen sie Amazonien.

Einige Umweltexperten in Brasilien äußern dennoch vorsichtigen Optimismus: „Der Staat zeigt in Amazonien endlich mehr Präsenz. Er wird zumindest seinen eigenen Waldbesitz besser schützen“, hofft Adalberto Veríssimo von IMAZON. Auf der Positivliste stehen zwei Punkte ganz oben:

· Brasilien hat in den letzten Jahren den Anteil an Schutzgebieten in Amazonien auf 42 Prozent der Fläche erhöht (siehe Kasten „Gut zu wissen“). Zumindest im statistischen Durchschnitt sind die illegalen Abholzraten dort deutlich geringer als außerhalb.

· Seit März 2006 hat das Land erstmals ein Gesetz, das die Nutzung der Staatswälder regelt. Ein neuer Forstdienst, Serviço Florestal Brasileiro (SFB), wird sie verwalten.

„Wir sind erst vor Kurzem eingezogen“, entschuldigt sich dessen frisch gebackener Chef, Tasso Azevedo. In den SFB-Büros weit hinten auf dem Gelände der Umweltbehörde IBAMA in Brasília war manche Kiste Mitte 2007 noch nicht ausgepackt. Der Regenwald ist weit weg, Brasiliens Hauptstadt liegt im Savannengürtel. Im August ist es hier staubtrocken. Damit steigt die Brandgefahr, Rauchwolken stehen fast täglich irgendwo über dem Horizont. Menetekel für das, was manche Experten Amazonien bei fortschreitender Klimaerwärmung voraussagen: Die Savanizaçao, die Versteppung, so raunen manche bereits, mache Pläne zur Rettung des Regenwalds womöglich überflüssig.

Retten, was zu retten ist

Solchem Fatalismus gibt sich Azevedo allerdings nicht hin. Selbstbewusst legt er los: „Amazonien steckt mitten in einem Kolonisierungsprozess, wie ihn bislang alle Länder, auch Europa und die USA, unter Verlust weiter Teile ihrer Urwälder durchgemacht haben.“ In Brasilien soll das besser laufen: „Wie viel Wald wir retten können, ist offen. Aber wir wollen das Maximum dessen retten, was machbar ist.“ Ein strategischer Hebel: Die Regierung will dafür sorgen, dass in Amazonien ein Markt für nachhaltige Holzwirtschaft entsteht.

Eine der ersten Aufgaben des SFB ist es, den staatlichen Waldbesitz zu erfassen. Stattliche 194 Millionen Hektar Wald im Besitz des Bundesstaates waren Mitte 2007 registriert. Hinzu kommt der Besitz der Einzelstaaten. Den von Pará taxiert die Chefin der dortigen Forstbehörde IDEFLOR, Raimunda Monteiro, auf 12 Millionen Hektar. „Wir haben da draußen enorme Konflikte, doch wir werden eine neue Politik der Nutzung entwickeln“, erklärt sie. Insgesamt dürften an die 300 Millionen Hektar in Brasilien Staatswald sein. Nutzen sollen ihn vorrangig Anwohner. Vor allem in Nationalwäldern (Flonas) sollen außerdem in den nächsten zehn Jahren auf bis zu 13 Millionen Hektar Konzessionen an Firmen vergeben werden – für eine strikt nachhaltige Nutzung. Ein System zur satellitengestützten Überwachung ist im Aufbau. Klar ist: Ohne mehr Kontrolle vor Ort greifen die Pläne nicht. Kontrolle aber kostet Geld. Und während die brasilianische Bundesregierung mit dem Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) bis 2010 an die 235 Milliarden US-Dollar in die Infrastruktur Amazoniens investieren will, sind die Finanzen beim SFB knapp.

Immerhin fast 410 Millionen US-Dollar hat das Pilotprogramm zum Schutz der Regenwälder PP-G7 seit 1994 in Brasilien investiert. Es läuft Ende 2007 aus, Verhandlungen für ein Nachfolgeprogramm gibt es bereits. „Es wird weiterhin Geld fließen“, ist Wolfram Männling, Berater der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ, in Manaus, überzeugt. Mehr Waldschutz wird auf jeden Fall ein Rennen gegen die Zeit. Deutlich zeigt sich das im Einzugsbereich der Bundesstraße BR-163, südlich der Amazonasstadt Santarém, wo der SFB vor zwei Jahren Brasiliens ersten Nachhaltigen Forstdistrikt kreiert hat. In einem Gebiet von der Größe halb Deutschlands soll Waldwirtschaft absoluten Vorrang haben. Noch ist die Region zu vier Fünfteln von Wald bedeckt, und noch sorgt der eher gemächliche Lebensrhythmus in der Region für den Wald. Erst 100 Kilometer der einzigen Fernstraße, der BR-163 im Süden der Stadt, sind asphaltiert, der Rest verliert sich als schwer passierbare Erdpiste im Dschungel. Der Fluss ist Hauptverkehrsader. An der Hafenfront von Santarém dümpeln Hunderte der weißen hölzernen Amazonasschiffe, werden mit Bierkästen, Wasserkanistern, Fahrrädern, Mehlsäcken, Hühnern und quiekenden Schweinen beladen – während Passagiere schaukelnd in der Hängematte auf die Abfahrt warten.

Sojafelder fressen den Wald

Doch schon kommen leere Riesentanker den Amazonas herauf, um Soja zu laden. Eine Verladestation des US-Multis Cargill – 2006 von Greenpeace wegen fehlender Umweltprüfung blockiert, dann für einige Monate richterlich geschlossen – ist längst wieder aktiv. In wenigen Jahren soll es hier mit Soja richtig brummen. Die Regierung will die insgesamt rund 1700 Kilometer bis Cuiabá, die Hauptstadt des landwirtschaftlich geprägten Bundesstaats Mato Grosso, komplett asphaltieren – ein neuer Exportkorridor für die Sojabarone. Über Santarém werden sie ihre Ernten viel schneller nach Übersee bringen können.

Der rasante Zustrom an Siedlern und Spekulanten wird den Druck auf den Wald enorm erhöhen. Schon machen sich direkt um Santarém Sojafelder und mächtige Silos breit. Mehr und mehr Menschen strömen in den „Nachhaltigen Forstdistrikt“. Hier oben ist ein Schwerpunkt des INCRA, der Behörde für Kolonisation und Landreform, die bis heute über 230 000 landlose Familien in Amazonien angesiedelt hat. Jede Familie bekommt etwa einen Quadratkilometer Urwald, aber kaum Hilfe beim Start in der Wildnis. Die Abholzungsraten in den Siedlungen liegen daher schon nach wenigen Jahren bei über 50 Prozent. Wie Fischgräten wirken auf Satellitenbildern die Stichstraßen, die links und rechts von den Hauptstraßen die Siedlungen erschließen. „Oft sind Holzfirmen zugange, die den Leuten den Nutzungsplan schreiben“, berichtet Karsten Holzkamp vom Deutschen Entwicklungshilfedienst (DED) in Santarém. Der sieht zwar korrekt einen Erntezyklus von 35 Jahren vor. Doch die Firmen holen meist ruckzuck in ein, zwei Jahren die Gesamtquote aus der Fläche heraus und zahlen den Siedlern deren Anteil aus.

Das Geld ist bald ausgegeben, die Siedler roden komplett, verkaufen das Land und ziehen weiter. Holzkamp nennt ein bekanntes Rezept dagegen, das Rotationssystem: Die Gesamtfläche in den Siedlungen wird dabei in 35 Teilstücke dividiert, von denen jedes Jahr nur eins bewirtschaftet wird. „So bekommt jede Familie zwar weniger Fläche, aber jedes Jahr gleich viel Geld. Es entsteht ein Anreiz, den Wald zu erhalten.“

Familienleben im Regenwald

Lernen, dass man bleibt. Lernen, dass man mit dem Wald lebt. Das ist die einzige Chance für Mensch und Umwelt. Zeigen soll das auch die Flona Tapajos, ein Staatswald von 544 000 Hektar im Süden von Santarém, seit 1974 geschützt. Eine Gruppe von 35 Familien hat dort im Projekt Ambé eine Anschubfinanzierung aus dem Pilotprogramm erhalten, darf seit 2006 insgesamt 30 000 Hektar Regenwald nachhaltig bewirtschaften.

Die Stimmung unter den 20 Männern bei der Generalbesprechung im Camp ist entspannt. Doch schon nach kurzer Diskussion steht fest: Bei der Logistik klemmt es. Die schweren Maschinen und Sägen sind alle da, aber wichtige GPS-Geräte fehlen. Die Solaranlage läuft immer noch nicht, was teuren Diesel für den Generator kostet. 2006 wurden Bäume aus gerade mal einem Quadratkilometer geholt – das Zehnfache ist geplant. „Wir müssen effizienter werden“, sagt der betagte Pedro Araujo aus der Gruppe.

Doch der Gedanke der Langfristigkeit hat ihn gepackt: „Erst in 35 Jahren dürfen wir wieder in die abgeernteten Gebiete zurück. Das erlebe ich nicht mehr“, sagt er und lacht. Das Projekt ist ein Tropfen auf den heißen Stein: Insgesamt leben 6000 Kleinbauern in der Flona Tapajos. Jedes Jahr roden sie ein Stückchen mehr vom „Nationalwald“, um etwas dort anzubauen. Eigentlich verboten, aber legalisiert: Zähneknirschend stimmt die Umweltbehörde IBAMA in Santarém den Anträgen zu, denn andere Einnahmequellen haben die Menschen nicht.

Die notorisch unterfinanzierte Behörde hat die Lage nicht im Griff, selbst in der Vorzeige-Flona Tapajos gibt es noch illegalen Holzeinschlag. Weiter südlich aber liegen sieben weitere Flonas mit einer Gesamtgröße von 4,2 Millionen Hektar. Mauricio Mazzotti Santamaria, Leiter der Equipe, die alle Flonas von Santarém aus überwachen soll, ist mit der Lagebeschreibung rasch fertig: „Ich habe 13 Leute und keinen Wagen. Nur manchmal können wir ein Gefährt mit Sprit mieten. Dabei sind illegale Landnahme und Holzeinschlag an der Tagesordnung.“ Konzessionen, so viel steht fest, kann der SFB hier nur vergeben, wenn er auch Leute und Material schickt, um das Gebiet zu kontrollieren. Zweede glaubt an Lerneffekte: „Alle – INCRA, die Politiker wie die einfachen Siedler – brauchen vor allem Training und noch mal Training, wie man mit dem Wald wirtschaften kann. Es ist vor allem Unkenntnis, nicht fehlender Wille, was Amazonien zerstört.“ Und er schickt eine grimmige Drohung an die Holzfirmen hinterher: „Die Ressourcen Amazoniens gehen zu Ende. Wer hier Raubbau betreibt, ist bald weg vom Fenster.“ Von einst 3000 Holzfirmen in Amazonien werden bald nur noch 600 da sein, schätzt er: „Und das werden die sein, die nachhaltig arbeiten.“ ■

Bernhard Epping war bei seinen Recherchen nicht zum ersten Mal in Brasilien. Der promovierte Biologe und freie Journalist hat ein Jahr lang dort gelebt.

Bernhard Epping

COMMUNITY INternet

Tagungsdokumentation „Deutschland und die Wälder Amazoniens:

www.waldbau.uni-freiburg.de/forlive/06_Products/SciPub/Deutsch_Amaz.html

Das Tropenwaldprogramm der GTZ:

www.gtz.de/de/weltweit/lateinamerika-karibik/brasilien/15236.htm

Die brasilianische Umwelt-Organisation IMAZON stellt sich vor:

www.imazon.org.br/home/index.asp?lg=en

Nachrichtenportal zu Amazonien:

www.amazonia.org.br/english/site_info/sobreosite.cfm

Greenpeace-Report über Soja und Waldzerstörung:

www.greenpeace.org/international/press/reports/eating-up-the-amazon

Der WWF zu Amazonien:

www.panda.org/about_wwf/where_we_work/latin_america_and_caribbean/region/amazon/index.cfm

Die FAO zur Lage der Wälder weltweit, Kapitel zu Südamerika und Karibik:

www.fao.org/docrep/009/a0773e/a0773e00.htm

Ohne Titel

· Nachhaltige Holzwirtschaft beruht auf einfachen Prinzipien.

· Gefällt werden nur so viele Bäume, dass genügend bleiben, die nachwachsen.

· Eine abgeerntete Parzelle bleibt auf 35 Jahre tabu.

· Moderne Erntemaschinen schonen den Wald, Satellitenbilder und Karten helfen bei der Forstinventur.

Ohne Titel

Per Satellit erfasst das brasilianische Raumfahrtzentrum Instituto de Pesquisas Espaciais (INPE) seit dem Ende der Achzigerjahre die Abholzung in Amazonien. Mit rund 14 000 Quadratkilometern war die Jahresrate 2006 die viertniedrigste seit Beginn der Aufzeichnungen. Die große Zahl der gefällten Bäume 1995 hatte mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun: Im Jahr zuvor war die Inflation gestoppt worden.

Ohne Titel

42 Prozent der Fläche Amazoniens waren bis Mitte 2007 als Schutzgebiet ausgewiesen, mit einem steilen Anstieg von 8,5 Prozent in 1990. Dabei unterscheidet man mehrere Typen:

· Völliger Schutz gilt derzeit auf etwa 420 000 Quadratkilometern – etwa in Nationalparks oder Biologischen Reservaten.

Eine nachhaltige Nutzung, auch Holzeinschlag, ist hingegen möglich auf

· rund 1,09 Millionen Quadratkilometern Indianergebiet und auf

· rund 300 000 Quadratkilometern in Nationalforsten. Gehören sie dem Bund, heißen sie Florestas Nacionais (FLONAS), sind sie im Besitz der einzelnen Bundesstaaten Florestas Estaduais (FLOTAS).

· Außerdem gibt es weitere rund 450 000 Quadratkilometer Schutzgebiete, die Anwohnern zur Nutzung überlassen werden – etwa als Extraktionsreserve (Reserva Extrativista), als Umweltschutzgebiet (Área da Proteção Ambiental) oder als Ansiedlungsprojekt für Landlose (Projeto de Desenvolvimento Sustentavel). Schutzgebiete sind ein Eckpfeiler im Kampf gegen die Zerstörung des Regenwalds. Im Programm ARPA (Áreas Protegidas da Amazônia) arbeitet die Brasilianische Bundesregierung seit 2002 mit Umweltorganisationen und Geldgebern internationaler Entwicklungshilfe – einschließlich der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – daran, Schutzgebiete auf 500 000 Quadratkilometern neu einzurichten oder bestehende Gebiete zu sichern. Es gilt weltweit als das größte Programm seiner Art.

Ohne Titel

Noch sieht das Amazonasbecken grün aus (Karte links): Die Farbe steht für intakten Wald. Doch von Süden her frisst sich eine Abholzungsfront (hellgrau) in die Wildnis. Straßenverbindungen wie die von Cuiabá nach Santarém verlaufende BR-163, auf der künftig noch mehr Soja transportiert werden soll, tragen zur Zerstörung bei. Die rechte Karte zeigt die offiziellen Schutzgebiete, wobei der Schutzgrad variiert (siehe auch Kasten „ Gut zu wissen: Schutzgebiete in Amazonien“).

Ohne Titel

Herr Azevedo, wie viel Geld steht dem brasilianischen Forstdienst für den Schutz der staatlichen Wälder in Amazonien zur Verfügung?

Wir hatten bislang im Jahr an die 200 Millionen Reais.

Also rund 80 Millionen Euro. Wie viel wäre nötig?

Wir gehen von rund zwei Milliarden Reais aus, also dem Zehnfachen. Der brasilianische Staat muss an die 300 Millionen Hektar Waldbesitz erstmals exakt kartieren und überwachen, und wir wollen auch weiterhin neue Schutzgebiete einrichten.

Sie werden in den kommenden Jahren Konzessionen für die Holznutzung an Firmen geben. Das bringt sicher Einnahmen.

Im besten Fall bekommen wir darüber 20 bis 30 Millionen Reais im Jahr – ein Bruchteil des Geldes, das wir brauchen. Wir werden in den nächsten 10 Jahren Konzessionen auf maximal 10 bis 13 Millionen Hektar vergeben. Mit den Einnahmen aus wenigen Prozent der Fläche lässt sich aber logischerweise nicht der Unterhalt von 100 Prozent finanzieren. Im Übrigen kann kein Land der Welt den Schutz seiner öffentlichen Naturwälder aus den Einnah- men des Holzgeschäfts leisten.

Welche Geldquellen könnten Sie noch anzapfen?

Regenwaldschutz ist Klimaschutz. Indem wir die Abholzungsraten im vergangenen Jahr verringert haben, konnten wir gegenüber dem Durch-schnitt der letzten 10 Jahre Emissionen von 160 Millionen Tonnen CO2 einspa-ren. Das möchten wir in CO2-Emissionszertifikate umsetzen. Die könnten uns bis zu einer Milliarde Reais im Jahr einbringen.

Ohne Titel

Als Experte für Waldwirtschaft in den Tropen ist Johan Zweede international renommiert. Der 1940 auf Java geborene Holländer lebte als Kind drei Jahre in einem japanischen Konzentrationslager und kam mit seiner Mutter über Holland 1950 in die USA, wo er zwei Hochschulabschlüsse machte: in Biologie und in Forest Engineering. 1965 ging Zweede als Angestellter einer Holzfirma nach Brasilien, später arbeitete er dort als Consultant unter anderem für die Weltbank. 1994 half ihm die US-amerikanische Tropical Forest Foundation beim Aufbau der ersten Schule für Nachhaltige Waldwirtschaft in Brasilien – heute Instituto Floresta Tropical. Das IFT wurde zum Vorbild für ähnliche Einrichtungen in Brasilien, Indonesien, Guyana und dem Kongo. Zweede ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter, zwei arbeiten im Forstsektor. „Irgendwie ansteckend“, sagt er lachend.

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