Bereits Friedrich Nietzsche definierte den Menschen als das Tier, das sich erinnern kann. Doch die Psychologen haben dieses wundersame Rückschauvermögen lange Jahre nur an der Oberfläche angekratzt: Wie viele Informationseinheiten passen auf einmal ins Kurzzeitgedächtnis, wie lange hält eine Serie von bedeutungslosen Silben der „Vergessenskurve“ stand?
Die Fragen, die die Menschen normalerweise interessieren, blieben weitgehend ausgespart: Warum treibt uns der Gedanke an alte Demütigungen noch nach Jahrzehnten die Schamesröte ins Gesicht? Sind die Dinge, an die wir uns nicht erinnern können, tatsächlich vollständig ausgelöscht? Wie entsteht ein Déjà-vu-Erlebnis, und spult sich tatsächlich – wie manche behaupten – in Todesnähe unser ganzes Leben wie ein Film vor dem inneren Auge ab?
Bewaffnet mit einer enzyklopädischen Kenntnis des Forschungsstandes und einer glasklaren, manchmal ins Poetische aufsteigenden Sprache hat der niederländische Arzt und Psychologe Douwe Draaisma diese „vergessenen“ Themen angepackt. Er schafft Highlights aus allen Winkeln der akademischen Welt herbei, und Erkenntnislücken schließt er mit den Eingebungen großer Dichter und Denker. Die im Titel gestellte Frage wird allerdings nirgends befriedigend geklärt, und die Passagen übers Vergessen fangen Bedeutung und Dramatik des Gedächtnisschwundes mit dem Alter nicht richtig ein.
In Holland wurde das Buch 60 000 Mal verkauft – meist als Geburtstagsgeschenk für ältere Semester. Rolf Degen
Douwe Draaisma WARUM DAS LEBEN SCHNELLER VERGEHT, WENN MAN ÄLTER WIRD Eichborn, Berlin 2005 335 S., € 19,90 ISBN 3-8218-0722-9