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Potz Blitz, die Potsdamer!

Erde|Umwelt

Potz Blitz, die Potsdamer!
Es ist eiskalt, zischt, blubbert – und brennt: Methanhydrat. Jetzt haben deutsche Forscher das vor Energie strotzende Eis zum ersten Mal in seinem natürlichen Zustand untersucht.

Die gelbe Flamme, die am 8. März 2002 über den öden Weiten der kanadischen Tundra aufleuchtete, unterschied sich durch nichts von einer Gasfackel, wie sie zu vielen Bohrinseln gehört. Aber sie markierte eine Weltpremiere: Auf Richard’s Island im Delta des Mackenzie River strömte zum ersten Mal Methangas durch ein Bohrloch, das zuvor als festes Methanhydrat im Untergrund geruht hatte. „Es war der erste moderne Produktionstest für natürliche Gashydrate“, schrieb das World Oil Magazine im vergangenen Jahr.

Die Bohrung mit dem offiziellen Namen „Mallik 5L-38″ hat mittlerweile eine reiche wissenschaftliche Ernte eingefahren. Wissenschaftler konnten die physikalischen Eigenschaften des extrem flüchtigen Methanhydrats endlich auch in unverfälschtem Zustand erforschen. Die dabei gewonnenen Daten helfen, Methanhydrat-Lagerstätten als Ganzes besser zu verstehen, „von der mikroskopischen Skala bis zu einer Größenordnung von Kilometern“, sagt Michael Weber vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), der das internationale Großprojekt zusammen mit drei Kollegen aus Kanada, Japan und den USA leitete.

Wenn Forscher bisher massives Methanhydrat in den Händen hielten, stammte es meist vom Meeresboden. An der Oberfläche angekommen, lösen sich die weißen, von Sand und Schlamm durchsetzten Brocken unter Zischen und Blubbern in Windeseile auf. Denn stabil ist Methanhydrat, eine so genannte Käfigverbindung aus Wasser und Methan, nur bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck. Die große Frage war, ob sich das Gas „in situ“, also direkt in der Lagerstätte, aus seinem Eiskäfig befreien und anschließend an die Erdoberfläche befördern lässt. Nach der Bohrung von Mallik 5L-38 war klar, dass dies technisch machbar ist.

Nie zuvor wurde eine Lagerstätte des begehrten Stoffs so gründlich von allen Seiten untersucht. Jeweils 45 Meter neben der 1200 Meter tiefen Produktionsbohrung wurden noch zwei weitere, ebenso tiefe Löcher zur Beobachtung gebohrt. Unter einer 600 Meter dicken Permafrostschicht stießen die Forscher in 900 und 1100 Meter Tiefe auf gashydrathaltige Schichten. Erik Spangenberg und Johannes Kulenkampff vom GFZ untersuchten die Materialeigenschaften der Gashydrat-Proben wenige Tage nach der Entnahme aus dem Boden in einem Feldlabor in der 150 Kilometer entfernten Stadt Inuvik. Sie ermittelten, wie sich natürliche Methanhydrat-Sedimente verhalten:

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• Wie gut leiten sie elektrischen Strom?

• Wie schnell breiten sich seismische Wellen darin aus?

• Wie stark dämpfen sie diese Wellen?

• Wie durchlässig sind die Proben für hindurch strömendes Gas?

Und die Chemikerin Judith Schicks vom GFZ untersuchte, wie viel Energie nötig ist, um Methanhydrat aufzulösen.

All diese physikalischen Eigenschaften muss man kennen, um herausfinden zu können, wie viel Methanhydrat weltweit vorhanden ist. Darüber wird nach wie vor heftig diskutiert (bild der wissenschaft 11/2000, „Methan-Eis – nicht mehr als ein Strohfeuer?“). Alle Mengenabschätzungen beruhen auf seismischen Messungen, das heißt auf der Reflexion künstlicher Schallwellen an Schichtgrenzen im Erdboden. Diese Messungen liefern aber nur grobe Anhaltspunkte, an welchen Stellen vom Meeresboden oder im Permafrost Gashydrat vorhanden ist, von der Konzentration ganz zu schweigen.

Schätzungen über die Methanmengen in den weltweiten Methanhydrat-Lagerstätten schwanken daher extrem: zwischen 3 und 8000 Billiarden Kubikmetern. Bislang waren die Eigenschaften des Methanhydrats nur aus Laborversuchen bekannt.

„Natürliches Methanhydrat verhält sich aber ganz anders“, sagt Michael Weber. So zeigte sich in Kanada, dass die Gashydrat-Schichten wesentlich durchlässiger sind als vorher gedacht. Das könnte das Arbeiten schwieriger machen und die Ausbeute verringern, da das Methan nicht nur über das Bohrloch nach oben strömen, sondern sich auch im Erdreich verteilen kann.

Zudem herrschte bislang die Vorstellung, dass Gashydrat den Meeresboden an den steilen Kontinentalhängen stabilisiert. Viele Forscher befürchten, dass sich durch die globale Erwärmung größere Methanhydrat-Reservoirs im Meeresboden auflösen könnten. Das würde zum einen die Erwärmung verstärken, zum anderen könnten die Kontinentalhänge ins Rutschen geraten – mit katastrophalen Tsunamis als Folge. „Das Gashydrat wirkt aber nur bei sehr hohen Konzentrationen wirklich wie ein Zement, der das lockere Sediment verfestigt“, ist Erik Spangenberg überzeugt. In der Tiefsee gibt es zwar Regionen mit genügend Hydrat, aber wie viele es sind und wie groß ihr Einfluss auf die Stabilität der Kontinentalhänge ist, müssen die Forscher erst noch herausfinden.

Einige Messmethoden wurden in Nordkanada zum ersten Mal in der Hydratforschung angewendet: Der Potsdamer Geophysiker Klaus Bauer durchschallte die Gashydrat-Schichten nicht nur von einem einzigen Bohrloch aus mit seismischen Wellen, sondern gleich von zweien, den beiden äußeren Bohrlöchern. Das Resultat: ein zweidimensionales Bild der Hydrat-Verteilung – eine Art „ Schallfoto“ – in bislang unerreichter Qualität. Auf der Aufnahme sind drei 20 bis 30 Meter dicke, leicht wellenförmig verlaufende Hydratschichten zu erkennen. Weitere Messungen ergaben, wo sich besonders gesättigte hydrathaltige Schichten befinden.

Eine weitere Neuheit war die Temperaturmessung, für die Jan Henninges vom GFZ verantwortlich war. Bislang fanden Temperaturmessungen gewöhnlich im Bohrloch statt. Allerdings verfälschte die warme Spülflüssigkeit, die zerkleinertes Material aus dem Bohrloch nach oben fördert, die Ergebnisse. Bei Mallik 5L-38 wurde das Loch nach der Bohrung mit einem Rohr ausgekleidet. Henninges brachte außerhalb dieses Rohrs ein faseroptisches Messkabel an, das alle 25 Zentimeter relativ unverfälschte Temperaturen direkt im Erdboden messen konnte. Während alles andere, was an das Bohrprojekt vom Winter 2002 erinnern könnte, mittlerweile wieder abgebaut ist, befindet sich das Kabel immer noch im Bohrloch und registriert, wie sich die natürlichen Verhältnisse nach dem Ende der Bohrung allmählich wieder einstellen.

Das Mallik-Programm war zwar ein Grundlagen-Forschungsprojekt im Rahmen des International Continental Drilling Program (ICDP). Aber auch die Industrie hatte ein Auge auf das Projekt. Die Ölkonzerne Chevron, BP, Burlington und Imperial Oil waren daran beteiligt, und die Japan National Oil Corporation engagierte sich stark. „Alle großen Erdölfirmen haben Methanhydrat im Sinn“, sagt Jörg Erzinger vom GFZ. Besonders in Japan wird emsig daran gearbeitet, Methanhydrat zu einer nutzbaren Energiequelle zu machen. Die Japaner befinden sich im fünften Jahr ihres 16-Jahres-Programms, an dessen Ende die kommerzielle Produktion stehen soll. 2004 bohrten die Japaner an 30 Stellen im Nankai-Graben vor der Südküste Japans und gaben insgesamt 65 Millionen Dollar für die Hydratforschung aus. Über Erfolg oder Misserfolg der Bohrungen schweigen sie. Die technischen Herausforderungen sind groß: Die besten Lagerstätten befinden sich in Wassertiefen von 1000 Metern und mehr, es muss in instabilen, lockeren Sedimenten gebohrt werden, und die Meeresströmungen in der Gegend sind stark.

Die indische Regierung finanziert ebenfalls ein nationales Gashydrat-Programm. Dazu wurden bereits seismische Messungen am indischen Kontinentalhang durchgeführt. Erste Bohrungen sollen in diesem Jahr beginnen. Auch die USA engagieren sich. Das Lawrence Berkeley National Laboratory simuliert mithilfe der Mallik-Daten, wie sich Hydratreservoirs unter realistischen Produktionsbedingungen auflösen. Das Energieministerium finanzierte bereits ein Bohrprojekt an der Nordküste Alaskas, ganz in der Nähe der Mallik-Bohrung. „Hot Ice 1″ traf allerdings nicht auf Methanhydrat.

„Dass Hydrat an dieser Stelle fehlt, ist durchaus eine wichtige wissenschaftliche Entdeckung“, versucht Tom Williams, Vizepräsident der mit der Bohrung beauftragten Firma Maurer Technology Inc., den Fehlschlag zu beschönigen. Die Analyse der Daten soll nun zeigen, warum der Boden – trotz anders lautender Prognosen – frei von Hydrat ist. Zusammen mit dem Erdölkonzern BP und dem Geologischen Dienst der USA (USGS) ist das Energieministerium zudem dabei, die Menge und das kommerzielle Potenzial der Lagerstätten unter dem Permafrost von Alaska zu bestimmen – mit dreidimensionalen seimischen Messungen, wie sie bei der Erdölexploration üblich sind. Timothy Collett vom USGS schätzt, dass Methan aus Gashydrat auch in einigen Jahrzehnten noch keine dominante Rolle im Energiemix des Landes spielen wird, aber durchaus einige Prozent zur Versorgung beitragen könnte.

Der weltweit erste Langzeit-Produktionstest ist jedenfalls geplant: Im nächsten Winter wird erneut eine Gasfackel über der kanadischen Tundra leuchten – diesmal nicht nur für ein paar Tage, sondern für ein halbes Jahr. 600 Meter entfernt von Mallik 5L-38 wird ein neues Loch gebohrt werden, das in der Gashydrat-Schicht horizontal an den drei alten Bohrungen vorbeigeführt werden soll. Dort lässt sich dann beobachten, welche Veränderungen der Abbau im Boden verursacht. Deutsche Forscher werden mangels weiterer Förderung diesmal nicht dabei sein. „Unsere Konzepte und die entwickelten Technologien werden natürlich weiter verwendet“, betont Michael Weber vom GFZ. „Das ist auch eine Art von Technologietransfer.“ ■

Ute Kehse

Ohne Titel

• Um die weltweiten Methaneis-Vorräte abschätzen zu können, muss man die physikalischen Eigenschaften kennen.

• Methaneis verhält sich aber im Labor ganz anders als in der Natur.

• Das arktische Bohrprojekt ist deshalb auch für die Industrie hochinteressant.

COMMUNITY Internet

Homepage des Mallik-Projekts:

www.icdp-online.org/sites/mallik/index/index.html

Umfangreiche Informationen auf den Seiten des US-Department of Energy:

www.netl.doe.gov/scngo/ Natural%20Gas/Hydrates/siteindex.htm

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