Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht ist es schon eine Weile her, dass Sie in die Bibel geschaut haben. Womöglich wissen Sie gar nicht mehr, was Jesus im Johannes-Evangelium, Kapitel 15, Absatz 1 verkündet: „Ich bin der wahre Weinstock, und Gott ist meine Gärtnerin.” Wie bitte? Bei Ihnen steht Gärtner? Verzeihung, aber Ihre Fassung ist veraltet, politisch unkorrekt und frauendiskriminierend – werfen Sie Ihre Heilige Schrift weg und kaufen Sie sich die „Bibel in gerechter Sprache”! Diese seit gut einem Jahr erhältliche Version der biblischen Schrift ist – mittlerweile in der dritten Auflage – der vorläufige Höhepunkt feministischer Sprachreformen.
Die ersten „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs” gab es bereits 1980. Mittlerweile gehören verschiedene Leitfäden und die „ Liebe-Mitbürgerinnen-und-Mitbürger”-Chöre der Politiker zum Alltag. 2001 trat das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) in Kraft, das die sprachliche Gleichstellung von Männern und Frauen im amtlichen Schriftverkehr regelt – nach der Art: „Die Universitätspräsidentin/Der Universitätspräsident ist oberste Dienstbehörde und Dienstvorgesetzte/Dienstvorgesetzter für die Beamtinnen und Beamten der Universität.” Ziel der Sprachreformer war es, das Weibliche in der vermeintlich männerzentrierten deutschen Sprache hervorzuheben, damit sich – so das häufigste Argument – auch die Frauen angesprochen fühlen. Doch man beziehungsweise „frau” fragt sich: Ist das Deutsche tatsächlich frauenfeindlich? Luise Pusch ist davon überzeugt. Sie leitet in Hannover den Verein für Frauenbiografie-Forschung und gilt als Deutschlands bekannteste Vertreterin der „feministischen Linguistik”. In unzähligen Glossen und Aufsätzen mit programmatischen Titeln wie „Die Frau ist nicht der Rede wert” oder „Das Deutsche als Männersprache” kommt sie immer wieder zu dem Schluss: „Die deutsche Sprache ist, wie die meisten Sprachen, ein patriarchalisch organisiertes System.”
Warum? „Wegen des generischen Maskulinums”, sagt Pusch. Die Duden-Grammatik liefert für den Ausdruck folgende Erklärung: „ Besonders bei Berufsbezeichnungen und Substantiven, die den Träger eines Geschlechts bezeichnen, verwendet man die maskuline Form auch dann, wenn das natürliche Geschlecht unwichtig ist oder männliche und weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind. Man empfindet hier das Maskulinum als neutralisierend beziehungsweise generisch (verallgemeinernd).” Gemeint sind Berufsbezeichnungen wie etwa „der Professor”: Entweder bezieht sich der Titel auf einen Menschen, der an einer Universität unterrichtet, oder auf einen bestimmten männlichen Professor, der zum Beispiel immer zu spät zur Vorlesung kommt. Ob vom Professor im Allgemeinen (generisches Maskulinum) oder im Besonderen (spezifisches Maskulinum) die Rede ist, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Damit wäre eigentlich alles gesagt. Doch Pusch beklagt nun, dass etwa die weibliche Professorin im männlich aussehenden Überbegriff Professor lediglich „mitgemeint” sei. Das Argument, der Mann sei vielmehr mitgemeint und die Frau das Besondere, da sie in einer eigenen Form („die Professorin”) ausgedrückt wird, hält sie für eine „typisch männliche Ansicht”. Denn die Professorin sei aus dem männlichen Professor abgeleitet – wie „Eva aus Adams Rippe geformt”. Seit den Achtzigerjahren kämpft Pusch gegen diese angeblich männliche Dominanz in der Sprache. Ihr Vorschlag, das „ generische Maskulinum” durch ein „generisches Neutrum” zu ersetzen, also „den Professor” durch „das Professor”, hat sich nicht durchgesetzt. Dafür aber zahlreiche „Richtlinien für den nicht-sexistischen Sprachgebrauch”. Wortungetüme wie „einE neueR MitarbeiterIn” und Neuschöpfungen wie die „Amtsmännin” kursieren im Lande. Gibt man bei Google das fiktive Wort „Mitgliederinnen” ein, zeigt die Suchmaschine über 41 000 Treffer. Das regt viele Nutzer auf.
VANDALISMUS BEIM GROSSEN „I”
Die Betreiber der Internet-Enzyklopädie „Wikipedia” mussten in eine heftige Auseinandersetzung um einen Eintrag einschreiten und teilten auf ihrer Homepage mit: „Der Artikel ‚Binnen-I‘ wurde für nicht angemeldete und neue Benutzer gesperrt, da er regelmäßig und in größerem Umfang von Vandalismus betroffen war.” Pusch können solche Entwicklungen nur recht sein. Sie will das Weibliche „sichtbar” machen. „Denn das generisch Maskuline erzeugt ein männliches Bild im Kopf.” Das sei in Studien wie denen von Sabine Sczesny und Dagmar Stahlberg belegt. Die Sozialpsychologinnen von der Universität Mannheim versuchten die „ Effekte des generischen Maskulinums” zu messen, indem sie etwa 100 Männer und Frauen unter anderem nach ihrem Lieblingsmaler, einem berühmten Politiker und Musiker fragten.
Die Probanden sollten jeweils den Namen notieren, der ihnen zuerst einfiel. Meist war dies ein männlicher – für die Forscherinnen eine Bestätigung, dass „generisch-maskuline” Begriffe wie Maler und Politiker im Kopf das Bild eines Mannes und nicht das einer Frau produzieren. Inwieweit die Ergebnisse von der Zahl „tatsächlich in der Kategorie vorhandener Frauen” beeinflusst wurden, beantwortete die Studie nicht. „So könnte es durchaus sein”, räumen Sczesny und Stahlberg ein, „dass gerade alternative Sprachformen wie das große I zu einer verzerrten Einschätzung führen – Frauen also gedanklich einbezogen werden, obwohl in dem entsprechenden Kontext kaum oder gar keine Frauen vertreten sind.”
Ist „der Professor” also gar nicht frauenfeindlich? Wohl nicht mehr als „die Koryphäe” männerfeindlich ist, könnte man entgegnen. Denn dass sie sich genauso wie „der Professor” oft auf männliche Fachexperten bezieht, kann unmöglich am Artikel liegen – der ist offensichtlich weiblich. Dass Genus und Sexus, das grammatische und das biologische Geschlecht, nichts miteinander zu tun haben, hat bereits der Sprachwissenschaftler Karl Brugmann im 19. Jahrhundert nachgewiesen.
Dennoch werden sie immer wieder gleichgesetzt. Mit Folgen: „ Man bekommt eine stärkere Sensibilisierung für die Unterschiede”, sagt Wolfgang Klein, Leiter des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. Ihm selbst sind keine Studien bekannt, die stichhaltig belegen, dass Frauen durch das generische Maskulinum benachteiligt werden. „Früher wäre es mir nicht im Traum eingefallen, Frauen nicht einzubeziehen”, sagt Klein. Wenn er heute die politisch korrekte Doppelnennung nicht benutzt, muss er sich vorwerfen lassen, Frauen bewusst zu übergehen. „Dabei schärfen und betonen die Doppelnennungen erst die Gegensätze.” Sie unterstreichen, dass ein weiblicher Professor nur eine Professorin sein kann und eine Politikerin kein Politiker. So geht die geschlechtsneutrale Bedeutung des generischen Maskulinums verloren und der Sexismus, den man bekämpfen will, wird erst in die Sprache eingeführt, meint Klein. „Die gesellschaftlichen Bedingungen, die dazu führen, wird man nicht ändern.”
Woran das liegt, weiß Gisela Klann-Delius, Linguistikprofessorin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin. „Ein Wort besitzt eine Bedeutung, die sich geschichtlich herausgebildet hat.” Nicht das Wort an sich erzeugt demnach das männliche Bild im Kopf, sondern das Stereotyp, das die Gesellschaft dem Wort zuschreibt. Da die meisten Professoren und Koryphäen Männer sind, verbinden wir mit diesen Begriffen männliche Personen, egal ob davor „der” oder „die” steht. Die Sprache sei für gesellschaftliche Probleme nicht verantwortlich und könne sie auch nicht beheben, betont Klann-Delius. „Nicht die Sprache ist frauen-feindlich, sondern ihr Gebrauch.”
Frauensprache per gesetz
Schwierig wird es allerdings, wenn man sich bei der Sprachwahl für ein Geschlecht entscheiden muss. So fragt in einer Glosse einer überregionalen Zeitung der Autor den Leser: „Warum brauchen Sie Vierradantrieb?” Antwort: „Nur mit Vierradantrieb bringen Sie bei Neuschnee eine Kiste südafrikanischer Orangen heil vom türkischen Gemüsehändler heim zur russischen Lebensabschnittsgefährtin.” Und in einem Artikel über das Grundeinkommen schreibt ein Wirtschaftsredakteur: „Wer auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist, muss heute offenlegen, wie viel er noch auf dem Sparbuch hat oder welches Auto er fährt. Das Amt will wissen, wie er wohnt und ob er mit seiner Mitbewohnerin ein Verhältnis hat.” In einem Kommentar wird beschrieben, wie die klügeren Homo sapiens in Europa die Neandertaler verdrängt hätten. Der Autor stellt sich vor: „Wie ist das wohl gewesen, als die Besserwisser einfielen, die noch dazu cooler aussahen, technisch überlegen waren und erst recht kulturell mehr draufhatten? Die es möglicherweise auch mal mit Neandertalerinnen trieben…” Was geht in den Köpfen der Schreiber vor? Denken sie, dass Glossenleser, Arbeitslose und Homo sapiens stets Männer sind?
„Der Gebrauch der Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft”, sagt Klann-Delius. „Und in dieser Gesellschaft gilt der Mann als Norm.” Die Sprache könne dies nicht ändern – nur ein gesellschaftliches Umdenken. Das will Feministin Pusch mit einer „ Verordnung per Gesetzeskraft” erzwingen: „Es muss ein politischer Wille da sein wie bei der Rechtschreibreform.” Gisela Klann-Delius hält indes nichts von einer gesetzlichen Zwangsmaßnahme. „Das sind die üblichen Beruhigungsmittel, mit denen Frauenrechtler besänftigt werden”, sagt sie. Denn das unterdurchschnittliche Gehalt von Frauen oder andere Ungerechtigkeiten werden dadurch nicht behoben. „Es ist ja ehrenvoll, etwas für Frauen tun zu wollen”, sagt sie. Aber dazu braucht man keinen Gott, der zur Gärtnerin wird. ■
Tina Suchanek
Lesen
Gisela Klann-Delius Sprache und Geschlecht Eine Einführung Stuttgart/Weimar, Metzler 2005, € 14,95
kompakt
· Feministische Linguisten wollen die gesellschaftliche Situation der Frau durch Sprachregeln verbessern.
· Diskriminierend ist nicht die deutsche Sprache, sondern ihr Gebrauch.
· Durch Betonen der Geschlechter wird der Sexismus in die Sprache erst eingeführt.
alles nur worthülsen
Theodor Ickler ist Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Erlangen-Nürnberg und ein großer Kritiker der Rechtschreibreform.
Wird die feministische Sprachreform ähnliche Folgen haben wie die Rechtschreibreform?
Wenn sich die Politik der Sache annimmt, ist das Ganze nicht mehr aufzuhalten.
Aus welchem Grund?
Weil der Staatsapparat nie zugeben würde, dass er einen Fehler gemacht hat. Bei der Rechtschreibreform war das so. Da standen am Anfang eigentlich nur ein Dutzend Leute, die auf Biegen und Brechen eine Idee durchsetzen wollten. Jetzt sind es die Feministen.
Können die feministischen Sprachverbesserungen irgendetwas an der gesellschaftlichen Situation von Frauen ändern?
Nein, man vermeidet bloß Wörter durch Ausweichformen. Aber das sind nur Worthülsen, die mit Bedeutung zu füllen sind – und irgendwann dieselbe Bedeutung wieder annehmen, weil das System bleibt, das dahintersteht.
Wird die deutsche Sprache dadurch bald unlesbar?
Nein, man kann der natürlichen Tendenz nicht entgegenwirken, nur weil man eine scheinbar logische Idee hat. Sprache muss ökonomisch sein. Wenn sich Texte nicht sprechen lassen, dann sind sie zum Scheitern verurteilt.