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Wer sich anstrengt, fliegt!

Allgemein

Wer sich anstrengt, fliegt!
Er war einmal im All und leitet jetzt das europäische Astronauten-Trainings-Zentrum in Köln: Ernst Messerschmid. Wie es mit Europas Raumfahrern weitergeht, verrät er im bdw-Gespräch.

bild der wissenschaft: Vor 15 Jahren waren Sie im Weltraum. Welchen Nachhall hat der Flug für Sie heute?

MESSERSCHMID: Mich hat beeindruckt, welchen Einfluß die Schwerelosigkeit auf Flüssigkeiten, Substanzen und Lebewesen hat. Weiterhin ist es ein großes Erlebnis, mit 2000 Tonnen Sprengstoff innerhalb von acht Minuten auf eine Umlaufbahn gebracht zu werden und dann mit einer Geschwindigkeit von 27000 km/h um die Erde zu schweben. Drittens war mein Raumflug im nachhinein betrachtet eine wichtige Station auf dem Weg Europas zu einer Beteiligung an der Internationalen Raumstation ISS.

bdw: Nach Ihrem Flug sind Sie in der Weltraumforschung geblieben. Offenbar ist man als ehemaliger Astronaut in Deutschland beruflich versorgt.

MESSERSCHMID: Wer die Auswahl zum Astronauten – salopp gesagt – überlebt, hat charakterliche Merkmale, die ihn auch für andere Berufsgruppen interessant machen: Durchsetzungsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Reaktionsfähigkeit, Mut zum Risiko. So gesehen ist die hohe berufliche Erfolgsquote bei Astronauten mehr durch die Selektion begründet als durch deren Bekanntheitsgrad. Für mich war Astronaut mein vierter Beruf. Jetzt bin ich im sechsten. Ich habe mich vom Klempner über den Physiker bis zum Manager des europäischen Astronautenzentrums hochgearbeitet. Als ich an der Stuttgarter Universität zum Professor berufen wurde, traf ich auf skeptische Kollegen. Noch heute sehe ich Zeitungsartikel vor dem geistigen Auge, als Kollegen – anonym – verlauten ließen, daß es für eine akademische Karriere offenbar reicht, wenn ein Physiker um die Erde herumkurvt.

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bdw: Ist es heute leichter, ins All zu kommen als zu Ihrer Zeit?

MESSERSCHMID: Die Ansprüche sind in etwa gleichgeblieben. Die Zahl der Bewerber ist seit Jahren immer rund hundertmal so groß wie die Zahl der freien Stellen.

bdw: Ist man als Brillenträger im All inzwischen verwendungsfähig?

MESSERSCHMID: Der Schweizer Claude Nicollier hat bei seinem vierten Raumflug während des Ausstiegsmanövers zur Reparatur des Hubble Space Telescopes eine Brille aufgehabt. Aufgrund seiner Erfahrung und Exzellenz ist er für uns gegenwärtig unverzichtbar. Doch man würde auch exzellente Leute nicht zum Astronauten ausbilden, wenn sie schon in jungen Jahren eine Sehhilfe gebraucht hätten.

bdw: Ein Hörgerät trägt bislang kein Astronaut?

MESSERSCHMID: Davon habe ich noch nichts gehört.

bdw: Sind Astronauten das schwächste Glied in der Raumfahrt?

MESSERSCHMID: Es gibt kein fehlertoleranteres System als den Menschen. Seine Rolle in einem komplexen Gesamtsystem ist eine völlig andere als die einer hochspezialisierten Maschine. Menschen brauchen wenig Energie, können bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten und funktionieren auch dann, wenn einzelne Teile in Mitleidenschaft gezogen sind. Nur ein Beispiel: Unsere Hände können auf Hunderte von Arten sehr fest zugreifen, sehr große Drehmomente ausüben und dabei noch feinfühlig sein. Wir sind noch weit davon entfernt, dies bei einem Roboterarm auch nur annähernd zu erreichen. Kurzum: Der Mensch ist Teil der Infrastruktur im erdnahen Weltraum. Wie gut er ist, zeigen die erfolgreichen Reparaturen am Hubble Space Telescope.

bdw: Was machen Sie als oberster Astronauten-Ausbilder?

MESSERSCHMID: Insgesamt geben die Europäer pro Jahr 500 Millionen Euro für die bemannte Raumfahrt aus – also etwa ein Fünftel des Gesamtbudgets der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. 1998 entschloß man sich, alle nationalen Aktivitäten einzustellen und die bemannte Raumfahrt unter dem ESA-Dach zusammenzuführen. Standort ist Köln-Porz. Dort werden alle europäischen Module als Trainingsanlagen aufgebaut. Von dort aus werden die Astronauten medizinisch versorgt und in allen Belangen der Ausbildung und bei ihren anderen Tätigkeiten unterstützt. Das alles firmiert unter dem Namen European Astronaut Centre, dessen Chef ich seit Januar 2000 bin.

bdw: Wie viele Astronauten sind in Ihrer Obhut?

MESSERSCHMID: Insgesamt 16: 4 Deutsche, 4 Franzosen, 3 Italiener sowie 5 aus den übrigen 12 ESA-Staaten.

bdw: Werden alle fliegen?

MESSERSCHMID: Die ESA hat einen Anteil an der Internationalen Raumstation von 8,3 Prozent. Das heißt, im Schnitt stehen uns 1,2 Astronauten-Flüge im Jahr zu. Ein ESA-Astronaut müßte bis zu zehn Jahre warten, ehe er dran ist. Möglicherweise wäre er dann schon altersbedingt ausgeschieden. Unser ältester Astronaut ist Claude Nicollier mit 56.

bdw: Welche Perspektiven sehen Sie für die Crew?

MESSERSCHMID: Wir setzen auf Flüge mit den Space Shuttles und rechnen damit, einige den Russen zustehende Flüge zur Raumstation ISS günstig zu bekommen – etwa durch Tauschgeschäfte. Beispielsweise könnten wir Bauteile für die ISS-Labors liefern. Damit kämen wir auf zwei Flüge pro Jahr. Da weiterhin einige Astronauten unseres Kaders wohl nur noch einen Flug absolvieren werden, dürfte die maximale Wartezeit in einigen Jahren deutlich sinken.

bdw: Wie groß ist das Gerangel unter den Kandidaten, endlich dabeizusein?

MESSERSCHMID: Wie wir Astronauten fürs All positionieren, ist fair: Jeder, der sich angestrengt hat, ist bisher auch geflogen. Ob einer früher oder später fliegt, richtet sich oft nach Merkmalen, die mit dem beruflichen Hintergrund zu tun haben. Wer häufiger fliegt, hat oft eine Fähigkeit für bestimmte Missionen, die besonders gefragt ist. Dies wird dann auch von den Kollegen akzeptiert.

bdw: Hat sich die Astronauten-Ausbildung seit Ihren Tagen verändert?

MESSERSCHMID: Das auf spezialisierte Prozeduren hin getrimmte Training wird zunehmend abgelöst durch ein wissensbasiertes Training. Die künftigen Astronauten sind also mehr Generalisten, die sich während ihrer 90tägigen ISS-Mission sehr unterschiedlichen Aufgaben stellen müssen. Stets wiederkehrende und einfache Aufgaben erledigen Computer oder Roboter.

bdw: Die Internationale Raumstation ist ein stetes Sorgenkind: Erst das Gerangel um die Finanzierung, und jetzt kommen die Module später hoch als geplant. Vor wenigen Wochen erst plazierten die Russen die zentrale Serviceeinheit im Orbit, die bereits im Februar 1999 oben sein sollte.

MESSERSCHMID: Die Verzögerung wird nicht ganz auszugleichen sein. Dennoch gehe ich weiterhin davon aus, daß das europäische Weltraumlabor Columbus im Oktober 2004 im All ist. Voll funktionsfähig sein wird die Station wohl erst 2005. Immerhin: In wenigen Wochen, am 30. Oktober, werden zwei Russen und ein Amerikaner am weiteren Aufbau der Raumstation für etwa drei Monate im All arbeiten.

bdw: Was ist in den nächsten fünf Jahren neben dem Aufbau und Betrieb der Raumstation noch geplant?

MESSERSCHMID: Nach wie vor gibt es Shuttle-Missionen zur Reparatur von unbemannten Großgeräten im All sowie zu wissenschaftlichen Zielen, die nichts mit der Raumstation zu tun haben. Die Russen haben derzeit keine anderen Ziele als die Raumstation. Ich denke aber, daß die Chinesen in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Menschen ins All bringen werden.

bdw: Wollen sie damit beweisen, was China kann?

MESSERSCHMID: Das ist eine technische und politische Demonstration. Wir in Europa erkennen die Raumtransporter-Leistung der anderen an. Schließlich sind auch wir auf die USA und Rußland angewiesen, wenn es um den Transport unserer Astronauten geht.

bdw: Was halten Sie vom Weltraumtourismus?

MESSERSCHMID: Ich würde ein Jahresgehalt zahlen, um als Tourist eine Woche in den Weltraum fliegen zu können. Ob es zu einem Weltraumtourismus kommen wird, der ja nur Wohlhabenden vorbehalten sein kann, ist eine gesellschaftliche Frage, die durch einen Blick auf die Umweltbilanz zu beantworten ist. Solange wir Feststoffraketen als Antriebshilfen benötigen, ist die Antwort: eher nein.

bdw: Hat ein untrainierter Mensch überhaupt etwas vom Flug ins All?

MESSERSCHMID: Überstehen würde man den Flug schon. Ob man ihn genießen kann, ist eine andere Frage. Neben der Raumkrankheit kann es zu Angstzuständen kommen. Wer wenig trainiert ist, wird nicht viel von der Schönheit des Schwebens im All und der neuen Sicht auf die Erde haben.

Wolfgang Hess / Ernst Messerschmid

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