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Comptons feuriges Ende

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Comptons feuriges Ende
Mit der umstrittenen Entscheidung, ihr Gammastrahlen-Observatorium zu versenken, hat die NASA abrupt eine Ära beendet. Dem Observatorium ist der beste Einblick in die hochenergetische Seite des Universums zu verdanken.

Der kosmische Pionier hat einen der letzten großen weißen Flecken auf der Karte des Universums enträtselt. Doch nicht der Himmel, sondern die Erde wurde ihm zum Verhängnis: In der Nacht zum 4. Juni 2000 um 1 Uhr 28 amerikanischer Ostküstenzeit war das Schicksal des Compton-Gammastrahlen-Observatoriums besiegelt. Mit mehreren Zündungen seiner Steuerdüsen wurde es kontrolliert zum Absturz gebracht. Um 2 Uhr 18 riß der Funkkontakt ab, die Atmosphäre vollendete das Zerstörungswerk. Ein Feuerregen aus mehreren Tonnen glühenden Metalls stürzte zischend in den östlichen Pazifik. Nach 51658 Erdumkreisungen war Compton Geschichte. Der 760 Millionen Dollar teure Satellit, benannt nach dem amerikanischen Physiknobelpreisträger Arthur Holly Compton, war zusammen mit dem Hubble-Weltraumteleskop und dem Röntgen-Observatorium Chandra das astronomische Prachtstück der NASA. Doch nach neun Jahren ununterbrochener Forschungen wurde das noch fast perfekt arbeitende 16-Tonnen-Gerät fallen gelassen. Am 6. Dezember 1999 versagte eines der drei Gyroskope, die für die Lageregelung Comptons im Raum sorgten – für die NASA-Spitze das Signal, umgehend die Vernichtung des Observatoriums vorzubereiten. Denn beim Versagen eines weiteren Gyroskops wäre es unkontrollierbar um die Erde getaumelt. Bei seinem Absturz hätte eine Gefahr von 1 zu 1000 bestanden, daß irgendwo auf der Welt ein Mensch zu Schaden kommt – größere Trümmer hätten mit Sicherheit den Boden erreicht. Eine gezielte Versenkung Comptons im Pazifik schon im März war praktisch beschlossen, als die NASA den Ingenieuren noch ein Ultimatum stellte: Wenn sie bis Mitte Februar eindeutig nachweisen könnten, daß eine Kontrolle des Satelliten ganz ohne Gyroskop möglich wäre, dürfte er weiterforschen. Rund um die Uhr wurde am Goddard Space Flight Center der NASA in Maryland gearbeitet – mit Erfolg: Ende Februar wurde Compton bis zu einer genaueren Prüfung eine Gnadenfrist gewährt. Der Plan sah vor, daß sich der Satellit notfalls mit Hilfe seiner Düsen in eine stabile Rotation versetzen ließe: Wenn die restlichen Gyroskope ausfielen, hätte er immer noch kontrolliert in die Atmosphäre gelenkt werden können. Auf 1 zu 4 Millionen sank durch diese clevere Lösung die Gefahr von Personenschäden, und Comptons Astronomen in den USA und Europa hofften schon auf weitere Jahre produktiver Arbeit. Doch Ende März überraschte die NASA mit dem Beschluß, Compton trotzdem frühestmöglich zu zerstören. Begründung: Jetzt, mit zwei funktionierenden Gyroskopen, bestünde nurmehr eine Gefahr von 1 zu 29 Millionen für einen Unfall. „Ermittlungen haben gezeigt, daß ein kontrollierter Absturz signifikant sicherer ist als alle anderen Methoden“, heißt es dazu in einer NASA-Erklärung. Doch kein Wort gab es darüber, wieso die Verringerung eines ohnehin verschwindend geringen Restrisikos von 1 zu 4 Millionen um einen weiteren Faktor 7 den sofortigen Abbruch einer wissenschaftlichen Erfolgsmission rechtfertigte. Viel wurde über die wahren Beweggründe der NASA spekuliert. War es eine Panikreaktion nach den peinlichen Fehlschlägen der Marsmissionen 1999? Das vermutet Jay Apt, der Astronaut an Bord des Shuttles Atlantis war, das Compton im April 1991 ins All transportiert hat. Oder war die Versenkung eine Botschaft an Rußland, mit der alten Raumstation Mir ebenso zu verfahren? Das will Sharyl Attkisson, Raumfahrt-Korrespondent des US-Fernsehsenders CBS, aus dem Weißen Haus erfahren haben. Angeblich wird dort befürchtet, daß ein Absturz von Mir Menschenleben gefährden könnte. Allerdings ist dies für das nächste Jahrzehnt ausgeschlossen. Gilt die noch immer betriebene Mir etwa als lästige Konkurrenz zur Internationalen Raumstation? „Unter den Gammastrahlen-Astronomen herrscht große Enttäuschung“, resümiert Compton-Projektwissenschaftler Neil Gehrel. „Das Ende Comptons wäre eine nationale Tragödie“, hieß es gar in einem offenen Brief der Hochenergie-Astrophysikabteilung der American Astronomical Society. Doch für eine Kampagne gegen die Vernichtung war es zu spät. Selbst der amerikanische Kongreß, der sonst jede Entscheidung der NASA hinterfragt, blieb seltsam desinteressiert. Und viele Astronomen fürchteten, mit heftigen Protesten ihre Karriere zu gefährden, und schwiegen. „Ich teile die Trauer meiner amerikanischen Kollegen über das abrupte Ende“, sagt Volker Schönfelder vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München. Er betont aber auch die Erfolge des Satelliten, der statt der ursprünglich geplanten zweieinhalb Jahre immerhin neun Jahre ohne gravierende Ausfälle durchhielt, und bei dem drei von vier Instrumenten bis zuletzt voll funktionsfähig waren. Schönfelder, der Projektchef von COMPTEL war, einem der vier Instrumente Comptons, zählt zu den größten Erfolgen die erste vollständige Himmelsdurchmusterung bei Energien von 1 Mega- bis 10 Gigaelektronenvolt, bei der viele hundert bislang unbekannte Gammaquellen entdeckt wurden. Compton hat himmlisches Neuland eröffnet. Highlights sind auch die ersten kompletten Karten bei bestimmten Gammaemissionslinien und ein vollständiger Katalog von fast 300 Gammaquellen ab einer bestimmten konstanten Helligkeit: Relikte explodierter Sterne, supermassive Schwarze Löcher in Galaxienzentren und kosmische Strahlen höchster Energie. Das deutsche Instrument COMPTEL hat einen Teilbereich der Astrophysik erschlossen, der bis dahin überhaupt nicht bearbeitet werden konnte: COMPTEL schuf anhand der Gammalinien radioaktiver Isotope Himmelskarten, die nachzeichnen, wo sich heute neue chemische Elemente bilden: überwiegend dort, wo viele massereiche Sterne entstehen. Das größte Aufsehen erregten Comptons Beobachtungen von über 2500 kurzen Gammablitzen, den ominösen Gamma Ray Bursts. Sie konzentrieren sich nicht in der Ebene der Milchstraße, wie die meisten Forscher erwartet hatten, sondern sind völlig gleichmäßig über den Himmel verteilt. Ihrer Natur kam Compton zusammen mit dem kleinen italienischen Satelliten BeppoSAX auf die Spur, als dieser ab 1997 einzelne Gamma Bursts, die im Röntgenbereich nachglühten, genau lokalisieren konnte. Das wiederum erlaubte es Astronomen, den Ort der Gamma Bursts mit irdischen Teleskopen zu inspizieren. Ergebnis: Zu den Ausbrüchen kommt es durchweg in Milliarden Lichtjahren entfernten Galaxien – sie sind die stärksten Explosionen im Kosmos seit dem Urknall. Welcher Mechanismus sie antreibt, ist bis heute rätselhaft. Aber mit dem größten Burst- Katalog aller Zeiten hat Compton schon einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag geleistet. Damit ist es jetzt vorbei: Schlagartig wurde die Gamma-Astronomie im Juni blind gemacht, denn die nächste Generation von Observatorien ist zwar im Bau, aber noch lange nicht startklar. Die zwei wichtigsten Nachfolger Comptons sind Integral von der europäischen Weltraumbehörde ESA mit einem leistungsfähigen Gammaspektroskop und GLAST von der NASA, die 2002 und 2005 starten sollen. Schon für 2001 und 2003 sind zwei weitere NASA-Spezialsatelliten geplant: HETE-2 und Swift, die die systematische Beobachtung der Gamma Ray Bursts weiterführen werden. Und 2001 soll der NASA-Kleinsatellit HESSI die harte Strahlung der Sonne überwachen. Doch ein Observatorium für alle Fragestellungen gleichzeitig – wie es Compton war – wird es in den nächsten Jahrzehnten auf keinen Fall mehr geben.

Daniel Fischer

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