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Jordaniens wahre Bodenschätze

Allgemein

Jordaniens wahre Bodenschätze
Das Land am Jordan hat kein Öl zu bieten – aber ein reiches Kulturerbe. Diese Ressource wird geschickt, aber vorsichtig für den Tourismus genutzt. Kulturerhalt und Business sollen dabei kein Widerspruch sein.

Der Philosophie-Professor aus Deutschland war nach Jordanien gekommen, um den Geist der Griechen zu finden. Er wurde vielfach fündig.

Das Fernsehteam der ZDF-Serie Terra X suchte im haschemitischen Königreich nach dem Leben in der Steinzeit. Es entdeckte am Jordan die passende Kulisse. Auch wer den biblischen Völkern Edom und Moab nachspürt, nach den Ammonitern, Nabatäern, Juden, Mamelucken, Osmanen fragt oder nach römischen Aquädukten, byzantinischen Basiliken und mittelalterlichen Kreuzfahrerburgen forscht, wird archäologisch gut bedient. Die Region am Jordan zwischen See Genezareth, Totem Meer, arabischer Wüste und Sinai ist seit Jahrtausenden das Durchgangsland für unzählige Völker und Kulturen – angefangen mit den welterobernden Enkeln der afrikanischen Eva. Nur Alexander, der Abenteurer, kam nicht bis nach Jordanien.

Ab dem ersten Jahrhundert v.Chr. erblühte vor allem der nördliche Teil des heutigen Jordaniens unter späthellenistischen Kleinkönigen und römischer Herrschaft. Sichere Zeiten, Steuerfreiheit und Transithandel bescherten Städten wie Gadara (heute Umm Qais), Gerasa (Jerash) und Philadelphia (Amman) ansehnlichen Wohlstand und feine Lebensart.

Das schlug sich in prachtvollen – privaten wie öffentlichen – Bauten nieder. Theater gönnte man sich gleich zwei, die korinthischen Säulen der Tempel kratzten am Himmel, die Pferderennbahn wurde obligatorisch. Staatsbesuche römischer Kaiser stärkten Privilegien und Ehrgeiz – manche Kommune wetteiferte mit dem Glanz der Städte im römischen Mutterland. Gerasa etwa wurde die Stadt der tausend Säulen. Vergangen, verschüttet, vergessen. Nicht ganz. Seit etlichen Jahren regt sich wieder Leben in den Stätten der Vergangenheit – und die Menschen heute sollen Nutzen davon haben. „Das Öl Jordaniens ist sein Kulturerbe“, sagt programmatisch der Generaldirektor der Antikenverwaltung in Amman, Prof. Dr. Fawwaz Khraysheh im Gespräch mit bild der wissenschaft (siehe Interview). Um dieses immaterielle Öl zu fördern, forciert Jordanien Vorhaben der archäologischen Forschung und Restaurierung. Die Antikenverwaltung ist selbstbewusst genug, um ausländischen Archäologen Grabungen in großem Stil zu erlauben.

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Das Land hat inzwischen „gut ausgebildete Archäologen, wir arbeiten vor allem mit den Kollegen von der Universität Irbid hervorragend zusammen“, urteilt Prof. Günther Schauerte. Der stellvertretende Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SMB-SPK) hat die Oberaufsicht über die deutsche Grabung in Gadara. Die umfangreichen Arbeiten beim heutigen Provinznest Umm Qais, in Sichtweite der explosiven israelischen wie syrischen Grenze, sind ein Paradebeispiel für die Verknüpfung von wissenschaftlicher Erforschung, vorsichtiger Wiederherstellung und touristischer Nutzung.

• Die jordanischen Archäologen unter Ibrahim Soubhey beschäftigen sich vorwiegend mit Ausgrabung und Restaurierung der antiken Hauptstraße mit Säulenallee und Brunnenanlage (Nymphäum) sowie einer riesigen römischen Therme – einer luxuriösen Badeanstalt – mitten im geschichtsträchtigen Gelände.

• Die deutschen Ausgräber kümmern sich um die Stadtmauern, das Nordtheater, den hellenistischen Siedlungshügel und die bislang kaum untersuchte Bebauung auf der Bergkuppe.

• Nizam Tayseer Qoussous, Manager der Gaststätte auf der Hügelspitze, klagt, wie alle jordanischen Gastronomen im letzten Jahr, über ausbleibende Reisende. Aber er ist guter Hoffnung auf bessere Zeiten und hat in Gadara dafür auch die besten Aussichten: Von seiner Terrasse hat der Besucher – bei etwas Wetterglück – eine traumhafte Sicht ins Jordan- und Jarmuktal und auf die Golanhöhen. Im Vordergrund schweift der Blick über byzantinische Säulen, antike Ruinen und die wiedererstehende Säulenallee, die sich einen Kilometer lang schnurgerade durch die Olivenhaine zieht.

Unter den silberblättrigen Bäumen ragen auf Schritt und Tritt hellenistisches Mauerwerk und geborstene Säulen aus dem Boden. Der Gast steigt über byzantinische Kirchenfundamente und Haustreppen. Das protzige Nymphäum aus Kalkstein, Marmor und schwarzem Basalt befreien die jordanischen Archäologen gerade von den Überwucherungen der Jahrhunderte. Die schon wieder aufgetürmten Fragmente der Prunkallee werfen ihre Schatten auf die Hauptstraße. Jordanische Familien picknicken in den Ruinen, und Ziegen hopsen über korinthische Kapitelle und römisches Straßenpflaster. Für eine junge Jordanierin mit modischem Rucksack ist die Säulenallee der alltägliche Weg zur Arbeit.

301 v.Chr. war Gadara von der hellenistischen Herrscherdynastie der Ptolemäer gegründet worden. 198 v. Chr. eroberten die Seleukiden den Ort und befestigten den Burgberg mit einem imposanten Mauerring. Nach einer jüdischen Besatzung befreiten die Römer die Stadt 64 v.Chr. Um die Zeitenwende hängt eine archäologische und geschichtliche Grauzone über der ganzen Region. Um 50 n.Chr. wurde die hellenistische Mauer von den Römern im Zuge der jüdischen Kriege wiedererrichtet. Die römische Urbanisierungspolitik in den eroberten Provinzen bescherte Gadara und anderen Orten Palästinas einen Bauboom und wirtschaftlichen Aufschwung. In der byzantinischen Epoche (324 bis 636 n.Chr.) stieg Gadara zum Bischofssitz auf und erlebte noch einmal eine kurze Blütezeit. Im nachfolgenden omajjadischen Jahrhundert gab es kaum Veränderungen im Stadtbild. 749 beendete ein schweres Erdbeben die antike Geschichte. Erst 1806 holte der deutsche Forschungsreisende Ulrich Jasper Seetzen Gadara wieder ins Bewusstsein. Seit 1987 arbeitet das Deutsche Archäologische Institut (DAI) in Kooperation mit den Berliner Museen und den jordanischen Archäologen an der Wiedererschaffung Gadaras.

Dr. Claudia Bührig leitet die Grabung seit 1992 für das DAI vor Ort. Die Bauforscherin hat sich speziell um die Tore in der Säulenmagistrale wissenschaftliche Gedanken gemacht. Anhand der spärlichen Reste kann sie Aussehen und Funktion der Imponierbauten rekonstruieren und ablesen, ob sie in friedlicher oder unsicherer Zeit entstanden sind.

Über solches Spezialwissen hinaus geht es ihr aber darum, „ Strukturen und Zusammenhänge der Stadt sichtbar zu machen.“ Denn erst daraus lässt sich auf die Menschen und ihre Umwelt schließen. „Und das ist ja das eigentlich Spannende an der Archäologie.“ Seit dem letzten Sommer kümmert sich Claudia Bührig verstärkt um das antike Nordtheater und das vorgelagerte Areal. Im gut erkennbaren Halbrund des Theaters ist kein einziger der steinernen Sitze mehr vorhanden. Die waren willkommenes Baumaterial für das Dorf auf der Bergspitze. Im Boden vor dem Geister-Theater tauchten Mauern auf, die eventuell zu einem römischen Tempel gehören – „Das könnte spannend werden“, meint die Archäologin und hofft, dem Geheimnis in diesem Jahr näher zu kommen. Was in Gadara in – sehr ansehnlichen – Anfängen steckt, ist in Gerasa, dem modernen Jerash, weitgehend Realität:

Archäologie gepaart mit touristischer Nutzung. Der Besucher kann das riesige Gelände alleine durchstreifen oder einen Führer anheuern. Er kann über die antike Pflasterstraße schlendern oder über die staubigen Schleichpfade stolpern. Im großartigen Artemis-Tempel am Ende des Areals findet er immer einen Wasserhändler, was dem weiteren Erforschungswillen überaus dienlich ist. Der knallrote Coca-Cola-Automat in der Säulenallee ist zum Glück verschwunden, aber die herausragende Akustik des großen Theaters (5000 Sitzplätze) wird alljährlich für Aufführungen und Konzerte genutzt. Und die zahlreichen archäologischen „Baustellen“, etwa am Zeus-Tempel, am Hippodrom oder an den Kolonaden, geben einen Eindruck von der noch zu erwartenden Glorie.

In Petra, der Touristen-Attraktion erster Klasse, ist die Situation umgekehrt: Die Stadt im Süden des Landes ist zunächst einmal fest in Hand der Touristen und deren dienstbarer Geister. Die Archäologen und Restauratoren sind erst in den letzten Jahren so richtig in das Wadi Musa eingestiegen. Nun stellt sich immer deutlicher heraus, dass das pittoreske Sandsteintal mehr birgt als nabatäische Grabanlagen: Der „Große Tempel“ mutiert zu einem imposanten Verwaltungszentrum. Nach der großen, verschwenderisch mit Bodenmosaiken geschmückten Basilika sind zwei weitere byzantinische Kirchen aufgetaucht.

Und der Baseler Archäologe Prof. Bernhard Kolb hat nicht nur eine prachtvolle, mit Wandgemälden veredelte nabatäisch-römische Villa ausgegraben, sondern mit ihr auch bewiesen, dass das Tal – entgegen landläufiger Gelehrtenmeinung – dicht an dicht bebaut war: Die Mauern der nächsten Gebäude stoßen direkt an den Hauskomplex an.

Auch dieses archäologische Kleinod soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die wissenschaftlichen Arbeiten sind abgeschlossen – Kolb verhandelt jetzt mit den Behörden darüber, wer die Wächter bezahlt. Das rührt an einen wunden Punkt. „Wir haben so viele sehenswerte Stätten, aber zu wenig qualifiziertes Überwachungs-Personal“, klagt Antiken-Chef Khraysheh. Und das wird eher noch schlimmer: Im Jahr 2000, auf dem bisherigen Höhepunkt, pilgerten eine Million Touristen durch das Tal bei Petra. 2010 werden drei Millionen erwartet.

KOMPAKT

• In Jordanien sind alle Zivilisations- und Kulturschritte der Menschheit zu finden.

• Die Regierung hat die Antike als wirtschaftliche Ressource erkannt und fördert die Archäologie.

• Die Zeugnisse von der Steinzeit bis zur byzantinischen Epoche werden nachdrücklich für den Tourismus aufbereitet.

Michael Zick

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