Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Magier der Moleküle

Allgemein

Magier der Moleküle
In den Zeiten von Harry Potter werben sogar Hochschulprofessoren mit Zauberei. So versucht der Erlanger Rudi van Eldik auf spektakuläre Weise, junge Leute für die Chemie zu begeistern.

„Ruuudi, Ruuudi“, brüllen die 1400 Studenten im Audimax der Universität Erlangen. Schon seit zwei Stunden schreien sie sich in dem überfüllten Hörsaal die Kehlen heiser. Wenn die Lautstärke mal nachlässt, schaukeln sich die Sprechchöre gegenseitig wieder auf, oder Carlos greift zum Mikrofon und heizt die Stimmung erneut an: „Höre ich ein R? Gebt mir ein U, gebt mir ein D, gebt mir ein I!“

Auf der linken Saalseite lärmt ein Fanclub in weißen Labormänteln, auf der rechten sind es die Studenten der „ Molecular Science“ in grünen Sweatern, oben auf der Galerie die Chemie-Ingenieure „CIW-United“ in Gelb. Vorne, auf den Ehrenplätzen, finden sich nach und nach die Honoratioren der Stadt Erlangen ein, samt einigen Professoren und dem Rektor der Universität. Während im Saal der Bär steppt, wuseln junge Leute über die Bühne, stellen Gefäße und Bunsenbrenner auf den Tisch, tragen Gasflaschen hin und her und hängen Luftballons auf: letzte Vorbereitungen für die große Show – die „Zaubervorlesung“.

Endlich geht das Licht aus. Musik dröhnt, Lasereffekte und Glitzerkugeln wie in der Disco – und dann kommt er, der Star: Rudi van Eldik, 57, Professor für Anorganische und Analytische Chemie und seit 1994 Ordinarius an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Guten Abend, meine Damen und Herren“, begrüßt er mit leicht holländisch gefärbtem Akzent die tobenden Massen, „seit 30 Jahren ist es bei uns Tradition, zu Beginn des Wintersemesters eine Zaubervorlesung zu halten“. Bleich ist er, und man spürt seine Anspannung. „Der Anfang ist das Schwerste. Relaxt zu bleiben, wie Thomas Gottschalk das macht, ist gar nicht so einfach“, hat er ein paar Tage vorher erzählt. „Ich bin meistens die letzten zehn Minuten, bevor es anfängt, sehr aufgeregt. Aber wenn man richtig in der Show drin ist und das Publikum mitgeht, ist diese Anspannung vorbei.“ Drei Stunden lang wird die Vorführung laufen, 26 Menschen sind daran beteiligt, wochenlange Proben liegen hinter ihnen. Und die Erwartungen des Publikums sind riesengroß.

Natürlich geht auch diesmal gleich zu Beginn etwas schief: Das Mikrofon der „lieblichen Assistentin“ Nadine funktioniert nicht. „ Ausziehen, ausziehen“, skandiert das Publikum. In aller Eile wird das Headset ausgetauscht, und die Doktorandin kann beginnen, das Motto der diesjährigen Zaubervorlesung zu präsentieren: „1000 Jahre Erlangen“. Eine Zeitreise also, als unterhaltsame Mischung aus 46 chemischen Experimenten, Showeffekten, Zauberkunststücken, ernsthaften wissenschaftlichen Erklärungen, Feuer- und Lichteffekten – und einer ganzen Menge Klamauk.

Anzeige

So färben beispielsweise Nadine und Claudete verblüffenderweise einen Bikini mit einer blauen Flüssigkeit erst rot, danach mit einer roten Tinktur blau. Der Sprechchor-Einpeitscher Carlos – er heißt eigentlich Dr. Carlos Dücker-Benfer und macht seit 1994 bei den Zaubervorlesungen mit – erklärt den Effekt: „Die Baumwolle ist mit Kongorot gefärbt. Das ist ein Indikatorfarbstoff, der in saurem Milieu blau und in basischer Umgebung rot wird. Tunkt man das Gewebe in eine – mit einem anderen Farbstoff – rot gefärbte Säure, wird es also blau, und umgekehrt in einer blau gefärbten Lauge rot.“

Zur Erinnerung an den 30-jährigen Krieg lässt Jochen aus dem Eldik-Team eine „Donnerbüchse“ krachen. Er füllt von unten Wasserstoff in eine Dose, die im nach oben gewandten Boden ein kleines Loch hat. Dann entzündet er den Wasserstoff, der durch das Loch ausströmt. Zunächst brennt das Gas mit kleiner, hellblauer Flamme, bis plötzlich die ganze Dose mit einem gewaltigen Knall in die Luft fliegt. Die Erklärung: Die Flamme zieht Wasserstoff aus der Dose ab, von unten strömt Luft nach. In dem Augenblick, wo das Mischungsverhältnis zwischen Wasserstoff und Sauerstoff in der Dose den Wert 2 zu 1 erreicht, entsteht Knallgas – das schlagartig zu H2O, also Wasser, verbrennt.

Besonders großen Anklang beim Publikum findet die „chemische Uhr“. Zehn Chemiker stehen in einer Reihe, jeder gießt auf Kommando zwei Flüssigkeiten zusammen. Die Mischung im Gefäß des Ersten färbt sich nach 5 Sekunden blau, des Zweiten nach 10, des Dritten nach 15 und so weiter.

Dieses Experiment, das Fachleute unter dem Namen „ Landolt-Joduhr“ kennen, beruht darauf, dass Stärke sich in Anwesenheit von Jod blau färbt. In einer komplizierten Kombination von Reaktionen wird die Chemikalie Jodat erst zu Jodid reduziert und dann zu elementarem Jod oxidiert. Da das Tempo dieser Vorgänge von der Konzentration der Reaktionspartner abhängt, lassen sich die Zeitintervalle nach Wunsch einstellen.

Education und Entertainment wird bei der Zaubervorlesung zu „ Edutainment“, und das ist Sinn und Zweck der Übung. „Wir erfüllen neben Forschung und Lehre mit diesen Shows eine wichtige Aufgabe, nämlich das allgemeine Publikum zu informieren“, so der Professor. „Die Chemie hat heute ein so negatives Image. Wir wollen zeigen, dass sie auch Spaß machen und schön sein kann.“ Dass er einst als Showmaster in Erlangen Zaubervorlesungen halten würde, hat man Rudi van Eldik nicht an der Wiege gesungen. Als gebürtiger Niederländer wuchs er in Johannesburg auf, weil seine Eltern Anfang der fünfziger Jahre nach Südafrika ausgewandert waren. Die doppelte Staatsangehörigkeit hat er bis heute behalten. In der kleinen Universitätsstadt Potchefstroom, 100 Kilometer westlich von Johannesburg, studierte er zusammen mit seinem Zwillingsbruder Chemie und Mathematik. Danach trennten sich ihre Wege: Sein Bruder blieb als Mathematiker in Südafrika, er selbst wurde Chemiker und ging nach der Promotion zunächst in die USA. Über ein Humboldt-Stipendium in Frankfurt kam er nach Deutschland, wo er sich 1980 mit seiner Familie niederließ und Karriere als Universitätsprofessor machte – zunächst in Frankfurt, danach in Witten-Herdecke, seit 1994 in Erlangen.

Öffentliche Auftritte hatte er bis dato nur als Wissenschaftler, die Unterhaltungsbranche lag ihm fern. Lediglich als Student hatte er mal in einer Band Musik gemacht. Erst Klaus Brodersen, sein Vorgänger auf dem Erlanger Lehrstuhl, machte ihn zu „Magic Rudi“: „Herr Brodersen hat die Zaubervorlesung – auf eine etwas konventionellere Weise – fast 25 Jahre lang gehalten. Als ich 1994 hierher kam, hat er mich gebeten, diese Tradition weiterzuführen.“ Zusammen mit seinen Assistenten entwickelte van Eldik ein neues Konzept mit mehr Show-Elementen, Musik und Unterhaltung und drückte der Veranstaltung seinen Stempel auf.

Es steckt eine unbändige Energie in dem kleinen blonden Mann. Hellwach, völlig unverklemmt und dennoch immer ein bisschen unnahbar geht er mit seinem Team um. Er pflegt im täglichen Umgang den lockeren Stil, wie er sonst nur in den angelsächsischen Ländern üblich ist: Seine Bürotür steht immer offen, und die meisten seiner Leute dürfen sich mit ihm duzen – vorher undenkbar an der Erlanger Universität.

Seine Mitarbeiter wissen es zu schätzen. „Es gibt Professoren, die wissenschaftlich top sind“, sagt Mike, der bei der Zaubervorlesung Fotos schießt, „und es gibt auch welche, die menschlich top sind. Professor van Eldik ist beides, und so etwas ist ganz selten.“ Die Begeisterung schlägt sich nicht nur in der Zaubervorlesung, sondern vor allem in der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit nieder.

Van Eldiks Forscherteam beschäftigt sich vor allem mit der Aufklärung von Reaktionsmechanismen an so genannten Metallzentren in komplexen Molekülen. Man findet diese Zentren in vielen organischen und anorganischen Verbindungen, etwa im Hämoglobin. „ Wir interessieren uns zum Beispiel dafür, wie kleine Moleküle – Sauerstoff, Kohlendioxid oder Stickoxide – mit solchen Metallzentren reagieren“, erklärt der Professor. „Wir untersuchen im Detail, was sich dort abspielt, die Reaktionsmechanismen und Transportvorgänge.“

Während dies in erster Linie Grundlagenforschung ist, zielen andere Aktivitäten mehr auf die praktische Anwendung: Ein Projekt beschäftigt sich zum Beispiel mit dem Recycling von Elektronikschrott und Handys. „Wir werden nach Schätzung der Fachleute nächstes Jahr rund 20 Millionen Schrott-Handys haben“, sagt van Eldik. „Was geschieht damit? Man kann sie nicht einfach auf den Müll werfen. Wir versuchen, zusammen mit verschiedenen Unternehmen Wege zu finden, Handys umweltfreundlich zu rezyklieren.“ Ein anderes Gebiet sind Flammschutzmittel, die Brom enthalten. „Neuerdings benutzt man phosphorhaltige Substanzen, aber früher und manchmal auch heute noch sind bromierte Flammschutzmittel im Einsatz. Für sie entwickeln wir Recycling-Verfahren.“

Wenn er seine Forschungsaktivitäten erklärt, spürt man: Rudi van Eldik ist es sehr wichtig, nicht als Zauberkasper zu gelten, sondern als angesehener und ernsthafter Wissenschaftler. Dafür spricht auch seine lange Liste von Veröffentlichungen: inzwischen fast 600, extrem viel im Vergleich zu den meisten Kollegen. Aber er genießt auch die Zuneigung, die ihm sein Zauber-Team entgegenbringt: „Ich brauche das einfach. Wenn Sie sehen, was wir hier das ganze Jahr über an Wissenschaft produzieren, das ist der absolute Wahnsinn. Man schafft das nur, wenn man die Leute motivieren kann, auch wenn ein Projekt mal nicht gut läuft.“

Motivieren will er auch junge Leute, Chemie zu studieren. Deshalb hat er vor einigen Jahren damit begonnen, zur Generalprobe der Zaubervorlesung Gymnasiasten einzuladen. Sie kommen inzwischen von weit her und verfolgen jubelnd die etwas verkürzte Probeshow.

Im Alter von 16 Jahren, noch bevor sie sich für einen Leistungskurs entschieden haben, möchte van Eldik ihre Lust an den Naturwissenschaften wecken. Damit liegt er genau auf der Linie des Bundesforschungsministeriums, das das Jahr 2003 zum „ Jahr der Chemie“ ausgerufen hat, pünktlich zum 200. Geburtstag des Chemikers Justus von Liebig – der übrigens auch Show-Vorlesungen gehalten hat.

Eine Vielzahl von Veranstaltungen ist für 2003 vorgesehen. Allein die Liste der Vorträge und Experimentalvorlesungen ist mehrere Seiten lang. Da gibt es von der „Chemie im Altertum“ an der Universität Zürich bis zur „Chemie zwischen Magie und Wissenschaft“ des Professors Georg Schwedt aus Clausthal-Zellerfeld kaum ein Thema, das nicht populär oder gar unterhaltsam dargeboten wird. Rudi van Eldik macht selbstverständlich mit: Am 2. April 2003 zeigt er seine Zaubervorlesung an der Technischen Universität Darmstadt.

Organisiert und gesponsert wird diese Show von der Chemiefirma Merck. Ohne finanzielle Gönner wäre das Unternehmen Zaubervorlesung nicht zu machen. „Das wird ein Drei-Tages-Ausflug in Kleinbussen mit 20 Mann“, sagt der Professor, „wir müssen alles nach Darmstadt transportieren – eine große Herausforderung.“

Damit die Show weitergeht, wirbt van Eldik jedes Jahr bei örtlichen und überregionalen Firmen, die Technik, Geld, Getränke, Eis oder Brezeln beisteuern. „Unsere Kosten für neue technische Ausstattung und Chemikalien betrugen 2002 rund 10000 Euro“, rechnet er vor. „Vieles davon benutzen wir natürlich auch für die Vorlesungen der kommenden Jahre.“

Der heimliche Traum van Eldiks ist eine Roadshow: mit einem Autobus, der als Labor eingerichtet ist. „Man könnte einen solchen Bus von Schule zu Schule schicken, oder Abende gestalten, in Sälen mit mehreren hundert Leuten“, sinniert der Mann – dem die Ideen offenbar niemals ausgehen.

KOMPAKT:

• Jedes Jahr zu Beginn des Wintersemesters veranstaltet ein Team um Prof. Rudi van Eldik an der Universität Erlangen-Nürnberg eine „Zaubervorlesung“ .

• Die Experimental-Vorlesung mit mannigfachen Show- Effekten zielt darauf, Neugier und Sympathie für die Chemie bei jedermann zu wecken.

Brigitte Röthlein

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Ke|lo|to|mie  〈f. 19; Med.〉 Bruchoperation [<grch. chele … mehr

Schü|ler  〈m. 3〉 1 Angehöriger einer Schule, Schulkind 2 Lernender (bei einem Meister) … mehr

Roof  〈m. 1 od. n. 11; Mar.〉 Raum, bes. Schlafraum auf dem Deck eines Segelschiffes [<mnddt. rof … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige