bild der wissenschaft: Können sich adulte Stammzellen nun in verschiedenste Gewebetypen entwickeln oder sind sie eingeschränkt?
Enver: Die Situation ist sehr konfus. Zurzeit gehen Forscher eher einen Schritt zurück. Viele der Behauptungen, dass adulte Stammzellen sich nicht nur in angestammtes, sondern auch in andere Gewebe entwickeln, konnten nicht bestätigt werden. Möglich aber ist es.
bdw: Wie kam es zu dieser Konfusion?
Enver: Im Eifer, die Arbeiten brandaktuell zu veröffentlichen, wandten einige Forscher zu lasche Kriterien an. Viele arbeiteten mit schlecht definierten Zellhaufen, etwa aus dem Knochenmark. Die Forscher wussten also nicht, welche Zellen sie untersuchten. Fanden sie ähnliche Zellen dann im Herzgewebe, testeten sie kaum, ob die ihren Job auch machten. Das wäre in der klinischen Anwendung aber sehr wichtig. Die Zellen sollten bei einem Infarkt-Patienten schon pochen – und nicht nur wie Herzzellen aussehen.
bdw: Sind die Stammzellforscher nun in sich gegangen?
Enver: Ja. Es ging ein Ruck durch die Wissenschaftlergemeinde. Viele haben rigorose Kriterien für solche Transdifferenzierungs-Experimente aufgestellt, fast schon eine Selbstkontrolle gefordert, und das wurde gehört. Wenn Forscher heute ein überraschendes Potenzial adulter Stammzellen proklamieren, haben sie meist sehr robuste Daten.
bdw: Auch Mediziner haben die Ergebnisse aufgegriffen und behandeln bereits Herzinfarkt-Patienten mit Knochenmark. Ist das sinnvoll?
Enver: Schwierig zu sagen. In Tieren hat es jedenfalls funktioniert. Und in der klinischen Anwendung ist es vielleicht zweitrangig, welche Zellen dem Herzen helfen. Dennoch wäre die Kenntnis der Mechanismen wichtig: Nur so können die Therapien effektiver werden. Zumindest aber sind die Behandlungsversuche ungefährlich. Mit Knochenmark arbeiten Mediziner schon so lange. Schädliche Nebenwirkungen gibt es praktisch keine.
bdw: Auf welchen Zelltyp würden Sie setzen, um Organe zu reparieren? Enver: Die so genannten Multipotenten Adulten Vorläuferzellen, die MAPCs, sind sehr vielsprechend. Sie können sich in fast alle Gewebetypen umwandeln. Das hat ihre Entdeckerin, Catherine Verfaillie, in stichhaltigen Versuchen nachgewiesen. Eine für die Praxis relevante Frage ist aber noch offen: Bilden die MAPCs Tumore? Spritzt man die Zellen in Tiere, tun sie es nicht. Was aber, wenn man die Tiere krebsfördernden UV-Strahlen der Sonne aussetzt? Das weiß heute noch niemand. Diese Frage besteht übrigens bei allen hochpotenten Stammzellen. Viele Forscher halten Krebs für eine Stammzell-Erkrankung. Wenn nun Stammzellen ein riesiges Entwicklungspotenzial aufweisen, könnte es sein, dass sie bereits den ersten Schritt zu einer Krebszelle gemacht haben. Wir müssen sehr vorsichtig sein.
Marcel Falk