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Tsunami-Gefahr auch für Europa

Erde|Umwelt

Tsunami-Gefahr auch für Europa
Ein Erdbeben hat die mörderische Flutwelle an Weihnachten ausgelöst. Forscher warnen: Auch Hangrutsche im Atlantik und sogar im Mittelmeer können solche Killerwellen lostreten.

Die steinzeitlichen Sammler hatten reichlich Muscheln an diesem Tag gefunden. Jetzt kam die Flut und sie machten sich auf den Weg zu ihren Hütten. Da wich das Wasser pötzlich zurück, obwohl es doch eigentlich steigen sollte. Während die Menschen noch beratschlagten, kam das Wasser wieder, schneller und höher als bei jeder Sturmflut. Keiner überlebte.

Ähnliche Szenen haben sich vor etwa 8000 Jahren an vielen Küsten der Nordsee und des Nordatlantik abgespielt. Damals überrollte ein gewaltiger Tsunami Nordeuropa. Seine Spuren findet man bis heute.

Die Riesenwelle war entstanden durch den Zusammenbruch eines unterseeischen Gebirgshangs vor der norwegischen Westküste. „ Solche Rutschungen sind als Ursache für Tsunamis bisher unterschätzt worden“, sagt Claus Milkereit, Seismologe am GeoForschungszentrum Potsdam. In den Ozeanen gibt es riesige Gebirge mit Steilhängen und Canyons von mehreren Tausend Meter Tiefe. Selbst der Grand Canyon wirkt gegen sie zwergenhaft. Wie diese Hänge genau aussehen, und wo sie instabil oder schon abgebrochen sind, bringen neue Messungen allmählich ans Licht. Erst seit einigen Jahren gibt es Forschungsgeräte wie das Fächersonar, um die Ozeanböden großflächig danach abzusuchen. Doch die Wissenschaftler wissen bereits seit den achtziger Jahren, dass es vor der norwegischen Küste einst eine große Rutschung gegeben hat. Storegga heißt dieser Teil des Nordatlantiks. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, ist dabei eine Fläche von der Größe Islands 2000 Meter tief abgestürzt.

Alastair Dawson, heute Professor an der University of Aberdeen, suchte Ende der achtziger Jahre nach Zusammenhängen zwischen dieser Entdeckung und schon länger bekannten Beobachtungen. An vielen Stellen Schottlands hatten Archäologen und Geologen in den Mooren und unter Wiesen seltsame Schichten mit Sand, Steinen und Meerespflanzen entdeckt. Teilweise waren diese Schichten über einen Meter dick – und sie waren im selben Zeitraum entstanden: vor etwa 8000 Jahren. Bis dahin hatte man angenommen, dass es in dieser Zeit viele Sturmfluten gab. Dawson schloss etwas anderes: Die Storegga-Rutschung hatte einen Tsunami ausgelöst, der Nordeuropa überschwemmte.

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Diese Hypothese wurde inzwischen von vielen Forschern bestätigt und verfeinert. Sie entdeckten, dass sowohl Teile Großbritanniens als auch Norwegens und Islands vor rund 8000 Jahren von bis zu 30 Meter hohen Wellen überschwemmt wurden. Und sie fanden die Spuren von zwei weiteren kleineren Tsunamis in Nordeuropa vor 30 000 und vor etwa 6000 Jahren. Ob der große Tsunami die heutige deutsche Bucht erreichte, ist bislang noch nicht erwiesen. Möglicherweise überschwemmte er sogar das Gebiet der heutigen Niederlande.

Die Untersuchung von Sedimenten ist inzwischen eine gebräuchliche Methode, um Tsunamis vergangener Zeit aufzuspüren. Das Ziel ist, herauszufinden, wo und wie oft Küsten von den Riesenwellen getroffen wurden. „Es handelt sich stets um Schichten an Stellen, wo sie nicht hingehören, zum Beispiel Ton in Sümpfen“, sagt Helmut Echtler, Geologe am GeoForschungszentrum Potsdam. „Außerdem ist die geologische Schichtung dort nicht normal – man findet grobes Material, wo eigentlich feines sein sollte.“ Tsunamite nennen die Forscher diese markanten Spuren, die viele Stellen der Welt markieren.

Echtler hat gerade solche Tsunamite in einem Jahrhunderte alten Seelöwenfriedhof an der chilenischen Pazifikküste entdeckt. Eine Riesenwelle hatte dort die Tiere überrascht und sie unter einer dicken Schicht Meeresboden begraben. Solche biologischen Spuren helfen den Forschern bei der Datierung eines Unglücks. So verraten die Pflanzenreste im Sediment, dass der verheerende nordeuropäische Tsunami im Herbst kam.

Was die gewaltige Rutschung damals ausgelöst hat, ist noch nicht geklärt. „Es gibt zwei Theorien“, sagt Timothy Reston, stellvertretender Direktor des Meeresforschungsinstituts IFM-GEOMAR in Kiel. „Der Grund könnten zum einen eiszeitliche Gletscher-Ablagerungen im Meer gewesen sein. Dieser so genannte Till besteht vor allem aus Ton und enthält in seinen Poren so viel Wasser, dass darüber liegende Gesteinsschichten quasi darauf schwimmen.“ Möglicherweise brachte vor 8000 Jahren ein leichtes Seebeben – wie es in dieser Region häufig ist – die stabile Gesteinsschicht über dem Till ins Rutschen.

Eine andere Erklärung ist brisanter: Vor Norwegen wird – wie auch an anderen unterseeischen Gebirgshängen – das Gestein an den Abhängen durch einen besonderen Zement zusammengehalten: Methanhydrat – gefrorenes Methan. Das Eis sitzt in den Poren der Meeressedimente und verklebt sie zu einer stabilen Einheit. Das Ganze hält allerdings nur, wenn die Temperatur niedrig und der Druck hoch ist. Holt man mit Methanhydrat verklebte Sedimente an die Meeresoberfläche, so zerfließen sie rasch und Gas blubbert heraus.

Vor 8000 Jahren löste sich dieser Zement vor der norwegischen Küste, ist Gerhard Bohrmann, Professor für marine Geologie an der Universität Bremen, überzeugt. Damals hatte sich das Klima geändert. Die Eiszeit war zu Ende, es war wärmer geworden. Das könnte die Hydrate zerstört und Gas freigesetzt haben. Der bindende Zement der Gebirgshänge hätte sich dadurch aufgelöst, und im Inneren wären explosive Blasen entstanden, da freies Gas viel mehr Platz braucht als in Hydrat gebundenes – bis irgendwann der gesamte Hangbereich zusammenbrach.

Sehr wahrscheinlich ist vor knapp sieben Jahren etwas Ähnliches vor Papua- Neuguinea passiert. Am 17. Juli 1998 erschütterte ein Seebeben der Stärke 7,0 dort den Ozeangrund. Das Beben selbst war zu schwach, um einen Tsunami auszulösen, aber es destabilisierte vermutlich den mit Methanhydrat zementierten Kontinentalhang, davon sind inzwischen etliche Forschergruppen überzeugt. Er brach ab und trat eine Riesenwelle los, die über 2100 Menschen tötete. Nach der Entdeckung der Storegga-Rutschung haben Forscher inzwischen etliche alte Abstürze und aktuelle Gefahren entdeckt.

Wenn die Storegga-Rutschung wirklich durch instabiles Hydrat ausgelöst worden ist, hätte dies beträchtliche Konsequenzen. Denn zurzeit erwärmen sich die Weltmeere – wahrscheinlich, weil die Menschheit „Treibhausgase“ produziert. Das könnte zu einem großräumigen Auflösen von Hydraten führen. Außerdem planen einige Energie-Konzerne Eingriffe in die Hydratfelder, um das energiereiche Gas zu fördern. Wissenschaftler wie Gerhard Bohrmann mahnen deshalb zur Vorsicht und wollen, dass man die Hydrate genau untersucht, bevor sie abgebaut werden.

Szenenwechsel: Von Norwegens sturmgepeitschten Küsten an die lieblichen Gestade des Mittelmeers. Auch hier drohen Hangrutsche und Tsunamis. Und das ganz besonders an einem Küstenabschnitt, den Jahr für Jahr Millionen Besucher belagern: an der Côte d’Azur und der ligurischen Riviera. Denn die malerische Steilküste, gesäumt von Touristenhochburgen wie San Remo und St. Tropez, endet nicht an der Wasserlinie. Sie fällt schroff ab bis in die Nachtschwärze der mediterranen Tiefsee. Auf der Höhe von Nizza, wo die Mündung des Flusses Var in einen steilwandigen Untersee-Canyon führt, ist das Meer schon fünf Kilometer vor der Küste 1100 Meter tief.

Ohne zu ahnen, dass man mit dem Feuer spielte, wurde dort in den siebziger Jahren eifrig gebaut. Der Flughafen von Nizza war aus allen Nähten geplatzt. Eine zweite Rollbahn war nötig, wozu das Gelände durch Aufschüttungen ins Meer vorgeschoben werden musste. 1975 begannen die Arbeiten auf der damals größten Baustelle Europas. Die Flughafenfläche wurde bis 1978 auf 380 Hektar verdoppelt. Die Regionalverwaltung beschloss, bei dieser Gelegenheit gleich einen zweiten Hafen außen an das aufgeschüttete Gelände anzubauen.

Dann kam der 16. Oktober 1979. Das schlechte Wetter hatte die Nachsaison-Urlauber in die Restaurants getrieben. Einige Angler harrten am Wasser aus, und eine Handvoll Arbeiter werkelten auf der Mole des neuen Hafens, die sich 300 Meter lang in die See hinausschob. Es war gegen zwei Uhr nachmittags, als sie plötzlich im Wasser versank – und mit ihr das neu aufgeschüttete Gelände, rund fünf Millionen Kubikmeter.

Eine Lawine donnerte den Unterwasser-Canyon des Var hinunter. Gegen 17.45 Uhr zerriss sie ein Unterwasser-Telefonkabel 80 Kilometer vor der Küste, gegen 22 Uhr ein zweites in etwa 110 Kilometer Entfernung. Erst am Fuß des Bergmassivs, dessen Spitze als Insel Korsika aus dem Wasser ragt, kam sie in 2650 Meter Tiefe zur Ruhe. Spätere Explorationen mit einem unbemannten Tauchfahrzeug zeigten bis zu acht Meter hohe Gerölldünen auf dem Grund des Canyons.

Als der neue Hafen im Meer verschwunden war, sank der Wasserspiegel zunächst. Einige Minuten später rollte der Tsunami heran. In Nizza selbst richtete er kaum Schäden an, und entlang eines 100 Kilometer langen Küstenabschnitts war er nicht höher als eine größere Brandungswelle. Doch den Nachbarort Antibes, zehn Kilometer westlich von Nizza, traf es hart. Hier pflückte eine zwei bis drei Meter hohe Woge Angler von den Klippen, zerstörte Hafenanlagen und krachte mit vernichtender Wucht in die ufernahen Gassen. Sechs Menschen starben.

Dass es nicht mehr Tote gab, war reines Glück, sagen Bruno Savoye und seine Kollegen vom französischen Meeresforschungsinstitut IFREMER: Die Katastrophe geschah an einem Oktobertag bei schlechtem Wetter. Wie hätte die Bilanz wohl an einem sonnigen Julitag ausgesehen? Klar ist für die Forscher: Ein solcher Hangrutsch kann an den Steilhängen des Mittelmeers jederzeit wieder passieren – nicht unbedingt durch menschliche Schuld, sondern auch als Folge eines Erdbebens. Und die gibt es im Mittelmeer zuhauf.

Gigantische Ausmaße können Hangrutsch-Tsunamis bekommen, wenn nicht nur eine Hafenmole, sondern die Flanke eines Bergs ins Wasser rauscht. Das ist in der Erdgeschichte mehrfach geschehen – und kann sich jederzeit wiederholen:

• Vor 110 000 Jahren stürzte auf Hawaii ein Hang des Mauna Loa ins Meer und erzeugte einen gewaltigen Tsunami, wie Gary McMurtry von der University of Hawaii aus Sedimentfunden auf den anderen hawaiianischen Inseln herausgelesen hat. Die Rutschung hätte demnach Meerwasser sechs Kilometer weit ins Innere der Inseln getrieben.

• Auf den Kanaren sind sowohl die Cumbre Vieja auf La Palma als auch der Teide auf Teneriffa gefährdet. Simon Day vom Benfield Greig Risikoforschungszentrum in London, der mit Alastair Dawson im Tsunami Risk Project arbeitete, schätzt, dass sich an der Cumbre Vieja 400 bis 1200 Milliarden Tonnen Gestein auf einmal lösen könnten.

Schon vergleichsweise kleine Rutschungen können katastrophale Folgen haben. Im letzten Jahrhundert sind mehrere davon belegt:

• Gleich dreimal – 1905, 1936 und 1950 – brach ein Berg über dem norwegischen See Lovatn bei Bergen ab und warf jedes Mal über eine halbe Million Kubikmeter Gestein ins Wasser. Am gegenüber liegenden Ufer – etwa 10 Kilometer entfernt – löschten 44 Meter (1905) und 70 Meter (1936) hohe Wellen zwei Dörfer aus und schleuderten ein Ausflugsschiff 350 Meter weit ins Land. 1950 gab es keine Opfer, denn niemand mochte mehr an diesem See leben.

• Die höchste je gemessene Welle entstand 1958 in der Lituya Bay im Süden Alaskas. Aus 900 Meter Höhe fielen 40 Millionen Kubikmeter Fels in die Bucht und erzeugten am anderen Ufer eine 524 Meter hohe Welle. Noch heute kann man am Verlauf der Vegetation das Ausmaß der damaligen Verwüstung erkennen.

Was große Hangrutsche oder Bergstürze für Europa bedeuten würden, können die Forscher bislang nur schätzen. Ähnliche Folgen wie der verheerende Weihnachts-Tsunami in Südost-Asien könnte es haben, wenn die Flanke der Cumbre Vieja auf La Palma ins Meer stürzen würde. Vor allem die Ostküste Amerikas wäre gefährdet, aber auch die Küsten Westeuropas.

Diese Szenarien beruhen bislang nur auf Schätzungen. Was wirklich passieren könnte, weiß niemand. „Aber das wird sich durch den Tsunami in Südostasien ändern“, betont Cord Papenberg, Geophysiker am IFM-GEOMAR. „So grausam die Katastrophe für die Menschen ist, sie wird die Forschung vorantreiben.“

Bei einer erneuten großen Rutschung im Storegga-Gebiet würden im direkten Umfeld des Hangabsturzes Ölförderanlagen und -leitungen mit in die Tiefe gerissen. Da ein Teil des Meeresbodens wegrutscht, sackt der Meeresspiegel zuerst ab, dann strömt das Wasser zurück und zwar so heftig, dass der Wasserstand kurzzeitig um 100 Meter und mehr steigen kann, schätzen Dawson und Day in ihrem Bericht des Tsunami-Risk-Projekts. Dann kollabiert der Wasserberg – und erzeugt einen gewaltigen Tsunami. Ölplattformen in der Nähe des Kollaps werden den Aufprall wahrscheinlich nicht überstehen. Mehrere Dutzend oder sogar mehrere Hundert Kilometer entfernte Plattformen sind nicht gefährdet, da der Tsunami mit seiner großen Wellenlänge auf die Küste zurasen und sich erst in flachem Wasser in eine Riesenwelle verwandeln wird (siehe Kasten rechts „Die Physik der Killerwelle“ ). Die Ölförderanlagen in der Nordsee stehen meist in 70 bis 150 Meter tiefem Wasser.

Wahrscheinlich würde die Welle weite Teile der Küsten Westnorwegens, Ostschottlands und der Shetlands verwüsten und viele Menschenleben kosten. Die Infrastruktur wäre zum großen Teil zerstört, denn in diesen Ländern liegen fast alle Siedlungen und großen Städte direkt am Meer. Niemand weiß, wann die nächste Storegga-Rutschung stattfinden wird. Da in Nordeuropa kein umfassendes Warnsystem existiert, wird es wohl im Notfall keinen Tsunami-Alarm geben. ■

Thomas Willke und Thorwald Ewe

COMMUNITY INTERNET

bild der wissenschaft berichtet regelmäßig über Fortschritte in der Tsunami-, Gashydrat-, Meeres- und Erdbebenforschung. Die Artikel finden Sie in unserem Archiv:

www.wissenschaft.de/bdw

Simulation des nordeuropäischen Tsunamis: www.geomar.de/projekte/gashydrate/c_report3.html

Das Tsunami-Risk-Projekt bietet eine ausführliche Dokumentation zu den nordeuropäischen Tsunamis:

www.nerc-bas.ac.uk/tsunami-risks/index

Es gibt zwei funktionierende Tsunami-Warnsysteme:

1. West Coast & Alaska Tsunami Warning Center in Alaska:

wcatwc.arh.noaa.gov

2. Das Pacific Tsunami Warning Center (PTWC) auf Hawaii:

www.prh.noaa.gov/ptwc/

International Tsunami Symposium mit Fachbeträgen zu allen Tsunami-Themen, inklusive Rutschungen:

www.pmel.noaa.gov/its2001/

LESEN

Fachbuch zum Thema (auf Englisch):

Jean-P. Bardet, u.a.

Landslide Tsunamis

Birkhäuser 2004

435 S., € 57,78

Methanhydrat und der Storegga-Tsunami haben den Autor Frank Schätzing zu einem intelligenten und packenden Science- Fiction-Thriller inspiriert:

Frank Schätzing

Der Schwarm

Kiepenheuer & Witsch 2004

998 S., € 24,90

Die Hintergründe des (vor der aktuellen Katastrophe) verheerendsten Tsunamis der Menschheitsgeschichte:

Simon Winchester

Krakatau

Knaus 2003

367 S., € 23,90

KONTAKT

Haben Sie weitere Fragen? Albert Gerdes und seine Kollegen vom Zentrum für marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen beantworten sie kompetent und allgemein verständlich:

Tel. 0800 |218 218 2 (gebührenfrei) Oder im Internet unter:

www.marum.de/ WAT_-_Wissenschaft_am_Telefon.html

Ohne Titel

Erst seit kurzem wissen die Forscher, dass das Abrutschen von Kontinentalhängen im Meer zu riesigen Tsunamis führen kann. Prinzipiell sind alle Meereshänge gefährdet, wo der Flachwasserbereich (hellblau) in die Tiefsee (mittel- bis dunkelblau) hinabfällt. Obendrein drohen einige instabile Bergflanken ins Meer zu stürzen. Inzwischen haben die Forscher an einigen Orten nachgewiesen, dass sich dort Tsunamis durch Hangrutsche ereignet haben (rote Punkte auf der Weltkarte) oder drohen (weiße Punkte):

· Vor der norwegischen Küste vor etwa 30 000, 8000 und 6000 Jahren.

· Am Kontinentalhang von Costa Rica und des US-Bundestaats Oregon. Beide Rutschungen sind noch nicht datiert.

· Im letzten Jahrhundert führten nachweislich Rutschungen an der Küste von Alaska (1958 und 1964), vor Nova Scotia, Kanada (1929), vor Nizza (1979) und an der Pazifikküste von Neuguinea (1998) zu Tsunamis.

· Am Kontinentalhang vor Kap Hatteras (North Carolina/USA) ist eine riesige Fläche so instabil, dass Forscher dort eine Tsunami-Gefahr sehen.

· Auf Hawaii und den Kanaren gibt es instabile Vulkanflanken, die ins Meer zu stürzen drohen. Auf Hawaii ist dies vor 110 000 Jahren und auf den Kanaren vor 185 000 Jahren geschehen.

Der Kontinentalhang vor Norwegen und den Britischen Inseln (untere Karte) ist an vielen Stellen in den vergangenen Jahrtausenden abgebrochen (rot gestrichelte Bereiche). Eine gigantische Fläche von der Größe Islands stürzte bei der „ Storegga-Rutschung“ vor Westnorwegen in die Tiefsee. In dieser Meeresregion entstanden wahrscheinlich drei Tsunamis in den letzten 30 000 Jahren. An vielen Orten Nordeuropas (rote Punkte auf der Karte unten) findet man an Land Ablagerungen von Meeressedimenten (Tsunamiten), die die Riesenwelle dort zurückgelassen hat. Ob der Tsunami so weit nach Süden vorgedrungen ist, dass er die Niederlande erreichte, ist noch nicht endgültig geklärt. Und völlig unklar ist, wann sich der nächste große Tsunami ereignen wird.

Ohne Titel

Das Bild stimmte einfach nicht. Wann immer man unmittelbar nach der Flutkatastrophe Weihnachten 2004 in Fernsehen oder Zeitschriften ein Symbolbild für den Tsunami sah, war es eine der faszinierenden Riesenwellen vor Hawaii. Jeder Surfer weiß, dass eine solche Welle von zehn Meter Höhe keinen Schaden am Strand oder gar im Hinterland anrichtet. Die Katastrophenwellen in Südostasien waren dagegen zum Teil nur drei Meter hoch – wie man bald auf Amateurvideos sah – und wirkten von vorne zum Teil so harmlos, dass die Menschen am Strand blieben. Aber sie waren tödlich.

Der Grund liegt in der völlig unterschiedlichen Natur der beiden Wellenarten. „Normale“ Meereswellen werden vom Wind an der Wasseroberfläche angetrieben und reichen nicht tief ins Wasser. Erlahmt der Wind, schläft auch die Welle bald ein.

Ganz anders der Tsunami: Seine Kraft erhält er durch gewaltige Schläge (Seebeben oder Bergstürze). Diese Kraft wirkt auf die gesamte Wassersäule – in tiefen Ozeanen also mehrere Tausend Meter. Die Welle breitet sich vom Entstehungsort in alle Richtungen aus. Dabei wird kaum Wasser bewegt – was durchs Meer rast, ist die riesige wellenerzeugende Energie.

Darum ist ein Tsunami auch so ungeheuer schnell. Seine Geschwindigkeit hängt von der Wassertiefe ab. Mathematisch ausgedrückt: Die Tsunamigeschwindigkeit v ist gleich der Quadratwurzel aus der Wassertiefe h in Metern mal der Erdbeschleunigung g (9,81 m/s2), v = Eh*g. In 4200 Meter tiefem Wasser ist die Welle also 750 Stundenkilometer schnell. Ihre Wellenlänge misst bis zu 700 Kilometer – windgetriebene Wellen erreichen dagegen maximal 200 Meter. Und je größer die Wellenlänge ist, umso kleiner sind die Energieverluste, wenn die Welle sich fortbewegt. An der Küste wird das Wasser flacher: Darum sinkt die Geschwindigkeit auf bis zu 30 Stundenkilometer, je nach Meeresgrund, aber die gewaltige Energie bleibt nahezu erhalten. Durch sie werden riesige Mengen von Wasser mitgerissen und zum Teil kilometerweit ins Land gedrückt.

Manchmal steilt sich die Welle extrem auf – im nordeuropäischen Tsunami vor etwa 8000 Jahren gab es anscheinend 30 Meter hohe Wellen –, aber vor allem hört bei schweren Tsunamis, wie dem in Südostasien, die Welle nicht nach einigen Metern auf. Es ist, als ob sich das Meer schlagartig um mehrere Meter gehoben hätte und nun ins Land wandert.

Es gibt allerdings auch Tsunamis mit hohen Wellen ohne nachfolgende Flut. Zum Beispiel im Mai 2003 auf Mallorca nach einem Erdbeben in Algerien: Dort trafen plötzlich in mehreren Häfen etliche Riesenwellen nacheinander ein und zerschlugen alles. Von diesem Phänomen hat der Tsunami seinen Namen (japanisch: tsu = Hafen, nami = Welle). „Wie ein Tsunami aussieht, hängt stark davon ab, durch welche Erdbewegungen er entsteht, wo der Entstehungsort liegt und wie die Küste geformt ist, auf die er trifft“, sagt Cord Papenberg, Geophysiker am IFM-GEOMAR in Kiel.

Nicht immer zieht sich das Wasser vor einer Tsunami-Welle vom Strand zurück. Nur wenn das Wellental zuerst kommt, verschwindet das Wasser. Da es sich um einen Riesenwelle handelt, ist auch das Tal entsprechend gigantisch und kann mehr Wasser wegnehmen als jede Ebbe. „In der Regel trifft an einem Ufer, das nahe beim Entstehungsort liegt, zuerst das Wellental ein, wie es in Thailand geschehen ist“, sagt Papenberg. „Bei dem fern gelegen Sri Lanka war es umgekehrt. Da fehlte sogar diese Warnung.“

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