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Lichtblick

Gesundheit|Medizin

Lichtblick
Für Blinde sind sie oft die letzte Hoffnung: die Augen von Toten. In eigens dafür angelegten Augenbanken werden die Sehorgane für ein zweites Leben vorbereitet.

Glitschig wirkt es, das tote Auge. Trotzdem scheinen seine Blicke den Besucher zu durchdringen – kalt starrt es ihn aus der kleinen Glasflasche mit der roten Flüssigkeit an. Den meisten Menschen jagt ein solcher Anblick einen kalten Schauer über den Rücken. Nicht so den Spezialisten in Europas Augenbanken: Routiniert zerteilen sie die Sehorgane, trennen Hornhäute und die schützende Sklera, die Lederhaut, ab. Etwa 4000 Menschen warten jährlich allein in Deutschland ungeduldig auf das Ergebnis ihrer Arbeit: eine „neue“ Hornhaut.

Nur eine glatte, klare Hornhaut kann auf der Netzhaut ein scharfes Bild erzeugen. Ist sie getrübt oder stark vernarbt – zum Beispiel durch eine Herpeserkrankung des Auges – hilft nur eine Transplantation. Die Narben machen die Oberfläche der Hornhaut uneben und auf der Netzhaut kommt nur ein unscharfes Bild an. Auch Säure und Verbrennungen können zu solchen Narben führen. Eine Transplantation brauchen außerdem Menschen mit bestimmten angeborenen Augenerkrankungen, zum Beispiel einem Keratoconus, bei dem die Hornhaut kegelartig ausgestülpt ist.

„Meistens entfernen wir bei einer Transplantation alle Schichten der verformten oder getrübten Hornhaut“, erklärt Tobias Neuhann, Chirurg an der Münchner Augenklinik am Marienplatz. „ Dazu schneiden wir über der Pupille eine sieben bis acht Millimeter große kreisförmige Scheibe aus der Hornhaut des Patienten heraus und nähen stattdessen eine gesunde, klare Spender-Hornhaut ins Loch.“

Bei manchen Menschen reicht es aus, wenn die Augenexperten nur den oberen, geschädigten Teil der Haut entfernen. Oder sie nähen die Spender-Hornhaut auf die vollständige Patienten-Hornhaut auf – quasi als „lebendige Kontaktlinse“. Das hat den Vorteil, dass die Ärzte das Auge des Patienten nicht öffnen müssen. Die Gefahr möglicher Komplikationen, wie das Eintrüben der transplantierten Hornhaut oder eine undichte Naht, ist so geringer.

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Für den Heilungsprozess müssen die Patienten Geduld aufbringen, denn erst nach neun bis zwölf Monaten ziehen die Ärzte die Fäden. Aber: Die Hornhaut-Transplantation gehört zu den erfolgreichsten Organ- und Gewebeverpflanzungen, da es natürlicherweise keine Probleme mit dem Immunsystem gibt. Normalerweise ernähren sich Gewebe über das Blut, in dem neben den benötigten Nährstoffen auch Wächtermoleküle sind. Erkennen diese Moleküle die Zellen eines transplantierten Organs als körperfremd, geben sie das Signal zur Vernichtung. Die Folge: Der Körper stößt das neue Organ ab. In der Hornhaut befördert dagegen die Tränenflüssigkeit die Nährstoffe. Blutgefäße gibt es dort nicht – und damit auch keine Wächtermoleküle. Das Hornhaut-Transplantat geht dem Immunsystem schlichtweg durch die Lappen. Sind dagegen Blutgefäße krankhaft in die Hornhaut eingewachsen – wie es bei massiven und immer wiederkehrenden Augenerkrankungen sein kann – muss die Blutgruppe des Hornhaut-Spenders mit derjenigen des Patienten übereinstimmen. Die Patienten brauchen eine „typisierte Hornhaut“, wie die Augenexperten sagen. „Ist das Auge vor der Operation nicht entzündet, und sind in der Hornhaut keine Gefäßeinsprossungen vorhanden, gelingen uns etwa 90 Prozent der Transplantationen“, begeistert sich Chirurg Neuhann. „In komplizierten Fällen liegt die Erfolgsrate immerhin bei etwa 60 Prozent.“

Doch bevor die Hornhaut eines Spenders ein anderes Auge wieder sehen lässt, müssen die Techniker der Augenbank sie zunächst gründlich untersuchen. „Struktur, Dichte und damit die Funktion der Zellen müssen stimmen“, erklärt Andrea Gareiss-Lok, Geschäftsführerin der Hornhautbank in München. „Liegt die Zahl der Zellen pro Transplantat unterhalb von 2200, hält die Hornhaut eventuell nicht das ganze Leben lang.“ Denn die Zelldichte nimmt im Laufe des Lebens ab, und auch der Stress der Transplantation kostet die Hornhaut einige Zellen.

Die Techniker und Ärzte prüfen zudem das Blut des Spenders. Aids oder Hepatitis darf er nicht haben, da sie sich über die Hornhaut auf den Patienten übertragen könnten. Auch für die Lebensgeschichte des Spenders interessiert sich Andrea Gareiss-Lok. „Hat er ein Trauma erlitten – zum Beispiel einen Schlag auf das Auge – oder hatte er bereits Augenoperationen, könnte das die Zellen geschädigt haben.“

Die Hornhaut muss nicht nur bestimmten Qualitätsmerkmalen genügen, sie muss auch zum Patienten passen. Für einen jungen Patienten suchen die Experten eine junge Hornhaut mit hoher Zelldichte heraus, da die Hornhaut bei ihm noch länger durchhalten muss als bei einem älteren Patienten.

Um die passenden Hornhäute zu bekommen, fragen die Fachleute auch schon mal bei den Kollegen einer anderen Augenbank nach. Von denen gibt es in Deutschland etwa 15, die im großen Maßstab arbeiten. Unter dem Namen „European Eye Bank Association“ (EEBA) haben sich die europäischen Hornhautbanken zusammengeschlossen und helfen sich gegenseitig, die passenden Hornhäute zu beschaffen.

„Doch in zehn Jahren werden wir vermutlich keine Spender-Hornhäute mehr brauchen“, hofft Friedrich Kruse, Professor am Universitätsklinikum Erlangen. Der Grund für seinen Optimismus: Weltweit versuchen Forscher, die lebenden Ersatzteile in der Petrischale zu züchten. „Tissue engineering“ heißt das Zauberwort. Der große Vorteil künstlicher Hornhäute ist offensichtlich: Die Patienten wären nicht länger auf Spender-Hornhäute angewiesen. Ärzte könnten die menschlichen Linsen quasi auf Bestellung anfertigen. Auch das Risiko einer Abstoßung – etwa bei entzündeten Hornhäuten – oder der Übertragung von Krankheitskeimen könnte man weitgehend ausschalten, da die Zellen vom Patienten selber stammen.

Die ersten Schritte haben die Forscher bereits getan. „Ganze Hornhäute können wir noch nicht herstellen. Aber wir züchten die äußere Hornhautschicht und implantieren sie in beschädigte Augen“ , erklärt Kruse. Möglich ist dies durch die Stammzellen-Technologie. Die Forscher entnehmen dem gesunden Auge des Patienten Stammzellen aus dem Limbus, einer zellproduzierenden Schicht zwischen Hornhaut und Sklera, dem Augenweiß. Die Zellen sind noch nicht zu einer bestimmten Zellart herangereift und können sich je nach Bedarf zu den unterschiedlichen Hornhautzellen entwickeln. Die Gewebezüchter setzen die jungfräulichen Zellen auf Bindegewebe aus Kollagen auf, so genannte Amnionmembranen. Hier wachsen sie zu einer dichten Schicht heran. Diese Zellschicht nähen die Ärzte samt der Amnionmembran in das Auge, wo sich die Membran nach einigen Wochen fast aufgelöst hat. Von dem Membranrest „sieht“ der Patient nichts, und die Zellschicht entwickelt sich in seinem Auge zur äußeren Hornhautschicht.

Eine künstliche äußere Hornhautschicht hilft vor allem dann, wenn die Oberfläche der Patienten-Hornhaut – die „Epithelschicht“ – sich nicht mehr selbstständig erneuern kann. Bei einem gesunden Auge schiebt der Limbus immer wieder Stammzellen in Richtung Pupille, die dort zu Epithelzellen heranreifen und die Hornhaut nach außen abdichten. Ist der Limbus aber zum Beispiel durch eine Verätzung beschädigt, kann er keine Zellen mehr nachschieben. Die Folge: Die äußere Schicht wird löchrig – und das Infektionsrisiko steigt. Zudem wächst eine Bindehaut, die das Auge langsam erblinden lässt. Hier kann eine neue Hornhaut nicht helfen, denn sie würde mit der Zeit genauso löchrig wie die alte sein. „Wir erneuern darum zunächst die Hornhautschicht, indem wir eine gezüchtete Epithelschicht auf das Auge nähen“, erklärt Kruse. „ Hat sich der Limbus erholt, können die Ärzte bei Bedarf eine komplette Spender-Hornhaut einsetzen.“

Einen anderen Weg beschreiten Forscher der Augenbank im italienischen Mestre. Sie verwenden keine Amnionmembranen, da ihre Dicke – wie bei jedem biologischen Gewebe – von Membran zu Membran unterschiedlich ist. „Wir züchten eine Epithel-Hornhautschicht aus Stammzellen auf Fibrin-Trägern“, sagt Graziella Pellegrini, die das Stammzellen-Labor der Augenbank leitet, „denn sie lässt sich standardisieren.“ Die Fibrin-Träger haben stets die gleiche Dicke – und man braucht die Substrate nicht in das Auge zu nähen. Sie sind so klebrig, dass sie von selber halten. „Außerdem löst sich das Fibrin-Substrat innerhalb von 24 Stunden nach der Implantation auf“, betont Pellegrini. Seit 1998 setzen sie und ihre Kollegen die Methode im Klinikalltag ein, 120 Patienten haben sie bereits erfolgreich behandelt.

„Bisher sind wir die Einzigen, die diese Methode routinemäßig anwenden“, sagt Pellegrini. „Aber ich bin mir sicher, dass es bald viele tun werden.“ Trotzdem – bis zur kompletten Labor-Hornhaut ist es noch ein langer Weg. Denn die äußere Hornhautschicht muss nur schützen, eine komplette Hornhaut aber muss dem Augeninnendruck standhalten können – und das schafft bislang kein Laborkonstrukt. ■

Janine Drexler

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www.hornhautbank-muenchen.de

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www.hsk-wiesbaden.de

Aukammallee 39

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Tel. 0611| 43 61 65

Ohne Titel

bild der wissenschaft: Warum gibt es in Deutschland nur so wenige Spender?

NEUHANN: Das liegt vor allem an der fehlenden Aufklärung. Denn bei dem Wort „Organspende“ plagt viele die Horrorvorstellung, dass einem die Organe entnommen werden, bevor man wirklich tot ist. Tatsächlich müssen die meisten Organe innerhalb weniger Stunden entnommen werden, bevor der Körper auskühlt – Hornhäute kann man dagegen noch bis zu 20 Stunden nach Eintreten des Todes entnehmen. Die Angst ist hier also vollkommen unbegründet. Und was viele auch nicht wissen: Es gibt nahezu keine Altersbegrenzung für Hornhaut-Spender. Auch Menschen, die mit 85 Jahren sterben, können anderen ihr Augenlicht schenken.

bdw: Was ist in Italien anders gelaufen?

NEUHANN: Die Mitarbeiter der venezianischen Augenbank haben gemeinsam mit den Politikern eine große Kampagne gestartet, die vielen Menschen die Angst genommen hat. Anders als in Italien unterstützen die Politiker in Deutschland solche Aktionen nicht besonders. Auch die Industrie hat kein Interesse, die Lobby zu verbessern. Denn an Hornhäuten lässt sich nicht viel verdienen. Insgesamt sind wir eher eine Nehmergesellschaft. Geben liegt hier nicht so im Trend.

bdw: An wen können sich potenzielle Spender wenden?

NEUHANN: Am besten an eine der großen Augenbanken, beispielsweise in Hamburg, Berlin, Wiesbaden oder München. Dort tragen wir sie als Spender ein. Stirbt der Spender, sollten uns Angehörige oder das Klinikpersonal möglichst schnell informieren.

Ohne Titel

· • Hornhaut-Transplantationen gehören zu den erfolgreichsten Organübertragungen. • Wissenschaftler forschen an künstlichen Hornhäuten aus Stammzellen des Patienten.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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