Für den amerikanischen Energieminister Bill Richardson öffnet das supraleitende Kabel, mit dem im nächsten Jahr eine Transformatorenstation in Detroit angeschlossen wird, das „Tor zu den künftigen Superautobahnen der Elektrizität“. Es wird die weltweit erste Verbindung im öffentlichen Stromversorgungsnetz sein, die den Strom nahezu verlustfrei überträgt. Dabei soll das 125 Kilogramm schwere Kabel vorhandene Kupfer-Leitungen mit einem Gesamtgewicht von 9000 Kilo ersetzen.
Weniger Energie, die ungenutzt verpufft, und dadurch weniger Treibhausgase: Mit dem 5,5 Millionen teuren Detroiter Demonstrationsprojekt scheint endlich in Erfüllung zu gehen, wovon Wissenschafter, Umweltschützer und Stromkonzerne schon seit 1986 träumen. Damals entdeckten die IBM-Forscher Johannes Georg Bednorz und Karl Alex Müller, daß der elektrische Widerstand von Keramiken aus Barium, Lanthan und Kupferoxid bei einer Sprungtemperatur von über minus 243 Grad Celsius fast verschwindet.
Sofort begannen zahlreiche Labors in Europa, Japan und den USA damit, die Eigenschaften dieser sogenannten Hochtemperatursupraleiter zu untersuchen und die Sprungtemperatur durch Einbau anderer Elemente soweit zu erhöhen, daß für deren Kühlung flüssiger, minus 196 Grad Celsius „warmer“ Stickstoff eingesetzt werden konnte.
Die Hochtemperatursupraleiter (HTS) erwiesen sich zunächst als zu spröde, um aus ihnen konventionell Drähte zu ziehen. Doch 1996 stellten beispielsweise Forscher von Siemens 400 bis 600 Meter lange Leiter vor, deren Sprungtemperatur bei minus 163 Grad Celsius lag. Sie hatten das keramische HTS-Material als Pulver in dünne Silberröhrchen gepreßt, mehrere davon zu Bündeln zusammengefaßt und diese zu mehrfaserigen Drähten verarbeitet.
Inzwischen ist der Siemens-Bereich „Starkstromkabel“ – und damit auch die HTS-Aktivität – an die Firma Pirelli verkauft, die das Kabel für Detroit herstellen wird. Im Kabel sind die streifenförmigen, mehrfaserigen Drähte so angeordnet, daß sie dünne Rohre bilden, durch die der kühlende Stickstoff strömen kann. Weil der Stickstoff sich dabei kaum erwärmt, bleibt er über die gesamte Kabellänge von 130 Metern hinweg flüssig – bei längeren Kabeln wäre es allerdings nötig, unterwegs über Pumpstationen neues Kühlmittel zuzuführen.
HTS-Kabel haben vor allem in Ballungszentren Chancen: Dort ist die gestiegene Stromnachfrage mit bestehenden Leitungen oft nicht mehr zu befriedigen. Deshalb müssen unter bebauten Flächen neue Kabelschächte ausgehoben werden – das ist schwierig und teuer. „Für die städtische Stromversorgung werden wir in Detroit eine andere Lösung präsentieren“, sagt Gregory Yurek, Präsident der am Projekt beteiligten American Superconductor Corporation. Denn das supraleitende Kabel liefert dreimal mehr Strom als das bisherige, braucht aber nicht mehr Platz und kann in den alten Kabelschacht verlegt werden.
Ernst-Karl Aschmoneit