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„Uns fehlen Mäzene“

Gesellschaft|Psychologie

„Uns fehlen Mäzene“
Vor wenigen Monaten wurde mit Wolfgang M. Heckl ein Wissenschaftler zum Generaldirektor des Deutschen Museums ernannt, der für seine öffentliche Wirkung schon viele Auszeichnungen erhalten hat. Jetzt soll sich seine Ausstrahlung auf das ehrwürdige Haus übertragen.

bild der wissenschaft: Was ist das Besondere an der Einstein-Ausstellung im Deutschen Museum, Herr Professor Heckl? Einzigartige Exponate haben Sie ja nur wenige.

HECKL: Einspruch. Einzigartig sind nicht nur Urkunden, die wir aus Israel bekommen haben. Einzigartig sind auch der „ Elektrozähler“ aus der Münchener Fabrik von Einsteins Vater oder das Joos-Interferometer, mit dem man die damals sehr wichtige Hypothese des Äthers überprüfte und das seit fast 50 Jahren nicht mehr ausgestellt wurde. Überdies steht die Einzigartigkeit der Objekte nicht im Mittelpunkt einer solchen Ausstellung. Viel wichtiger für ein Museum ist es, dass man es schafft, die einzigartige Leistung und Persönlichkeit von Einstein darzustellen.

bdw: Wie kein Wissenschaftsjahr zuvor, wird das Einsteinjahr von der Bundesregierung promotet und mit zehn Millionen Euro unterstützt. Wie profitiert das Deutsche Museum?

HECKL: Es ist gut, dass sich die Bundesregierung allgemein so engagiert. Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass sie unseren Leistungen – Ausstellung und Rahmenprogramm – mehr Aufmerksamkeit schenkt. Einstein war schließlich nicht nur Berliner, sondern hat 15 Jahre seiner prägenden Kindheit in München verbracht.

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bdw: Dass sich die Museen bei den Wissenschaftsjahren, die es in Deutschland seit 2000 gibt, vernachlässigt fühlen, ist immer wieder zu hören.

HECKL: Das trifft leider zu, und ich bedauere das sehr. Gerade Museen sind Orte, wo man durch solche Events Synergien nutzen könnte. Doch wir klagen nicht, sondern gehen in die Offensive. 2006 wird das Deutsche Museum das European Science Open Forum im Rahmen des jährlichen Wissenschaftsjahrs in München veranstalten. Ähnlich wie auf den bereits legendären Treffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) werden dort Mitte Juli 2006 viele Wissenschaftler ihre aktuellen Forschungsinhalte öffentlichkeitswirksam präsentieren und mit der Gesellschaft in einen Dialog treten.

bdw: Wissenschaftler auf den Markplatz zu bringen, wie das von der Initiative Wissenschaft im Dialog gewollt wird, ist Ihnen offenbar zu wenig. Doch wie wollen Sie ein größeres Rad schlagen?

HECKL: Die Idee ist gut. Doch sie allein reicht nicht. Nachhaltigkeit ist nicht so einfach zu erreichen. Schließlich müssen die Wissenschaftler in ihren Labors Wissenschaft betreiben und können sich allenfalls einmal im Jahr einen Aufwand leisten, wie er für diese Marktplatzaktivitäten notwendig ist. Die Museen mit ihren Mitarbeitern arbeiten dagegen kontinuierlich. Eines meiner Ziele in der neuen Position ist es, hier etwas zu bewirken.

bdw: Sie sind jetzt ein halbes Jahr Generaldirektor des Deutschen Museums. Was ist Ihre bisherige Bilanz?

HECKL: Da ich zuvor fünf Jahre im Kuratorium dieses Museums mitgearbeitet habe, kannte ich die Gegebenheiten bereits. Eine erste Bilanz in einem Satz zu ziehen, fällt mir dennoch schwer. Einerseits ist das Haus klasse und einzigartig auf der ganzen Erde. Andererseits haben sich in diesem Museum Probleme angesammelt. Ich habe nicht gedacht, dass die Zahl der Baustellen so groß und die Lage so schwierig ist. Das alles kreist um die Ressourcen: Geld, Gebäudesubstanz und die viel zu wenigen Mitarbeiter. Beispielsweise haben wir – bezogen auf die Ausstellungsfläche – nur ein Sechstel der Mitarbeiter vom British Museum in London oder von La Vilette in Paris. Dennoch sage ich: Wenn hier alles wunderbar wäre…

bdw: …hätten Sie die Aufgabe nicht angenommen…

HECKL: …und ich hätte nicht die Chance, wirklich etwas Neues zu schaffen.

bdw: Was wollen Sie denn konkret ändern?

HECKL: Die Ausrichtung muss sich den neuen Strömungen in der Gesellschaft öffnen, die sich etwa aus den Erkenntnissen von Bio-, Gen- und Nanotechnologie ergeben. Im Hinblick auf die Ressourcen gibt es Gespräche, doch die sind noch nicht so weit gediehen, dass ich etwas in die Öffentlichkeit tragen kann. Natürlich bin ich auch angetreten, um uns mehr privates Sponsoring zu verschaffen – wobei ich dies nur als zusätzliche Einnahmequelle sehe. Denn bei einem Museum wie unserem kann ich den Staat nicht aus seiner Pflicht entlassen. Tatsächlich bekommen wir vom Staat jedes Jahr weniger Mittel zugewiesen.

bdw: Die Besucherzahl stagniert seit Jahren bei knapp 1,5 Millionen.

HECKL: Die Besucherzahl ist nicht unser Problem. Es gibt Tage, da haben wir 200 Busse hier. Mit dem jetzigen Personal könnten wir gar nicht mehr bewältigen. Überdies gehen die Besuchereinnahmen nicht direkt ans Museum, sondern wie bei allen anderen Museen in den vom Finanzminister zugewiesenen Haushalt. Auch hier möchte ich etwas ändern, indem wir zumindest einen Teil unserer Einnahmen über den Haushalt hinaus behalten können. Eines unserer Hauptprobleme sind Abteilungen, die erneuert werden müssten – etwa die Physik. Dazu brauchen wir Großsponsoren. Doch die sind für die Physik schlichtweg nicht zu finden. Bei der Chemie half unser Verwaltungsratsvorsitzender Prof. Wolfgang Herrmann. Hier hat sich der Verband der Chemischen Industrie dankenswerterweise mit mehreren Millionen engagiert.

bdw: In München gibt es namhafte Unternehmen, die sich mit Physik beschäftigen: Siemens, BMW…

HECKL: Anders als früher unterhalten diese Unternehmen aber heute eigene Museen und geben ihre Exponate nicht mehr unbedingt an den Staat, sondern betrachten sie auch als Marketinginstrument.

bdw: Sind staatliche technische Museen also ein Auslaufmodell?

HECKL: Ganz im Gegenteil. Wir sind der Beginn der Wertschöpfungskette. Unsere Gesellschaft lebt vom technisch-naturwissenschaftlichen Know-how, das durch Forscher und Ingenieure zustande kommt. Die Wertschöpfung durch solche Leute beginnt nicht bei der Vermarktung eines Produktes, sondern mit der Begeisterung, die wir via Bildung und Ausbildung bei Kindern und Jugendlichen wecken. Es gibt genügend Beispiele für erfolgreiche wissenschaftlich-technische Karrieren, die ihren Ausgangspunkt in einem Besuch des Deutschen Museums hatten. Für mich ist die naturwissenschaftlich-technische Kultur die erste Kultur in unserer Gesellschaft, von der Kunst, Literatur oder Musik – als zweite Kultur – nur dann gut leben, wenn die erste international erfolgreich ist.

bdw: Dann müssen Ihnen die heute üblichen Dimensionen des Sport- und Kultussponsorings ein Gräuel sein.

HECKL: In der Tat verstehe ich nicht, wie es sich volkswirtschaftlich rechnen soll, für einen Aufkleber an Schumachers Ferrari Millionen auszugeben, von den involvierten Tantiemen ganz zu schweigen.

bdw: Was wollen Sie tun, wenn Sponsorenmittel auch künftig nicht so für das Deutsche Museum fließen, wie Sie sich das wünschen?

HECKL: Wir müssen den Haushalt konsolidieren. Das ist mein Hauptjob. Ich bin nicht primär als Ausstellungsmacher hier, was viele nach meiner Berufung fälschlicherweise geglaubt haben. Dafür habe ich wunderbare Experten. Um den Haushalt zu konsolidieren, müssen wir beispielsweise schauen, wie es dem Museum of Modern Art gelingt, für das neue Haus in New York 600 Millionen Dollar an Sponsorengeldern einzuwerben – eine Summe, die 20 Jahre unseren Etat gewährleisten würde. Wir müssen daran arbeiten, ein solches Mäzenatentum auch hier wieder zu etablieren.

bdw: Wieder?

HECKL: Der Gründer des Deutschen Museums, Oskar von Miller, hätte dieses Museum nie realisiert, wenn er nicht Mäzene um sich geschart hätte.

bdw: Amerikaner haben den Vorteil, dass sie ihre Stiftungsgelder ohne großes Trara von der Steuer absetzen können.

HECKL: Das ist ein wesentlicher Punkt. Ein US-Bürger möchte dem Deutschen Museum gerade liebend gerne etwas stiften. Doch nicht einmal das geht bei unserer Gesetzeslage unkompliziert. Des Weiteren müssen wir ein Klima schaffen, das einen wohlhabenden Bürger unter Druck setzt, etwas von seinem Vermögen direkt der Gesellschaft zukommen zu lassen. Ein Bill Gates beispielsweise ist geradezu verpflichtet, eine Milliarde US-Dollar oder mehr zu stiften. Damit es bei uns dazu kommen kann, muss sich aber auch die Gesellschaft bewegen. Wenn der Inhaber einer großen Einkaufskette etwas für die Wissenschaft tun will – warum in aller Welt soll dann das von ihm gestiftete Gebäude nicht auch nach ihm benannt werden?

bdw: Kümmert sich außer Ihnen im Museum jemand um Sponsoring?

HECKL: Seit zwei Jahren hat das Deutsche Museum eine Sponsoring-Abteilung, aber – ich verrate kein Geheimnis – wir tun uns schwer in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Lage mit dem Einwerben von Geldern, gerade für die Naturwissenschaft und Technik, von der doch die Prosperität unseres Landes abhängt.

bdw: Dann gibt es da noch ein weiteres Problem. Jugendliche finden es nicht mehr cool, ins Museum zu gehen.

HECKL: Kinder kriegen wir zuhauf. Mit 13 oder 14 bleiben die jungen Menschen dann aber oft schlagartig weg. Deshalb habe ich als eine der ersten personellen Entscheidungen zum 1. Februar eine Stelle geschaffen, die Jugendliche für unser Museum gewinnen soll. Wir müssen uns selbst am Schlafittchen packen und zugeben, dass wir nicht viele gute Angebote für Jugendliche haben. Wir haben zwar ein Internet-Café, aber das ist nicht bekannt genug. Auch unsere Homepage ist nicht toll – was ebenfalls mit Ressourcen zu tun hat. Und wir müssen Events kreieren. Jugendliche sprechen sich heute kurzfristig ab, zu welchem Event sie am Samstagabend gehen. Unser Spagat muss es sein, für die Jugendlichen Events zu schaffen und den Traditionalisten ihre Eisenbahn zu erhalten. Ein weiterer Ansatz zur Profilierung muss sein, uns stärker als außerschulischen Lernort zu verankern. Wer kennt in der breiten Öffentlichkeit beispielsweise unser Kerschensteiner Kolleg, in dem wir pro Jahr mehrere Tausend Lehrer weiterbilden, oder unsere Angebote für Schulklassen?

bdw: Was wollen Sie nach fünf Jahren, am Ende Ihrer ersten Bestallungsperiode, erreicht haben?

HECKL: Ein Patentrezept, das wir von anderen Einrichtungen übernehmen könnten, gibt es nicht. Unsere Pfründe liegen in der gewaltigen historischen Dimension. Auf dieser Tradition müssen wir aufbauen, und gleichzeitig müssen wir in der Moderne ankommen. Ein Besucher sollte künftig nicht mehr sagen können, dass der modernste Computer bei uns ein 286er ist. Wir müssen auch das ausstellen, was heute ‚cutting edge science‘ ist, modernste Wissenschaft. Und wir werden den Prozess der wissenschaftlich-technischen Entwicklung aufzeigen. Nicht mehr nur das Gerät, vor dem der Besucher staunend oder auch nicht staunend steht, wollen wir zeigen. Mit meinem Konzept der gläsernen Wissenschaft wollen wir auch dokumentieren, was ein Wissenschaftler macht, wie es zur Erkenntnis kommt – und vielleicht sogar, welche Resultate wir in 50 Jahren haben könnten.

Prof. Dr. Wolfgang Martin Heckl

ist seit Oktober 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums, das pro Jahr fast 1,5 Millionen Besucher anlockt und einen Etat von 30 Millionen Euro hat. Heckl ist Physiker und arbeitete bei der IBM mit Nobelpreisträger Gerd Binnig. Nach der Habilitation 1993 wurde er auf eine Professur für Experimentalphysik der Universität München berufen. 2002 erhielt Heckl (Jahrgang 1958) den Communicator Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und 2004 den Descartes Wissenschaftspreis der Europäischen Kommission – beide für seine Fähigkeiten, Wissenschaft zu popularisieren. Gerd Binnig, Hoimar von Ditfurth, Richard Feynman, Heinz Haber, Carl Sagan und Horst Stern sind hier seine Vorbilder. Im Bild dokumentiert Heckl den photoelektrischen Effekt, für dessen Erklärung Einstein den Nobelpreis erhielt.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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