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Muskelkater statt Hüftbruch

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

Muskelkater statt Hüftbruch
Bewegung ist ein kostenloser Jungbrunnen und die beste Vorbeugung vor Zipperlein und ernsthaften Erkrankungen im Alter.

Es ist nicht nett, was sich da mit fortschreitendem Alter im Körper abspielt. Die Knochen werden mürbe, weil das Kalzium auslaugt, die Glieder steif, weil die Gelenkflüssigkeit versiegt. Zwischen den Rückenwirbeln schrumpeln die Bandscheiben zusammen, und entlang der Nervenbahnen sterben Neuronen ab, so dass die Reflexe zögerlicher und die Bewegungen fahriger werden. Spätestens ab dem 60. Lebensjahr bilden sich die Muskeln vehement zurück, werden weniger und kümmerlicher. An ihrer Stelle schummeln sich Fettzellen zwischen die Muskelfasern. Altern, das bedeutet eine Kette von Veränderungen, die nachteilig, fortschreitend und bisher unumkehrbar sind.

So weit die schlechte Nachricht – aber unumkehrbar heißt nicht unaufhaltsam. Es gebe 60-Jährige, deren Körper das biologische Alter eines 35-Jährigen haben, sagt Urs Granacher, Sportwissenschaftler an der Universität Freiburg. An teuren Anti-Aging-Cocktails oder bedenklichen Hormonspritzen liegt das nicht. Vielmehr ist die nach Meinung vieler Experten beste „Pille“ gegen das Altern sogar kostenlos, darüber hinaus alltäglich wie Luft und für jeden zugänglich: Bewegung.

Körperliche Ertüchtigung, sei es als organisierter Sport oder aktives Alltagsverhalten, tue dem Körper rundherum gut, sagen Mediziner übereinstimmend. Bewegung kurbelt nicht nur den Stoffwechsel an und schmilzt Kreislauf und Gelenke belastende Fettpölsterchen ab, sie senkt darüber hinaus den Blutdruck, das Cholesterin im Blut und das Krebsrisiko, bekämpft Impotenz, erhöht die Libido und bewirkt vieles mehr (siehe Grafik „Die beste Vorbeugung: Sport“). Kurzum: Bewegung ist lebensfördernd, Inaktivität dagegen schädlich, sogar tödlich. In vielen breit angelegten Studien fanden Forscher immer wieder, dass die Sterblichkeit bei körperlich faulen Menschen bis zu einem Drittel höher liegt als bei Vergleichsgruppen von physisch Aktiven. Sich nicht zu bewegen kann demnach fast so gesundheitsschädlich sein wie Rauchen. So tragen Bewegungsmuffel manchen Untersuchungen zufolge ein bis zu 90 Prozent erhöhtes Risiko, an koronaren Herzleiden zu erkranken. Es gibt Schätzungen, wonach in den hoch entwickelten Ländern rund jeder zehnte Tod auf körperliche Inaktivität zurückgeführt werden kann.

Doch anders als beim Rauchen nehmen viele Menschen die Gefahren von Bewegungsmangel nicht ernst. Drei Viertel aller Bewohner Deutschlands treiben gar keinen oder nur wenig Sport, schreibt Herbert Löllgen vom Sana-Klinikum Remscheid im „ Deutschen Ärzteblatt“. Gerade einmal 13 Prozent sind so aktiv, dass es einen messbaren präventiven Effekt hat. Dagegen setzt die Anti-Aging-Industrie mit zum Teil fragwürdigen Wundermitteln jährlich Millionen um. „Gerade bei den Älteren sieht es mit der Bewegung noch schlimmer aus als im Bevölkerungsdurchschnitt“, sagt Granacher. „Der Eintritt in den Ruhestand bewirkt oft mehr als nur einen Rückzug aus dem Berufsleben. Man zieht sich auch von anderen Aktivitäten zurück, eine psychologische Hürde baut sich auf, und die resultierende Inaktivität beschleunigt die ohnehin stattfindenden Alterungsprozesse.“

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Dabei könnten Ältere VIELE körperliche Abbauprozesse abfangen, selbst wenn sie sich zuvor wenig sportlich betätigt haben. „ Gerade wenn das Ausgangsniveau sehr niedrig ist, setzt sehr schnell ein Trainingseffekt ein“, sagt Frank Mayer von der Freiburger Abteilung Rehabilitative Sportmedizin. Eine Reihe kleinerer Studien ergaben, dass sogar Senioren, die bereits krank sind, noch von Sport profitieren können. So litten Patienten mit chronischem Herzversagen, die unter ärztlicher Anleitung trainierten, weniger unter Ermüdung und Kurzatmigkeit als ihre körperlich lethargischen Mitpatienten. Auch mussten sie weniger oft ins Krankenhaus und starben später.

Wie viel Bewegung braucht ein alter Mensch? „Für körperlich Rüstige empfehle ich eine Kombination von Ausdauer- und Krafttraining, die pro Woche zu einem Energiemehrverbrauch von 1500 bis 2000 Kilokalorien führt“, sagt Mayer. Das mag einschüchternd klingen, aber „dazu gehört auch Treppensteigen oder zu Fuß einkaufen zu gehen. Man meint immer, ein bisschen bringe nichts, aber das stimmt nicht.“ Auch wenn es nicht alle Studien bestätigen, gehen viele Mediziner heute davon aus, dass ein kumuliertes Mehr an Bewegung – ein bisschen Radeln hier, etwas Gartenarbeit dort – zahlreiche Gesundheitsrisiken vermindert. Wichtig ist auf alle Fälle: Regelmäßig muss es sein. Dann kann schon ein flotter Spaziergang drei bis vier Mal pro Woche einem Herzinfarkt vorbeugen.

Völlig unbegründet ist die Angst vor Verletzungen. Denn mit Vernunft betrieben, erhöht Sport das Risiko nicht – er senkt es sogar. Die meisten Blessuren im Alter – 63 Prozent bei den über 65-Jährigen – sind laut US-Studien die Folge von Stürzen. Oft werden sie durch so etwas Banales wie eine Falte im Teppich ausgelöst. Weil die Reflexe lahm und die Muskeln schwach geworden sind, können sich viele Ältere nicht mehr halten, wenn sie unvermutet mit einer Fußspitze hängen bleiben. Hilflos fallen sie zu Boden. Rund 30 Prozent der über 65-Jährigen und 45 Prozent der über 80-Jährigen stürzen mindestens einmal pro Jahr. Bei den über 90-Jährigen sind es sogar mehr als die Hälfte.

Ein Sturz aber ist oft der Anfang vom Ende. Fast jeder Fünfte verursacht eine schwere Verletzung – zum Beispiel einen Knochenbruch an der Hüfte. Die Zahl solcher Frakturen wird allein in Westdeutschland auf 70 000 pro Jahr geschätzt, und fast immer sind die Opfer Senioren über 70 Jahre. Einmal ans Bett gefesselt, kommen sie meist nur schwer wieder auf die Beine. Studien haben gezeigt, dass nur 15 Prozent aller Hüftbruch-Patienten sechs Monate nach ihrem Unfall wieder in der Lage sind, selbstständig ohne Hilfsmittel zu gehen. Viele Hüftfraktur-Patienten landen im Pflegeheim. Und fast jeder Vierte ist bereits ein Jahr nach seinem Unfall tot.

Sport hilft, Stürze zu vermeiden, indem er die Muskeln stärkt und den Körper beweglich hält. Als besonders erfolgreich hat sich die sensomotorische oder gleichgewichtsschulende Gymnastik erwiesen, wie sie bereits seit langem in der Reha-Therapie eingesetzt wird. Dabei trainieren die Teilnehmer etwa, auf einem Bein zu balancieren, zunächst auf dem festen Boden, später auf weichen Matten oder Kippbrettern mit halbrunder Unterseite. Besonders Geübten gelingt es sogar, sich gegenseitig Bälle zuzuwerfen, während sie einbeinig auf dem Kippbrett stehen. Was so simpel aussieht, stärkt die Muskeln ebenso sehr wie Krafttraining an Geräten – und es schult die Reflexe. Granacher brachte eine Gruppe von Senioren zwischen 60 und 80 Jahren nach 13 Wochen sensomotorischem Training bewusst zum Stolpern, indem er sie auf ein Laufband schickte, das unvermittelt stoppte, wobei ein an der Decke gesicherter Brustgurt verhinderte, dass jemand tatsächlich stürzte. Die Trainierten reagierten rund 25 Prozent schneller als zuvor. Das zeigte auch im Alltag Wirkung. Während die Teilnehmer vor dem Training im Schnitt 1,5-mal pro Jahr gefallen waren, erlebten sie hinterher durchschnittlich nur noch einen Sturz alle zwei Jahre.

Auch der Geist profitiert, wenn der Kreislauf in Schwung kommt. Bei Ratten lässt körperliches Training nach einem Schlaganfall neue Gefäße im Hirn sprießen, und bei Menschen scheint Sport die kognitiven Fähigkeiten zu schärfen und länger zu erhalten. Sieben Jahre lang beobachteten Forscher der University of Virginia knapp 2300 rüstige Männer im Alter zwischen 71 und 93 Jahren. In dieser Zeit erlagen rund 160 von ihnen einer Demenz, zumeist einer Form von Alzheimer. Besonders häufig davon betroffen waren Männer, die sich so wenig bewegten, dass sie täglich nicht einmal 400 Meter zurücklegten. Sie erkrankten fast doppelt so oft wie jene Studienteilnehmer, die pro Tag mehr als drei Kilometer abschritten.

Hohes Alter ist kein Hinderungsgrund für Sport, wie der Schauspieler Johannes Heesters und der Läufer Philip Rabinowitz zeigen. Ein aktives Leben ist in jeder Lebensphase möglich. Natürlich werden die meisten nicht zu einem Athleten wie Jack LaLanne. Der US-Amerikaner war einst ein gefeierter Bodybuilding-Star. Heute stemmt er immer noch jeden Tag eine Stunde lang Gewichte und schwimmt eine weitere Stunde. Als er im Herbst 90 Jahre alt wurde, plante er, ausgerüstet mit einem Atemgerät, gut 40 Kilometer unter Wasser zu schwimmen. Am Schluss ließ er es bleiben – man munkelt, seine Frau habe es verboten. Aber Angst vor Falten im Teppich hat er bestimmt nicht. ■

Ulrike Eberle

Ohne Titel

Ulrike Eberle ist freie Wissenschaftsjournalistin im niederländischen Leiden. Sie schrieb für bild der wissenschaft auch die Titelgeschichten über „Die Macht der Gerüche“ (4/2004) und die „Weltsprache der 43 Muskeln“ (1/2004).

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