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Knorpel aus eigenem Anbau

Gesundheit|Medizin

Knorpel aus eigenem Anbau
Nicht alle Körperteile sind für ein langes Leben ausgelegt. Knorpel lassen sich bereits in brauchbarer Qualität herstellen, bei Zähnen laufen noch Tierversuche.

Das Material ist fantastisch: völlig natürlich, druckstabil, elastisch. „Es hat einen so niedrigen Reibungskoeffizienten, den erreichen Sie technisch in keinem Wälzlager“, schwärmt Lutz Claes, Sprecher des Kompetenzzentrums für Biomaterialien im Knochenkontakt an der Universität Ulm. Die Huldigung gilt dem Gelenkknorpel – einem bläulich-milchigen Gebilde aus wenigen Zellen, faserigen Eiweißmolekülen und Kohlenhydraten. Wo in Gelenken Knochen auf Knochen trifft, sorgt er für reibungslose Bewegung und dämpft Stöße. Er hat lediglich einen Nachteil: Er ist nur begrenzt haltbar. Mit unserer zunehmenden Lebenserwartung wird das zu einem Problem – die Gelenke verschleißen viel zu früh. Bei den über 60-Jährigen leidet jeder Zweite an Arthrose, einem langsamen Abbau des Gelenkknorpels, der schließlich das Gelenk zerstört.

Knorpel haben ein Problem: Die Selbstheilungskräfte des Körpers reichen oft nicht aus. Schon eine kleine Verletzung – etwa durch einen Sturz beim Skifahren – kann sich unbehandelt einige Jahre später zur Arthrose ausweiten. Der kleine Schaden wirkt ähnlich wie ein Sandkorn im Getriebe: Das Gelenk läuft nicht mehr reibungslos und verschleißt dadurch immer mehr. Schuld daran ist die fehlende Durchblutung des Knorpels. Er bezieht seine Nährstoffe vorwiegend über die Gelenkflüssigkeit, die bei Belastung des Gelenks hineingepresst wird. Der Nachschub reicht, um die wenigen vorhandenen Knorpelzellen zu versorgen, nicht aber, um neues Gewebe zu bilden, das die Verletzungen heilt.

Seit etwa zehn Jahren transplantieren Mediziner darum körpereigene Knorpelzellen in defekte Gelenke. Die Zellzucht im Labor haben sie bereits gut im Griff und seit kurzem können sie Knorpel eingewoben in filzähnlichen Tüchlein oder in einer Art Wackelpudding herstellen. Diese neuen Produkte sollen die Operationen einfacher und das Transplantat langlebiger machen. Vor allem ein paar junge deutsche Firmen und Uni-Forschungsgruppen sind auf diesem Gebiet aktiv.

Bislang fällt es den Chirurgen schwer, die neuen Zellen im Gelenk dauerhaft zu fixieren. „Die Zellen kann man nicht einfach auf die beschädigte Knorpelstelle spritzen“, sagt Claes, „dann schwimmen sie davon.“ Um das zu verhindern, haben Mediziner den Knorpelzellen bisher eine kleine, wasserdichte Höhle eingebaut: Über die Lücke im Knorpel spannen sie ein Stück Knochenhaut, das sie beispielsweise fürs Kniegelenk oben am Schienbeinknochen entnehmen. „Die Technik ist aber nicht ideal, weil man den Knochenhautlappen mit vielen Einzelknoten am umliegenden Knorpel befestigen muss“, kritisiert Claes. Die vielen Stiche und Knoten durchlöchern den gesunden Knorpel, bieten Reibungspunkte für die gegenüberliegende Knorpelfläche und kosten bei der Operation viel Zeit.

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Um dieses Problem zu beseitigen, lassen deutsche Knorpelzüchter seit kurzem die körpereigenen Zellen in einem Gerüst aus Biofasern wachsen, das sich anschließend einfach im geschädigten Gewebe einkleben oder einheften lässt.

Die Firma Ars Arthro AG in Esslingen produziert dazu eine Art Gelee. „Man kann sich unser Transplantat vorstellen wie ein weiches Gummibärchen“, beschreibt Vorstand Thomas Graeve das Produkt. Wie die elastische Leckerei bestehen die Transplantate aus Kollagen – die Quelle hierfür sind Rattenschwänze. Graeve findet das keineswegs ungewöhnlich. „Ratten lassen sich keimfrei züchten, bekommen kein BSE – und außerdem enthalten ihre Schwänze viel Kollagen.“

Die Esslinger züchten die Knorpelzellen nicht in Nährlösungen, wie bei bisherigen Verfahren, sondern direkt im Gelee. Dazu mischen sie die Zellen mit dem Gelee, solange es noch flüssig ist. Anschließend lassen sie die Zellen 10 bis 14 Tage lang im Wärmebrutschrank wachsen und schicken das Knorpel-Gel dann an den Chirurgen des Patienten. „Der Operateur schneidet das Transplantat für den Eingriff entsprechend der Lücke im Knorpel zu und befestigt es mit natürlichem Eiweißkleber im geschädigten Gelenk“, erklärt Graeve. Nach einer solchen Knieoperation dauert es im Schnitt vier Wochen, bis ein Patient das Gelenk wieder belasten darf – das sind zwei Wochen weniger als beim bisherigen Verfahren.

Ähnlich schnell und einfach ist die Methode von Christoph Erggelet, Gewebeforscher an der Universität Freiburg, die er zusammen mit dem Labor für Tissue Engineering an der Charité und der Firma Biotissue in Freiburg entwickelt hat. Die Wissenschaftler benutzen Stoff für den Organersatz – ein locker gewebtes, biologisch abbaubares Vlies von etwa zwei Millimeter Dicke. Es bietet in seinem Inneren viele miteinander vernetzte Hohlräume. Hierin verteilen die Freiburger die vorher gezüchteten Knorpelzellen und fixieren sie mit einem biologischen Klebstoff. Der Chirurg braucht bei kleinen Schäden nur eine Schlüsselloch große Öffnung: „Er rollt die Biomatte auf und schiebt sie durch eine Kanüle ins Gelenk“, erklärt Erggelet. Das Vlies wird dann mit abbaubaren Fäden im Knochen verankert.

Ganz ohne Zusätze will die Teltower Firma co.don auskommen. Die Zellen sollen sich ihr Gel selber bilden. „Wir drängen die Knorpelzellen auf kleinem Raum zusammen“, berichtet Jeanette Libera, Leiterin für Forschung und Entwicklung bei co.don. „Sie lagern sich dann zu einer kleinen Kugel zusammen und fangen an, eine Art Knorpelgewebe zu bilden.“ Knapp einen Millimeter messen die fertigen Zellkügelchen. Wenn man sie in eine Lücke im Knorpel legt, verschmelzen sie mit der Oberfläche und haften nach wenigen Minuten als dünne Schicht an. Wie gut und schnell die Bällchen richtige Knorpelmasse im Körper bilden, müssen die Forscher allerdings noch herausfinden.

Die Gele und Matten werden bereits in der Praxis angewendet, aber Forschungsbedarf besteht noch bei allen neuen Methoden. Bei der klassischen Knorpeltransplantation mit Zeltdach gibt es inzwischen zehn Jahre Erfahrung. Sie haben gezeigt, dass die Operation die Beschwerden je nach Ort des Knorpelschadens bei 70 bis 90 Prozent der Patienten deutlich verringert. Die Transplantation gilt inzwischen als zuverlässigstes Verfahren für Knorpelschäden am Kniegelenk, die größer als vier Quadratzentimeter sind. Das gilt allerdings bislang nur für Patienten bis etwa 50 Jahre mit ansonsten gesundem Gelenk. Bei den neuen Methoden weiß man nur sicher, dass die Operationen einfacher werden und die Patienten schneller wieder auf die Beine kommen als beim bisherigen Verfahren. Aber ob sie besseren und langlebigeren Knorpel produzieren, ist noch nicht geklärt, da sie noch nicht lange genug angewendet werden.

Gelenkspiegelungen oder Ultraschall zeigen nach Transplantationen manchmal makelloses neues Knorpelgewebe. „Man guckt sich den neuen Knorpel an und er sieht gut aus – aber damit laufen kann der Patient nicht. Das Gewebe ist betrachtungs-, aber nicht belastungsstabil“, bringt Georg Duda, Forschungsleiter des Centrums für Musculoskeletäre Chirurgie (CMSC) in Berlin, das Problem auf den Punkt. Die Ärzte wollen den frischen Knorpel natürlich nicht gleich wieder durch eine Gewebeentnahme verletzen. Dudas Team hat darum im Tierversuch eine neue Methode entwickelt, um die Elastizität zu messen. Sie sprühen unschädliche Kochsalzlösung auf die Knorpeloberfläche und bestimmen mit optischen Methoden, wie stark das Gewebe unter dem Strahl nachgibt. Daraus berechnen sie die mechanischen Eigenschaften des Knorpels. 2006 wollen die Forscher so weit sein, dass sie Menschen damit untersuchen können.

„Bislang ist die Qualität aller neugebildeten Knorpel in der Regel schlechter als die des natürlichen Materials“, sagt Duda. „ Die Struktur der neugebildeten Knorpelschicht ist narbenähnlich und nicht gerichtet wie bei dem Original. Das ist besser als gar nichts, aber biomechanisch ist der Knorpel nicht so belastbar“, ergänzt Claes. Auch wenn „besser als nichts“ für die Patienten bereits eine große Hilfe ist, hat dieses Manko Claes nicht ruhen lassen. Er hat eine Methode entwickelt, um die Knorpel-Gele auf ihr hartes Leben im Gelenk vorzubereiten und zu trainieren: Er packt sie in kleine Kammern und drückt mit Maschinen rhythmisch darauf herum, ähnlich wie es im Körper geschieht. Die ersten Ergebnisse deuten daraufhin, dass diese „Erlebniskammern für Jungknorpel“ die Transplantate tatsächlich natürlicher und strapazierfähiger machen. ■

Barbara Witthuhn

Ohne Titel

Je älter der Mensch, desto geringer die Zahl seiner Zähne – der echten jedenfalls. Das war bisher quasi ein Naturgesetz. Doch das gilt vielleicht bald nicht mehr. Forscher sind einer Methode auf der Spur, wie man Menschen neue, lebende Zähne einpflanzen kann – aus Stammzellen. Eine Forschergruppe um Pamela Yelick vom Forsyth Institute in Boston hat in den Backenzähnen von Ferkeln „ Zahn-Stammzellen“ entdeckt, die Vorläufer der Schweinezähne. Diese Zellen säten sie in ein Gerüst aus biologisch abbaubarem Material, um den Zahn in der gewünschten Form wachsen zu lassen und verpflanzten es in die Bauchhöhle von Ratten. Dort hervorragend mit Nährstoffen versorgt, wuchsen in den folgenden 20 bis 30 Wochen tatsächlich kleine, komplett ausgebildete Schweinezähne.

Anders versuchte es Paul Sharpe vom Kings College in London. Er arbeitetet mit speziellen embryonalen Stammzellen, so genannten Mesenchymzellen. Das sind Stammzellen, aus denen sich unterschiedliche Gewebe wie Binde-, Muskel-, Knochengewebe oder eben auch Zähne entwickeln können. Man muss ihnen nur durch Signalmoleküle die richtigen Informationen zukommen lassen, um das Wachstum Richtung Zahn anzukurbeln und es schließlich in Richtung Backen- oder Schneidezahn zu lenken. Wenn dann ein Zahn in der Kulturschale zu wachsen begann, verpflanzten die Forscher ihn in eine Mäuseniere. Dort wuchs aus der Zahnknospe ein vollständig ausgebildeter Zahn heran. Zähne aus Bauchhöhlen oder Nieren – das klingt eher nach Gruselkabinett als nach einer echten Therapie. Wie könnte die Anwendung beim Menschen aussehen? „Wir hoffen, eines Tages mithilfe von Stammzellen Zahnanlagen züchten zu können, wie sie bei einem Embryo vorhanden sind“, sagt Sharpe. Weiterwachsen zu einem vollwertigen Zahn sollen sie im Mund des Patienten.

Noch haben die Forscher keine passenden Stammzellen im menschlichen Körper gefunden. „Wir hoffen trotzdem, dass wir in fünf Jahren herausgefunden haben, wie man Zähne vollständig ersetzen kann“, meint Pamela Yelick. „Und noch einmal 10 bis 15 Jahre wird es dauern, bis wir die Methode in der Behandlung anwenden können.“ Bis dahin gilt die alte Regel: Zweimal täglich Zähne putzen! ubi

Ohne Titel

Barbara Witthuhn ist promovierte Chemikerin und freie Wissenschaftjournalistin in Potsdam. Seit sie recherchiert hat, wie mühsehlig es ist, einen Ersatz für natürliches Gewebe zu entwickeln, bewundert sie die Perfektion des menschlichen Körpers noch mehr.

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