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Tsunami-Alarm made in Germany

Erde|Umwelt

Tsunami-Alarm made in Germany
Nach dem welterschütternden Weihnachtsbeben wird im Indischen Ozean ein umfassender Tsunami-Warndienst aufgebaut. Deutsche Seismologen liefern das Know-how.

Der verheerende Tsunami, der an Weihnachten den Indischen Ozean heimsuchte, hat keine Unterschiede gemacht zwischen Nationalitäten oder sozialen Schichten. In den Fluten starben Arme und Reiche, Indonesier und Filipinos, Einheimische und Touristen. Kaum eine Industrienation, die nicht zahlreiche Tote zu beklagen hat.

Der Schock sitzt entsprechend tief – und öffnet die internationalen Brieftaschen für die Einrichtung von Warndiensten: Die Griechen wollen in der Ägäis einen lokalen Dienst installieren, Italien hat Vorschläge für ein System im Mittelmeer gemacht, Portugal will seine Atlantikküste sichern und auch die EU engagiert sich. Die USA stellt zudem 37,5 Millionen Dollar bereit, um den pazifischen Tsunami-Warndienst, der schon seit 1948 arbeitet, aufzurüsten.

Vor allem aber sollen die Küstenbewohner des Indischen Ozeans nicht noch einmal vom anstürmenden Meer überrascht werden. Deutsche Wissenschaftler werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. Denn Indonesien setzt auf das deutsche Konzept, und andere Länder haben ebenfalls Interesse signalisiert – auch wenn manche Experten zunächst den Kopf schüttelten, als Rolf Emmermann, der wissenschaftliche Vorstand des Geoforschungszentrums in Potsdam (GFZ), mit seiner Offerte vorpreschte. Sie fragten skeptisch, ob man eine solche Aufgabe nicht besser Nationen überlassen sollte, die Erfahrung damit haben: den USA oder Japan. Doch Heinrich Miller, der Vizedirektor des Alfred-Wegener-Insituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), reagiert selbstbewusst: „Wir haben das Know-how für die Messungen.“

Bei der Erdbebenüberwachung, einem Kernstück des Warndienstes, gehören deutsche Experten ohne Zweifel zur Elite. Ihr weltweites Stationsnetz Geofon hat die Stärke des Sumatra-Bebens genauer ermittelt als der pazifische Tsunami-Warndienst. Allerdings stehen die meisten der daran angeschlossenen Seismometer in Europa, wo Signale aus Südostasien erst nach etwa 10 Minuten eintreffen. Deshalb sollen rund um den Indischen Ozean 15 bis 20 weitere Breitbandseismometer aufgestellt werden, die ihre Daten dann online an die geplanten nationalen Warnzentren der Indik-Anrainer schicken werden. Dort würde es nur weitere zwei Minuten dauern, bis ein Rechner Stärke und Ort eines Bebens ermittelt hätte.

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Zum Glück verursacht längst nicht jedes Seebeben einen Tsunami. Gefahr droht nur, wenn sich der Untergrund in starkem Maße hebt oder senkt. Deshalb muss auch das Meer überwacht werden – die größte technische Herausforderung. Denn im offenen Ozean gibt sich ein Tsunami harmlos, erst an der Küste bäumt sich der Riese auf.

Die Killerwelle von Weihnachten war zwei Stunden nach dem Erdbeben, kurz bevor sie Sri Lanka erreichte, gerade noch 60 Zentimeter hoch, nach dreieinviertel Stunden, als die Maladiven an der Reihe waren, erreichte sie noch 40 Zentimeter. Minutenlang stieg der Wasserspiegel Millimeter für Millimeter und sank dann ebenso langsam wieder. Drucksensoren, auf dem Grund der Tiefsee verankert, können solche Pegelschwankungen zentimetergenau erfassen. „Das AWI betreibt 18 dieser Systeme im Atlantik“, sagt Geophysiker Miller – auch wenn die Geräte dort nicht für Tsunami-Warnungen genutzt werden.

Im Indischen Ozean wollen die Deutschen neue Wege gehen. 45 Millionen Euro sind nötig, um das Warnsystem zu installieren, das Personal vor Ort zu schulen und wichtige weitere Forschungen voranzutreiben. Die Tsunami-Detektoren – die ersten wird das deutsche Forschungsschiff „Sonne“ voraussichtlich im Oktober längs der brisanten Bruchzone versenken – messen die Pegelschwankungen gleich doppelt. Zum einen verwenden sie – wie die amerikanischen Modelle – herkömmliche Drucksensoren, die ihre Signale vom Meeresgrund zunächst an eine Boje und schließlich an einen Nachrichtensatelliten schicken. Zudem sitzt an der Spitze jeder Boje ein GPS-Empfänger, der direkt die Meeresoberfläche vermisst. Falls die GPS-Methode funktioniert, könnte man in Zukunft auf den aufwendigen Drucksensor verzichten. Allerdings ist reichlich Hightech nötig, um Ergebnisse mit der erforderlichen Genauigkeit zu bekommen. Denn eine Boje schaukelt ständig hin und her, sodass der GPS-Wert mit ihrer jeweiligen Neigung und Eintauchtiefe verrechnet werden muss.

Aufgabe der Überwachungszentralen ist es, in den Pegelmessungen nach den ersten Spuren eines Tsunami zu suchen. Dafür filtern sie aus dem zappeligen Auf und Ab die kurzen Windwellen und die langen Gezeitenschwankungen heraus. Doch auch dann bleiben Zweifelsfälle, wie sich im Pazifik und in den japanischen Gewässern immer wieder zeigt. Hier wie dort gibt es seit Jahrzehnten mehr Fehlalarme als echte Warnungen, vor allem wegen der geringen Zahl von Pegelmess-Stationen. Je mehr Daten vorliegen, desto sicherer ist das Ergebnis. Doch die Sensoren müssen regelmäßig gewartet werden, vor allem um die Batterien auszutauschen. Die Bojen sind zudem begehrtes Diebesgut von Piraten, wie die AWI-Experten berichten. Dabei denken die Diebe manchmal nicht an den GPS-Empfänger: „Wir konnten kürzlich eine Funk-Boje auf dem Monitor bis in den nächsten Hafen verfolgen“, schmunzelt AWI-Forscher Peter Lemke.

Pfiffiger wäre es, die Ozeane vom Weltraum aus zu überwachen. Prinzipiell ist das möglich, wie Ozeanographen der amerikanischen Wetterbehörde NOAA vor kurzem gezeigt haben. Sie nahmen sich die Messwerte von Satelliten vor, die in den Stunden nach dem Weihnachts-Erdbeben zufällig über den Indischen Ozean geflogen waren. Deren Radarhöhenmesser hatten die tödlichen Wellen tatsächlich eingefangen. Mit diesen Daten fütterten die Amerikaner ihr numerisches Computermodell zur Ausbreitung eines Tsunamis und erhielten so erstmals ein exaktes Bild des Wegs, den die Killerwelle nahm (siehe Abbildung unten).

Auch das deutsche Konzept sieht vor, langfristig Satelliten für die Meeresüberwachung einzusetzen. Die Idee ist, die GPS-Flotte, die ohnehin die ganze Welt im Blick hat, dafür einzuspannen. Allerdings müssen noch weitere Späher ins All geschossen werden. Die sollen die Reflexionen der GPS-Signale an der Meeresoberfläche einfangen und so die Meereshöhe ermitteln. Auf diese Weise könnte man mit wenigen Satelliten alle Weltmeere überwachen. Erste Tests sind demnächst mit dem deutschen Satelliten Champ geplant.

Wenn ein Erdbebenherd und ein durch die Erschütterung losgetretener Tsunami aufgespürt sind, lässt sich mit Computermodellen auf Minuten genau berechnen, wann die Welle an welcher Küste einschlagen wird. Denn die Geschwindigkeit des Kolosses hängt nur von der Meerestiefe ab. Dass kleine Teile des Indischen Ozeanbodens noch nicht kartiert sind, lässt sich dabei verschmerzen. Ein weit größeres Problem ist es, die Warnungen an die Millionen Menschen weiterzugeben, die an den bedrohten Küsten leben. Nirgendwo gibt es – wie auf Hawaii – Sirenen, die bei Gefahr aufheulen.

Heute, wenige Monate nach der Katastrophe, ist die Bevölkerung noch sensibilisiert. Da genügt eine knappe Radiomeldung, um die Strände leer zu fegen. Doch der nächste Tsunami kommt vielleicht erst in 50 oder 100 Jahren, wenn der Schrecken nur noch Legende ist. Ob die Menschen dann bei einem Alarm sofort fliehen, liegt auch in der Hand der Wissenschaftler: Wenn sich Fehlalarme häufen, nimmt die Warnungen bald niemand mehr ernst. ■

Klaus Jacob

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