Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Trojanisches Pferd gegen Krebs

Gesundheit|Medizin

Trojanisches Pferd gegen Krebs
Neue Hoffnung für Krebspatienten: Anticaline können Tumore gezielt zerstören. Sie sind ungiftig, wendig – und billig.

Ein erbsengroßer Tropfen – und der soll eine flüssige Bibliothek sein? Farblos klebt er in einem winzigen Plastikgefäß, mit bloßem Auge betrachtet sieht er aus wie Wasser. Dennoch hütet er ein Geheimnis, genauer gesagt sogar rund zehn Milliarden Geheimnisse: Denn so viele verschiedene Proteine tummeln sich in dem bisschen Flüssigkeit – mehr als Menschen auf der Welt leben. Die einzelnen Moleküle, die Anticaline, unterscheiden sich nur durch wenige Mutationen voneinander. Das Besondere an ihnen ist ihre unterschiedliche Neigung, sich an bestimmte Bio-Moleküle zu kleben. „Begegnen Anticaline einem passenden Wachstums-Rezeptor auf einer Krebszelle, heften sie sich an ihn. Dadurch hemmen sie das Wachstum der Krebszelle und helfen bei der Zerstörung des Tumors“, sagt Steffen Schlehuber, Proteinforscher der Firma Pieris in Freising.

Um ein wirksames Medikament gegen einen Tumor zu entwickeln, müssen die Wissenschaftler zunächst ein passendes Anticalin aus der flüssigen Bibliothek fischen. „Vereinfacht kann man sich das so vorstellen, dass wir ein Molekül, beispielsweise einen für Krebs typischen Rezeptor, wie einen Köder an der Angel in die flüssige Bibliothek halten“, erläutert Schlehuber. „Ziehen wir es wieder heraus, hat ein passendes Anticalin angebissen.“ In Bakterien lässt sich das Molekül anschließend problemlos vervielfältigen.

Arne Skerra, Professor für Biologische Chemie an der Technischen Universität München, entwickelte die Anticaline in den neunziger Jahren, als er die Lipocaline untersuchte: kleine Proteine, die im menschlichen Körper empfindliche oder unlösliche Substanzen transportieren, beispielsweise Vitamin A. Die Lipocaline gleichen dabei einem Laster, der seine empfindliche Fracht durch die Blutbahn befördert. Skerra veränderte die „ Klappe zur Ladefläche“ durch Mutation. Dabei entdeckte er zu seiner Überraschung, dass sich dadurch auch das Molekül änderte, das das Lipocalin transportierte. Die Fähigkeit der Moleküle, sich spezifisch an ein bestimmtes Zielmolekül zu binden, erinnerte Skerra an Antikörper. Er taufte die mutierten Proteine deshalb Anticaline.

„Anticaline bieten eine gute Alternative zu Antikörpern, die in der Krebstherapie eingesetzt werden“, erklärt Schlehuber. „Wir können sie gegen nahezu jedes Zielmolekül herstellen.“ Der Vorteil: Anticaline kann man wesentlich kostengünstiger produzieren als Antikörper, da sie einfacher aufgebaut sind (siehe Grafik).

Anzeige

Für ihre Herstellung reichen einfache Mikroorganismen wie Hefezellen oder das Darmbakterium Escherichia coli. Die sind pflegeleichter und billiger als Säu-getierzellen, die man für Antikörper braucht. Momentan wird bei drei Anticalinen in Tierversuchen getestet, ob sie verträglich sind und ob sie wirklich heilen helfen.

Gerhard Moldenhauer vom Deutschen Krebsforschungszentrum ist dennoch vorsichtig. „Bei einigen Therapien ist nicht nur der Greifmechanismus der Antikörper wichtig, sondern auch der Teil, der Signale an die Immunabwehr sendet. Anticaline haben diesen Teil nicht“, gibt der Antikörperspezialist zu bedenken. „Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass sie die Antikörpertherapie in einigen Bereichen sinnvoll ergänzen werden.“

Bei Blutkrebs verwenden die Forscher Anticaline als trojanisches Pferd, das Gift in die Krebszelle schleppt. Denn einige Zellarten erneuern ihre Rezeptoren von Zeit zu Zeit und ziehen die alten dabei ins Zellinnere, um sie dort zu zerstören. Zieht die Zelle dabei einen Rezeptor ein, an dem ein Anticalin klemmt, gelangt auch der giftige Stoff mit in die Zelle. Ihr droht nun das gleiche Schicksal wie einstmals der Stadt Troja – die Zerstörung von innen heraus. ■

Janine Drexler

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

HTTP  〈IT; Abk. für engl.〉 Hypertext Transfer Protocol (Hypertext–Übertragungsprotokoll), Kommunikationsprotokoll zur Übertragung von HTML–Dokumenten im Internet, das die entsprechenden Internetadressen mit ”http://www.“ einleitet

Lum|bal|punk|ti|on  〈f. 20; Med.〉 Punktion des Wirbelkanals zw. den Lendenwirbeln

Streich|trio  〈n. 15; Mus.〉 1 Musikstück für zwei Geigen u. Cello bzw. Geige, Bratsche u. Cello 2 die Spieler dieser Instrumente … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige