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Turmbau in der Grube

Technik|Digitales

Turmbau in der Grube
Ringwallspeicher könnten die Lücke schließen, wenn Windkraftwerke oder Photovoltaik-Anlagen tagelang ausfallen.

Ein Gespräch mit Matthias Popp (Jahrgang 1958), der 1989 an der TU München in Maschinenbau diplomierte. Er ist Inhaber eines Ingenieurbüros in Wunsiedel im Fichtelgebirge und arbeitet freiberuflich im Softwarebereich für die Automobil- und Druckindustrie. Mit seiner Arbeit „Speicherbedarf bei einer Stromversorgung mit erneuerbaren Energien“ hat er im Juli 2010 an der TU Braunschweig promoviert.

bild der wissenschaft: Sie haben vor wenigen Wochen eine Doktorarbeit vorgelegt, in der Sie darauf eingehen, wie man die Fluktuation bei der Wind- und Solarstrom-Erzeugung bereinigen könnte. Bitte erklären Sie uns, wie das geht, Herr Popp.

Matthias Popp: Mein Vorschlag ist, Pumpspeicherkraftwerke auch dort zu errichten, wo man sie bisher nicht vorfindet. Im Gegensatz zu den bekannten Pumpspeicherkraftwerken, die die Reliefenergie eines Berges benötigen, schlage ich vor, sie in flachen Landschaften zu errichten. Dazu braucht man lediglich zwei Becken, wobei ein Oberbecken in ein Unterbecken eingefügt wird (große Grafik auf der folgenden Doppelseite). Ein solcher Ringwallspeicher arbeitet genauso wie ein Pumpspeicherkraftwerk: Überschussstrom pumpt Wasser vom Unter- ins Oberbecken. Bei einem erhöhten Strombedarf oder wenn Windflaute herrscht, schießt das hochgepumpte Wasser ins Unterbecken, treibt einen Turbogenerator an und erzeugt so regenerativen Strom.

Wie groß müssen solche Anlagen sein, um die Schwankungsbreite bei Wind- und Sonnenstrom auszugleichen?

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Wirklich leistungsfähige Ringwallspeicher sollten 20 Kilometer Durchmesser haben. Das Oberbecken könnte das Unterbecken bis zu 400 Meter überragen. Wichtig ist: Eine Verdoppelung von Durchmesser und Höhe führen zm 16-fachen Energieinhalt.

Wer garantiert, dass ein so hoher Ringwall nicht bricht und große Flächen überflutet?

Schon heute gibt es Staudämme, die 300 Meter hoch sind und die man so gebaut hat, dass sie größeren Erdbeben standhalten. Die 400 Meter sind ein Diskussionsvorschlag, der gewiss ambitioniert, meines Erachtens aber künftig durchaus realisierbar ist.

Wo könnten solche Großanlagen entstehen?

Beispielsweise in Landschaften, die durch große Tagebaue ohnehin stark beansprucht sind. Eine interessante Option wären auch Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee. Den unteren Speicher hätte man dort ja bereits naturgegeben.

Welches Speicherpotenzial sehen Sie für Deutschland?

Die Potenziale aus Wind und Sonne sind genügend groß, um Deutschlands Strombedarf zu jeder Stunde vollkommen und zuverlässig aus erneuerbaren Energien zu decken. Für Ringwallspeicher, die beispielsweise über 14 Tage die gesamte Stromproduktion des Landes übernehmen, bräuchte man bei den zur Diskussion gestellten Abmessungen zwei große Anlagen, die 0,3 Prozent der Landesfläche beanspruchen würden. Die inneren Ringwälle können auch nur 200 Meter hoch sein. Dann braucht man allerdings bei gleichen geometrischen Verhältnissen die vierfache Fläche, um den gleichen Energiebetrag zu speichern. Auf jeden Fall wären wir mit 200 Metern in einem Bereich, der keine technologische Herausforderung ist. Für meine Dissertation habe ich die meteorologischen Daten Deutschlands genau analysiert. Ergebnis: Bei einer geschickten Nutzung der dargebotenen erneuerbaren Energien würden 14 Tage Speicherkapazität für eine sichere und jederzeit bedarfsgerecht lieferfähige Stromversorgung ausreichen. Wenn man sich europäisch leistungsstark vernetzt, kann die notwendige Speicherkapazität sogar deutlich unter einer Woche liegen, da auf einem so großen Territorium irgendwo immer die Sonne scheint oder kräftiger Wind weht.

Glauben Sie, dass unsere Gesellschaft derart gigantische Speicherbauwerke akzeptiert?

Man stößt immer auf Widerstand – egal ob es um die Lagerung von radioaktivem Müll, große Windkraftanlagen, Pumpspeicherkraftwerke oder Geothermie geht. Ohne Überzeugungsarbeit läuft gar nichts. Doch irgendwann muss sich unsere Gesellschaft entscheiden, wodurch sie ihren Strombedarf in Zukunft decken will. Der Ringwallspeicher ist ein Vorschlag, Energiespeicher hohen Wirkungsgrads zu schaffen. Der durch sie verursachte Flächenverbrauch ist um ein Vielfaches geringer als etwa durch Biomasse, die dazu angebaut werden müsste, um Stromengpässe bei Windflauten auf andere Art regenerativ auszugleichen.

Wie geht es konkret weiter? Was planen Sie, um Ihren Vorschlag in die gesellschaftliche Diskussion einzuführen?

Erst einmal werde ich meine Dissertation als Buch veröffentlichen. Dadurch habe ich etwas vorzuweisen, um für die Idee zu werben. Dies wird mir auch deshalb gelingen, weil mein Vorschlag zeigt, dass wir unseren Strombedarf sehr wohl allein mit erneuerbaren Energien decken können. Das oft gehörte Argument, dass konventionelle Kraftwerke eigens dafür bereitgehalten werden müssen, um Flauten bei der Erzeugung von regenerativer Energie auszugleichen, ist damit erheblich in Frage gestellt.

Was bewegte den Ingenieur Matthias Popp 21 Jahre nach seinem Diplom zu der Promotion?

Der Anlass war eine öffentliche Diskussion um ein Pumpspeicherkraftwerk im Fichtelgebirge im Jahr 2008. Dabei wurde häufig nur Stimmung gemacht. Als ich mich über wissenschaftliche Veröffentlichungen kundig machen wollte, welche Speicherkapazität nötig wäre, um unsere Stromversorgung vollständig auf regenerative Energiequellen umzustellen, fand ich wenig bis nichts vor. Andererseits habe ich festgestellt, dass inzwischen genug Daten ermittelt sind, um zu erkennen, was an Wind- und Solarstrom ins deutsche Netz eingespeist wird. Irgendwann hatte ich dann so viel zusammengetragen und aufbereitet, dass ich mir gesagt habe: Warum nicht daraus eine Dissertation machen?

Wie hat die Wissenschaft auf Ihr Vorhaben reagiert?

Durchweg positiv. Einmal wurde ich vom Institut für Solare Energieversorgung an der Universität Kassel hervorragend mit Daten unterstützt. Und meine Doktorarbeit wurde von energietechnisch ausgerichteten Professoren der Universitäten in Braunschweig, Oldenburg und Bochum angenommen, also auf breiter Linie akzeptiert.

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  • Matthias Popp Speicherbedarf bei einer Stromversorgung mit erneuerbaren Energien Springer, Heidelberg, 2010, € 49,95
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