Vor 10 000 Jahren kam die Landwirtschaft nach Europa. Neuesten Gen-Analysen zufolge wurde sie von der Bevölkerung des Nahen Ostens zu uns gebracht. Wie es zu dieser Erkenntnis kam und wie sie zu bewerten ist, fragten wir den Evolutionsgenetiker Lounes Chikhi vom University College in London. Was ergab die Gen-Analyse im Einzelnen? Wir analysierten die Gene des Y-Chromosoms von ungefähr 1000 Männern aus Europa und dem Nahen Osten. Wie sich herausstellte, teilen die Hälfte der Europäer ihre Gene mit den Bewohnern des Nahen Ostens. Nach diesen Erkenntnissen haben sich die Gene der Bauern aus dem Osten mit denen der Jäger und Sammler Mitteleuropas vermischt. Haben wir Europäer unsere Wurzeln demnach im Nahen Osten? Sicher ist, dass ein so riesiger genetischer Beitrag einer Bevölkerung ohne starke Zuwanderung kaum möglich gewesen wäre. Dennoch sollte man hier besser von den Wurzeln der Landwirtschaft reden. Demnach ist klar, dass die Landwirtschaft nicht nur durch kulturelle Übermittlung nach Europa kam, sondern vor allem auch durch Zuwanderung der Bewohner aus dem Nahen Osten. Welche Untersuchungen stehen noch aus, um die Migrationstheorie zu bestätigen? Wir müssen noch andere Teile des Genoms untersuchen. Das Y-Chromosom wird ja nur vom Vater auf den Sohn übertragen. Die Geschichte der Frauen kann völlig anders gewesen sein. Um das zu klären, müssen wir ähnliche Untersuchungen an mitochondrialer DNA durchführen. Was die Effekte historischer oder prähistorischer Migration angeht, bedarf es ebenfalls weitaus komplexerer Modelle. Sie zu entwickeln, wird noch Jahre dauern.
Hans Groth