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BIELEFELD WESTFALEN STATT GALAPAGOS

Allgemein

BIELEFELD WESTFALEN STATT GALAPAGOS
Im Tierpark Olderdissen führt Darwin selbst die Besucher – als Zeichentrickfigur. Und demonstriert: Auch an heimischen Tieren kann man Evolution begreifen.

Als der alte Hirsch gestorben war, wähnte sein Sohn wohl, er wäre jetzt Chef der Hirschkühe im Bielefelder Tierpark Olderdissen. Er wurde aufdringlich und versuchte, die Weibchen zu begatten. Das hätte er besser bleiben lassen, denn die Damenschar hielt zusammen und disziplinierte den Junghirsch unmissverständlich. Mit zahlreichen Schnittwunden von den scharfen Klauen der Kühe zog er sich an den Rand des Geheges zurück. Erst nach Wochen näherte er sich der Gruppe erneut – vorsichtig und demütig –, bis er wieder aufgenommen wurde. Chef wurde er nie, denn der ist bei Hirschen immer weiblich. Bei all den Auseinandersetzungen hatte dem Junghirsch sein imposantes Geweih nichts genützt. Er hatte es nicht einmal eingesetzt, um sich gegen die Kühe zu verteidigen. Denn entgegen weitverbreiteter Vorurteile dient der Kopfschmuck nicht als Waffe. Für den Kampf gegen Fressfeinde wie Wölfe sind die Klauen viel besser geeignet. Das Geweih ist in der Evolution weder entstanden, um besser überleben zu können, noch um sich an eine sich verändernde Umwelt anzupassen.

„Es ist ein wunderbares Beispiel für eine andere Triebfeder der Evolution“, sagt die Biologiepädagogin Antje Fischer von der Zoo-Schule des Tierparks Olderdissen in Bielefeld, „und zwar der sexuellen Selektion.“ Das Geweih signalisiert den Weibchen: Ich bin stark, erfolgreich und habe gute Gene. Ich kann es mir leisten, mir solch einen überflüssigen, enorm viel Nahrung verbrauchenden und hinderlichen Kopfschmuck zuzulegen. Also paart euch mit mir und ihr bekommt starken und erfolgreichen Nachwuchs! Weibchen vieler Tierarten wählen ihre Sexualpartner aufgrund solcher Merkmale aus – mit teilweise grotesken Folgen: Das Geweih des inzwischen ausgestorbenen Riesenhirsches hatte eine Spannweite von über drei Metern. Und bei den See-Elefanten sind die Bullen manchmal so schwer, dass sie ihre Partnerinnen beim Sex erdrücken. Aber so funktioniert Evolution.

DER 24-STUNDEN-TIERPARK

Charles Darwin hat seine Erkenntnisse über die Entstehung und Veränderung von Tieren und Pflanzen in den Tropen gewonnen – während seiner fünf Jahre dauernden Seereise auf der „Beagle“ (siehe den Beitrag „Stuttgart: Ein Schiff wird kommen“ in diesem Heft). „Evolutionsphänomene kann man aber genauso gut an unseren einheimischen Tieren beobachten“, sagt Fischer. Und das können Zoobesucher mit fachkundiger Hilfe ab Juni 2009 in Bielefeld tun. Die Idee dazu hatten der Biologieprofessor Karsten Niehaus und die Kunstpädagogin Heike Thienenkamp von der Universität Bielefeld. Beide starteten bereits in den vergangenen Jahren Projekte mit Studentinnen und Studenten, um Kunst und Wissenschaft miteinander zu verknüpfen. Jetzt wollen sie die Evolutionstheorie, die wichtigste Grundlage der modernen Biologie, einem breiten Publikum vermitteln. Der Tierpark Olderdissen, so meinen sie, ist der richtige Ort dafür:

• Er ist ein Heimattierpark, der nur Tiere zeigt, die in Mitteleuropa leben oder gelebt haben (wie Wisente, Braunbären und Rückzüchtungen des Wildpferds).

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• Er ist kostenlos und sogar nachts geöffnet.

• Der Zoo ist sehr populär: Über eine halbe Million Menschen besuchen ihn jedes Jahr, darunter viele Familien mit Kindern.

• Diese Menschen sind neugierig und wollen etwas erfahren.

• Lebende Tiere zeigen auf anschauliche Weise, wie Evolution funktioniert.

Niehaus und Thienenkamp gewannen ihre Uni-Kollegen, den Biologie-Didaktiker Professor Norbert Grotjohann und den Neuroinformatiker und Juniorprofessor Tim Nattkemper sowie den Tierparkleiter Volker Brekenkamp und die Zoo-Schule für ihre Idee. Man setzte sich zusammen, entwickelte Ideen, plante. Schließlich entstand ein Konzept, das die Dimensionen einer „ normalen“ Ausstellung sprengt. Die zentrale Figur ist Charles Darwin selbst; er taucht auf Stellwänden auf und als Hauptperson eines eigens entwickelten audiovisuellen Führers. „Darwin“ führt die Besucher durch den Tierpark und erklärt seine Erkenntnisse.

Doch der wiederauferstandene Darwin ist nicht die einzige Attraktion, die Besucher ab Sommer 2009 in den Tierpark Olderdissen locken soll (siehe Kasten „Aktionen – Attraktionen“ auf der Folgeseite). „Wir haben hier richtig was losgetreten“, konstatiert Heike Thienenkamp. Ein Faktum, das den Organisatoren in den vergangenen Monaten manchmal Angst machte, denn das Arbeitspensum war riesig. „Das ging nur, weil der Tierpark eine enorme Unterstützung aus der Bevölkerung erfährt“, sagt Nattkemper. Viele arbeiten ehrenamtlich mit. Außerdem haben die Professoren etliche Aufgaben als Bachelor- oder Masterarbeiten an Studierende der Universität und Fachhochschule vergeben – ein auch für die VolkswagenStiftung willkommener Nebeneffekt. Die Jung-Akademiker schrieben beispielsweise die Programme und Spiele für den audiovisuellen Führer, der auf dem tragbaren Medienabspielgerät „Apple iPod touch“ läuft. Sie entwarfen die Grafiken und Animationen für den kleinen Bildschirm, programmierten die Homepage der Ausstellung, fotografierten, drehten Filme. „Das sieht hinterher alles so einfach aus“, sagt Nattkemper, „aber wenn Präsentationen gut verständlich und technisch wie künstlerisch professionell herüberkommen, stecken dahinter viel Können und Aufwand.“ Anders gesagt: Erst wenn es einfach aussieht, ist es perfekt. ■

von Thomas Willke

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