Jedes Jahr sterben nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO 35000 Menschen an den Folgen von Schlangenbissen oder Skorpionstichen. Der amerikanische Wissenschaftler Binie V. Lipps hat jetzt eine Substanz gefunden, die bei einer Vielzahl von Schlangen-, Skorpion- oder Spinnenbissen als Gegengift wirkt. Bisher war es nötig zu wissen, welches Tier zugebissen hatte. Nur dann konnte ein spezifisches Antiserum verabreicht werden. Bei vielen Bissen weiß der Verletzte aber nicht, welcher Art Schlange er begegnet ist.
Wie Lipps und seine Mitarbeiter herausfanden, ist das Opossum, ein rattenähnliches Beuteltier, von Natur aus gegen diverse Gifte immun. Die Forscher isolierten aus dem Serum des Tieres die Substanz LTNF (Lethal Toxin Neutralizing Factor), die sich im Versuch mit Mäusen als höchst wirksames Antitoxin erwies. Es neutralisierte sonst tödliche Giftdosen verschiedener Schlangen.
Lipps ging noch einen Schritt weiter: Er bestimmte kleine Peptidbestandteile von LTNF. Das aus 15 Aminosäuren aufgebaute LT-15 zum Beispiel wirkte bei den Test-Mäusen gegen verschiedene tierische, pflanzliche und bakterielle Gifte. LT-10 – aus nur zehn Aminosäuren aufgebaut – erwies sich als ähnlich effektiv. Vorteile der Peptide: Sie können in beliebiger Menge synthetisch hergestellt werden. Auf das Serum des Opossums ist man damit nicht mehr angewiesen. Außerdem gelangen LT-15 und LT-10 direkt in den Blutkreislauf und werden nicht verdaut. Deshalb laufen inzwischen Versuche, die neuen Antitoxine oral zu verabreichen.
Hans Groth