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Der Modellmann

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Der Modellmann
Für seine Klimamodelle bekam der Ozeanograf einen Preis – und eine Million Dollar. Er hatte gezeigt, dass der Golfstrom abreißen könnte, wenn sich die Atmosphäre weiter aufheizt. Aber als Eiszeit-Prophet mag er nicht gelten.

Wie ein Millionär sieht er nicht gerade aus. Stefan Rahmstorf sitzt in seinem kleinen Arbeitszimmer im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf dem Telegrafenberg, wo schon Albert Einstein forschte: Aktenschrank, Schreibtisch, Computer – viel mehr steht nicht drin. Mit seinen Kollegen und Studenten geht der 41-jährige Professor so ungezwungen um, als wäre er selbst noch Student. Und doch hat Rahmstorf vor drei Jahren eine Million Dollar kassiert. So hoch war der Preis dotiert, mit dem die McDonnell-Stiftung die Klimaforschung des Ozeanografen ausgezeichnet hat. Über das Geld kann er allerdings nicht frei verfügen, es dient allein der Forschung. „Ich kann mir davon nicht einmal ein Fahrrad kaufen“, schmunzelt Rahmstorf. Aber er hat eine eigene Arbeitsgruppe aufgebaut, mit fünf neuen Arbeitsplätzen. Wenn Rahmstorf auch nicht reich geworden ist, so erhielt er doch ein lukratives Stellenangebot aus den USA, lehnte ab und bekam von seinen deutschen Arbeitgebern prompt eine Professorenstelle. In Potsdam gefällt es ihm ohnehin am besten. Das PIK, sagt Rahmstorf, sei bei der Simulation des Paläoklimas „ weltweit führend“ und mit seiner interdisziplinären Arbeitsweise „ ziemlich einmalig“. Hier sitzt der Ozeanograf mit Klimatologen, Soziologen, Ökonomen, Informatikern und anderen Fachleuten zusammen, mit Kollegen aus aller Herren Länder. Natürlich haben sich die Medien auf diesen Wissenschaftler gestürzt, der mit Dollars überhäuft wurde. „Ich war monatelang lahm gelegt“, stöhnt Rahmstorf noch heute über den Presserummel. In den Berichten las er oft falsche und entstellende Meldungen. Mal wurde er als Kronzeuge für klimatische Entwarnung gehandelt, mal als einer für drohende Katastrophen. Besonders ärgerte ihn, dass er als Eiszeit-Prophet abgestempelt wurde. Das Hamburger Abendblatt wollte damit seine Forschung auf einen griffigen Nenner bringen. Rahmstorf ist ein Experte für Meeresströmungen und beschäftigt sich vor allem mit dem Golfstrom und dessen nördlichem Ausläufer, dem Nordatlantikstrom. Mit Modellrechnungen hat er gezeigt, dass die warme Strömung, die Europas Klima bestimmt, abreißen könnte, wenn sich die Atmosphäre weiter aufheizt. Seit Jahrtausenden sinkt im hohen Norden kaltes, salzreiches Wasser in die Tiefe, so dass warmes Oberflächenwasser nachströmt. Dieser Motor bezieht seine Kraft aus der winterlichen Eisbildung. Da Salz nicht in die Eiskristalle eingebaut wird, reichert es sich unterhalb der Eisdecke an – und macht das Wasser spezifisch schwerer. Bei weltweit steigenden Temperaturen könnte aber mehr Niederschlag fallen und das Salzwasser so stark verdünnen, dass es nicht mehr absinken kann. Dass Rahmstorf diese Gefahr erstmals mit Bits und Bytes dingfest machte, hat ihm den Millionen-Preis eingebracht. Er könne damit, hieß es, zum Wohl der Menschheit beitragen. Trotzdem: Eine neue Eiszeit hat Rahmstorf nicht an die Wand gemalt. Der Nordatlantikstrom ist zwar für Europa eine Art Zentralheizung: Er treibt die Durchschnittstemperaturen – vor allem im Nordwesten – um fünf bis zehn Grad in die Höhe. Doch wenn er versiegt, fällt das Thermometer in Europa nicht in eiszeitliche Tiefen, sondern nur auf vorindustrielle Werte zurück. Die unter dem Mief der Fabriken gewonnene Wärme ginge wieder verloren.

„Ich fange an, mich zu wehren“, beschreibt Rahmstorf seinen Umgang mit sensationshungrigen Journalisten. Auf seiner Internet-Homepage stellt er „häufige Missverständnisse“ und „ Presse-Irrtümer“ richtig. Dabei braust er nicht auf, wenn er sich ärgert, sondern wendet sich höflich und sachlich an die Ressortleiter. Schrille Töne liegen ihm nicht. Rahmstorf verkörpert den netten jungen Mann, wie ihn sich viele Mütter als Schwiegersohn wünschen: Immer freundlich, ohne sichtbare Ecken und Kanten, strebsam und ordentlich. In seinem Büro liegen keine Papierstapel herum, hier hat alles seinen Platz. Trotzdem ist er kein Pedant, dem es kein Journalist recht machen kann. Das wird deutlich, wenn man Artikel liest, die er gelegentlich für ein breites Publikum schreibt. Dabei pflegt er amerikanische Tugenden: klare Aussagen statt gestelzter Konstruktionen, Anekdoten statt Fachwörter. Ein Essay über seine Arbeit, mit dem er sich beim amerikanischen Preisgericht beworben hatte, beginnt mit einer unterhaltsamen Geschichte aus dem Jahre 1751: Der Engländer Henry Ellis, Kapitän eines Sklavenschiffs, maß damals im subtropischen Nordatlantik die Wassertemperatur in der Tiefsee. Verwundert stieß er unter der heißen Sonne auf eiskaltes Wasser – und kühlte damit Wein und Badewasser. Auch Rahmstorf hat schon Wasserproben gezogen, ein Foto an der Wand seines Büros zeigt ihn an Bord eines Forschungsschiffs. Das war Ende der achtziger Jahre, als er – das frische Physik-Diplom in der Tasche – in Neuseeland als Ozeanograf promovierte. Die Hochbegabtenförderung der deutschen Studienstiftung hatte ihm den Auslandsaufenthalt ermöglicht. Schon dort beschäftigte ihn die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre. In Neuseeland lernte er auch seine Frau kennen, die ihm später nach Deutschland folgte. Inzwischen überlässt Rahmstorf die Feldarbeit anderen, für seine Forschung braucht er nur noch einen Computer. Kurioserweise hat ihm technische Rückständigkeit beim wissenschaftlichen Durchbruch geholfen. Seine Arbeitsgruppe verwendet ein relativ einfaches Modell zur Klimasimulation. Russische Kollegen hatten es nach Potsdam mitgebracht. Dieses Ur-Modell, das ständig verfeinert wird, war aus der Not geboren. Ohne Supercomputer konnten die Russen nicht – wie ihre westlichen Kollegen – bei den Meteorologen abkupfern und deren Wettervorhersage-Modelle zur Klimaberechnung ausschlachten. Ihr Rechner wäre überfordert gewesen, Hoch- und Tiefdruckgebiete im Tagestakt über virtuelle Landschaften wandern zu lassen. Stattdessen vereinfachten sie die Welt, so gut es ging, ließen das Wetter vollends aus dem Spiel und arbeiteten ausschließlich mit Klimadaten. Zum Beispiel verwendeten sie mittlere Monatstemperaturen und Monatsniederschläge, wobei sie sich mit einer groben räumlichen Auflösung der Erde begnügten. Für die Ansprüche der Potsdamer war dieser Ansatz genau der richtige. Schließlich wollen sie nicht das Wetter von morgen berechnen, sondern haben das Klima der vergangenen Jahrtausende und der kommenden Jahrhunderte im Visier. Da kommt ihnen die Software-Sparversion sehr entgegen: Während Kollegen, die mit aufwändiger Modellierung dem westlichen Mainstream gefolgt waren, monatelang auf ein Computerergebnis warten müssen und vor sehr langfristigen Simulationen kapitulieren, haben die Potsdamer meist schon am nächsten Tag die Ausdrucke auf dem Tisch. Und die Resultate können sich sehen lassen. Vor vier Jahren gelang es der Gruppe, das Klima auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, vor 21000 Jahren, virtuell nachzustellen. „Das hat vor uns noch niemand geschafft“, freut sich Rahmstorf. Die Eiszeit ist die Nagelprobe für ein Klimamodell. Denn inzwischen weiß man recht gut, wie die Welt damals ausgesehen hat. Aus vielen Zeugnissen lässt sich die jüngste Vergangenheit der Erde detailscharf rekonstruieren: vor allem aus Bohrkernen vom Grönlandeis und aus Tiefseesedimenten, aus Jahresringen tropischer Korallen und aus dem Schutt von Eiszeit-Moränen. Als die Potsdamer ihren Computer in die Eiszeit schickten, indem sie ihn mit der Sonneneinstrahlung, der globalen Eisverteilung und dem Kohlendioxidgehalt vor 21000 Jahren fütterten, staunten sie nicht schlecht. Das Modell, jubelt Rahmstorf, „gab das Eiszeit-Szenario auf Anhieb realistisch wieder“. Es lieferte die korrekte weltweite Abkühlung um rund sechs Grad sowie die regionalen Unterschiede: Im hohen Norden sanken die Temperaturen wesentlich drastischer als anderswo. Der Computer lag auch richtig, was die große Trockenheit in Europa und die Ausdehnung der Westwindzone angeht. Vor allem aber machte er den großen Einfluss der Meeresströmungen auf das Klima in Europa deutlich: Der warme Nordatlantikstrom hatte sich verkürzt. Er reichte nicht mehr, wie heute, bis zur Höhe Grönlands, sondern machte schon bei Großbritannien halt. So kühlten einige Gebiete extrem ab – um mehr als 20 Grad. Inzwischen gelang Rahmstorfs Team ein weiterer Simulations-Erfolg. Diesmal ging es um die rätselhaften Temperatursprünge während der letzten Eiszeit. Mehr als 20-mal erwärmte sich die Atmosphäre innerhalb weniger Jahre um acht bis zehn Grad und kühlte sich in den anschließenden Jahrhunderten langsam wieder ab. Weil der Däne Willi Dansgaard und der Schweizer Hans Oeschger das Phänomen aus grönländischen Eisbohrkernen herausgelesen hatten, erhielt es den Namen Dansgaard-Oeschger-Ereignis. Diese D/O-Events zu verstehen, ist wichtig. Schließlich würden Temperatursprünge von zehn Grad, wenn sie sich wiederholten, der Zivilisation weltweit erheblich zusetzen. Die Vermutung lag nahe, dass veränderte Meeresströme für die klimatischen Wechselbäder verantwortlich waren. Änderungen der Sonneneinstrahlung würden sich nicht so fulminant auswirken. Rahmstorf traktierte also seine virtuellen Meere mit Süßwasser-Attacken, den schärfsten Waffen gegen den ozeanischen Trott. Im hohen Norden, wo normalerweise kaltes, salzreiches Wasser absinkt, ließ er ein Jahr lang reichlich Niederschlag fallen, ein andermal drosselte er den Hahn. Die Eingriffe in den sensiblen Motor des Nordatlantikstroms zeigten Wirkung: Schon eine geringe Störung genügte, um das Eiszeitklima zu kippen. Der warme Strom, der bisher nur bis zur Höhe von England vorgedrungen war, gelangte nun – wie heute – bis ins Nordmeer, ließ dort das Meereis schmelzen und erwärmte das umliegende Land. Die aufgezwungene Umleitung hielt sich aber nur wenige Jahrhunderte, dann fiel das System wieder in den Ausgangszustand zurück. Das Szenario lieferte eine Temperaturkurve, die verblüffend genau mit den aus dem Eis ermittelten Daten übereinstimmt. Die letzte Ursache der Klimasprünge ist damit noch nicht geklärt. Die Modellrechnung beantwortet nicht, warum sich die Niederschläge verändert haben. Doch sie zeichnet ein klares Bild der Meeresströmungen im Nordatlantik während der Eiszeit: Meist endete der warme Nordatlantikstrom viel weiter südlich als heute. Der Zentralheizung fehlten also einige Heizkörper, sodass im Nordwesten Europas bitterer Frost herrschte. Eine Störung konnte zweierlei Folgen haben: Entweder verlängerte sich der Nordatlantikstrom nach Norden – und verursachte ein D/O-Event – oder er riss vollends ab. In beiden Fällen pendelte sich nach einigen Jahrhunderten der Normalzustand wieder ein.

Wenn ein Modell die eiszeitlichen Verhältnisse so gut wiedergibt, dann sind die Prognosen, die es liefert, ernst zu nehmen. Wie groß ist also die Gefahr, dass der Nordatlantikstrom abreißt und die Europäer frieren müssen, während der Rest der Welt schwitzt? Zum Glück lassen sich die Wassermassen derzeit nicht so leicht aus dem Takt bringen wie während der Eiszeit. Dafür braucht es schon eine kräftige Störung. Das ist auch der Grund, warum das Klima in den letzten 10000 Jahren so stabil war. Die globale Durchschnittstemperatur schwankte allenfalls um ein Grad – was der menschlichen Kultur zum Erfolg verhalf. Doch „das Klima ist wie ein wildes Tier“, mahnt Rahmstorf: „Man darf es nicht zu stark reizen.“ Wenn die Treibhausgas-Konzentrationen in der Luft weiter ungebremst steigen, droht etwa ab dem Jahr 2100 Gefahr. Dann könnte Europas Heizung ausfallen. Noch seien die Modelle allerdings zu unausgereift, um eindeutige Aussagen treffen zu können. Der „unverbesserliche Optimist“, wie Rahmstorf sich bezeichnet, hält den Klima-GAU für „eher weniger wahrscheinlich“. Eines aber kann er mit Sicherheit sagen: Wenn der Nordatlantikstrom tatsächlich abreißt, bleibt es in Europa für Jahrtausende kühl. Denn die Pumpe springt von alleine nicht wieder an, das neue Strömungssystem wäre stabil. Welche Folgen das haben würde, wollen Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung zusammen mit anderen Forschern in den kommenden vier Jahren in einem interdisziplinären Vorhaben – mit Rahmstorf an entscheidender Stelle – im Detail erforschen. Sie wollen vor allem abschätzen, wie sich die klimatische Achterbahnfahrt auf Fischerei und Landwirtschaft auswirken würde. Fest steht: Ein Heer von Umweltflüchtlingen würde gen Süden aufbrechen. Dass es erst gar nicht so weit kommt, dazu trägt Rahmstorf seinen Teil bei – ökologisch-korrekt. So strampelt er täglich mit dem Fahrrad den Telegrafenberg hinauf. Und in seinem Altbau hat er mit „Faktor Vier“ ernst gemacht, wie ihn Umwelt-Vordenker Ernst Ulrich von Weizsächer predigt. Nach einem Umbau – „ich habe die ganze Heizungsanlage selbst gebaut“ – hat er den Verbrauch des Gebäudes an fossilen Brennstoffen um den Faktor Vier gedrosselt.

Kompakt

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Stefan Rahmstorf, geboren 1960 in Karlsruhe, erhielt 1999 den mit einer Million Dollar dotierten Jahrhundertpreis der McDonnell-Stiftung, warnt, dass die globale Klimaveränderung Europas Zentralheizung, den Nordatlantikstrom, stoppen könnte, lehnte ein Angebot aus den USA ab, weil er das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung für Weltspitze hält, hat kein Auto, sondern fährt lieber mit dem Fahrrad.

Klaus Jacob

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