Die Spuren, die die Roheisen-Produktion rund um ehemalige Standorte hinterlassen hat, sind grauschwarz und sehr feinkörnig: Hunderttausende Tonnen sogenannter Gichtgasschlämme lagern in Deutschland auf alten Deponien. Entstanden beim Waschen der Abgase aus den Hochöfen, wurden sie bis in die achtziger Jahre hinein über Rohrleitungen direkt in offene Teiche gespült. Bis vor kurzem hat sich niemand damit auseinandergesetzt, ob sie eine Gefahr für die Umwelt darstellen. Jetzt haben Dr. Tim Mansfeldt von der Ruhr-Universität Bochum und Dr. Reiner Dohrmann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover einen Anfang gemacht. Sie nahmen das Material zum ersten Mal chemisch und mineralogisch unter die Lupe und untersuchten es insbesondere auf Zyanide. Diese Verbindungen entstehen beim Verhüttungsprozeß und wurden deshalb in den Schlämmen vermutet. Tatsächlich ergaben Analysen von Schlammproben aus drei verschiedenen Deponien im Ruhrgebiet und in Schleswig-Holstein sehr hohe Gehalte von bis zu 0,5 Prozent Zyanid. Das liegt weit über den Prüfwerten nach der Bundesbodenschutzverordnung. Diese betragen etwa für Kinderspielplätze und Freizeitanlagen 0,005 Prozent. Trotzdem konnten Mansfeldt und Dohrmann Entwarnung geben. Denn sie machten eine sensationelle Entdeckung: In den Schlämmen identifizierten sie eine Verbindung, die einen Großteil des Zyanids regelrecht im Klammergriff hält. Es handelt sich dabei um einen Eisenzyankomplex, der Kalium und Zink enthält und noch nie zuvor in der Umwelt nachgewiesen wurde. Dieser Komplex ist schwer löslich, wie Mansfeldt anhand von Versuchen zeigte. Erst bei der Behandlung mit starker Natronlauge erhöhte sich die Löslichkeit. Solche Bedingungen gibt es in der Natur allerdings nicht. „Eine unmittelbare Gefährdung der Umwelt durch Zyanide in Gichtgasschlämmen ist daher nicht gegeben“, prognostiziert Mansfeldt. Verblüffend: Die beiden Forscher waren der Verbindung unabhängig voneinander auf die Spur gekommen. Der Bodenkundler Mansfeldt näherte sich dem Problem chemisch und identifizierte den Eisenzyankomplex anhand seiner schweren Löslichkeit. Der Mineraloge Dohrmann beschoß die Schlämme mit Röntgenstrahlen. Bei der sogenannten Röntgendiffraktometrie wird der Effekt genutzt, daß die Röntgenstrahlen an Kristallgittern in den untersuchten Substanzen gebeugt werden und dann Reflexe bilden. „Das ist in etwa vergleichbar mit den Rillen einer CD, die das Licht beugen und dann in Regenbogenfarben schillern lassen“, erklärt Dohrmann. Einem Fingerabdruck gleich erzeugt jede Verbindung ein typisches Reflexmuster, mit dem sie identifiziert werden kann. Daß die Schlämme bisher nicht genauer untersucht worden sind, führt Mansfeldt auf ihre Wertlosigkeit zurück. „Wirtschaftlich waren sie einfach uninteressant“, erklärt er. Das jetzige Forschungsprojekt, das vom Umweltministerium des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt wurde, basiert auf Überlegungen der Stadt Herne, die auf einer solchen alten Schlamm-Deponie eine Rasenfläche anlegen möchte.
Astrid Staesche