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Lauter große Geister

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Lauter große Geister
Die Lektüre von naturwissenschaftlichen Büchern gehört in Deutschland nicht zum Bildungskanon. Ernst Peter Fischer setzt dagegen und hat jetzt Wissenschaftler und ihre Werke vorgestellt, „die man kennen muss”.

bild der wissenschaft: Sie haben soeben mit „Einstein, Hawking, Singh & Co.” ein Buch veröffentlicht, das prominente Bücher von Nobelpreisträgern und anderer herausragender Wissenschaftler vorstellt. Was versprechen Sie sich davon – einmal abgesehen von einem guten Verkauf –, Herr Prof. Fischer?

Fischer: Ich glaube, dass man die Vermittlung von und das Verständnis für Wissenschaft steigern kann, wenn man über die Akteure besser Bescheid weiß. Viele große Akteure sind als Autoren aufgetreten und offenbaren so, dass Wissenschaft als Kultur existent ist und nicht nur als etwas, das in Instituten Ergebnisse produziert.

bdw: Sie haben bereits mehrfach versucht, Wissenschaft über die Darstellung ihrer Persönlichkeiten zugänglich zu machen. Welche Bilanz können Sie ziehen?

Fischer: Einen messbaren Erfolg, was die Akzeptanz der Wissenschaft angeht, kann ich Ihnen nicht liefern. Die stärkste Reaktion habe ich auf mein Buch „Die andere Bildung” bekommen und nicht auf die Personenvorstellungen, obwohl auch die über Sonderverkäufe weit verbreitet wurden. Mehr Auflage als mit Büchern über Naturwissenschaftler erzielt man mit Lebensbeschreibungen großer Musiker oder Philosophen.

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bdw: Seit Sie der eher geisteswissenschaftlich orientierten „ Bildung” von Dietrich Schwanitz Ihre naturwissenschaftlich orientierte „Die andere Bildung” entgegengesetzt haben, sind Sie bekannt und bekommen Preise. Ärgert es Sie, von vielen erst dann registriert zu werden, wenn Sie einem sprachbegabten Bildungsbürger Paroli bieten?

Fischer: Ein guter Freund hat mir attestiert, dass meine „ andere Bildung” stilistisch und inhaltlich nicht groß von dem abweicht, was ich zuvor geschrieben habe. Nur die Beweggründe, das zu lesen, seien andere. Insofern trifft das schon zu, was Sie sagen. Doch der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Dazu gehört, dass mein damaliges Buch in die Bildungsdebatte passte, die durch die Pisa-Studie enorm angekurbelt worden ist. Ein weiterer Vater ist sicherlich mein Vermittlungsstil. Es geht mir nicht darum zu erklären, wie der Mensch naturwissenschaftlich vermessen werden kann. Vielmehr soll der Leser ein Verständnis von Natur und Mensch bekommen. Ich versuche, Bilder zu entwerfen. Alle wirklich erfolgreichen Bücher über die Wissenschaft haben das gemacht. Beispielsweise hat „Der Blaue Planet” des Gründungsherausgebers von bild der wissenschaft, Heinz Haber, die Erde in einem ganz anderen Umfeld präsentiert, als es bis dahin üblich war. Details der Öffentlichkeit zu vermitteln, nach dem Motto, „der Neurotransmitter bindet an einen Rezeptor, was zu einer Veränderung der Leitfähigkeit einer Membran führt”, lohnt sich nicht.

bdw: Bleibt die Naturwissenschaft deshalb heute so vielen verschlossen, weil die Forscher immer weniger Zeit dafür aufbringen, Bilder zu entwerfen, um für ihre Arbeiten zu werben?

Fischer: Das ist ein Problem. Dabei fängt die Naturwissenschaft der Moderne mit Bildern an. Kopernikus steht am Anfang, indem er erstmals die Sonne in die Mitte der Welt rückte: Das kopernikanische Weltall ist ein Bild, und Kopernikus fertigte es im Detail an. Vesalius zeigte im selben Jahr 1543 per Bild erstmals den anatomischen Körper. Auch wenn Sie über Evolution nachdenken, haben Sie zuerst ein Bild im Kopf: den Baum. Und wer sich über Atome Gedanken macht, startet mit dem Bild, das er von ihnen im Kopf hat.

bdw: Sind die Erkenntnisse der Quantenphysik oder der Mikrobiologie – zwei Wissenschaftsdisziplinen, die heute eine wichtige Rolle spielen – wirklich noch über Bilder zu vermitteln?

Fischer: Es wäre schon besser, wir hätten ein gutes Bild von der Unbestimmtheit der Atome und nicht nur vage Illustrationen oder unklare Begriffe. Insgesamt gilt: Sie dürfen nicht direkt in die Materie einsteigen. Sie müssen es indirekt machen – etwa indem Sie die Quantenphysik über den Effekt der Teleportation vermitteln. Denn die ist eine experimentelle Metaphysik in dem Sinne, dass physikalische Zustände durch Wechselwirkungen zustande kommen, die über die Physik hinausgehen und dabei ein zusammenhängendes Ganzes erkennen lassen, nach dem viele Menschen suchen. Einem Ökonomen wiederum können Sie ein Bild der Quantenphysik vermitteln, wenn sie ihm klar machen, dass ein Drittel der gesamten Weltwirtschaftsleistung heute nur deshalb zustande kommt, weil Erkenntnisse der Quantenphysiker zu Produkten wie Transistoren, Lasern oder Computern geführt haben. Zufällig – also ohne die Erkenntnisse der Quantenphysik – hätte man den Halbleitereffekt nie gefunden.

bdw: Wie viele der von Ihnen jetzt in Ihrem Buch vorgestellten 50 Wissenschaftler haben Sie persönlich kennen gelernt?

Fischer: Fast 20 habe ich mehr oder weniger gut kennen lernen dürfen.

bdw: Immer wieder schwärmen Sie von dem Nobelpreisträger und – salopp gesagt – ersten Molekularbiologen Max Delbrück, der Ihr Doktorvater war. Was an ihm war so besonders?

Fischer: Seine Menschenführung war einzigartig. Und er hatte einzigartige Fähigkeiten als Lehrer: Ein Problem konnte noch so komplex sein – er war am Schluss der Debatte immer in der Lage, das Wesentliche in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Überdies strahlte er den Zauber einer großen Intellektualität aus. Wenn er kam, wurde man sozusagen automatisch ehrlicher. Seine wissenschaftliche Leistung war – verglichen mit der anderer Nobelpreisträger – vielleicht gar nicht so toll. Aber er war souverän und umfassend gebildet. Ihn interessierte Uwe Johnson genauso wie die Geschichte des Kaiserreiches, die Frequenz des Kolibrigesangs genauso wie die Zählmethode beim Tennis, und er verwickelte seine Studenten in Gespräche über diese Themen.

bdw: Klingt faszinierend. Geht von den anderen in Ihrem jüngsten Buch vorgestellten Wissenschaftlern ein ähnlicher Zauber aus?

Fischer: Wer Bücher schreibt, wie es die von mir vorgestellten Wissenschaftler getan haben, muss von innen heraus brennen und will Wissenschaft stilvoll vermitteln. Große Wissenschaftler haben ebenso ihren persönlichen Stil, wie ihn auch Musiker haben. So sind selbst mathematische Ableitungen völlig anders geführt. Die von Delbrück unterscheiden sich von denen Einsteins. Und Hawking hat wiederum einen anderen Stil.

bdw: Sie kommen in Ihren Büchern immer wieder auf Physiker oder Biowissenschaftler zu sprechen. Chemie oder Geowissenschaften finden bei Ihnen nicht statt. Haben Sie da Lücken?

Fischer: Natürlich kann ich viele Bereiche der Wissenschaft nur vom Rande aus anschauen. So war ich froh, das Astronomische, das Physikalische, das Biologische, das Genetische reinbekommen zu haben. Was hier vorliegt, ist meine Sicht der Dinge. Ich mache mir selbst den Vorwurf, keine Größe der Chemie vorstellen zu können, aber ich habe keinen Autor gefunden, der in der mir vorschwebenden Art und Weise seine Wissenschaft vermittelt.

bdw: Was soll nach der Lektüre Ihres Buches hängen bleiben?

Fischer: Wenn alberne Auffassungen verschwinden, wie etwa die von Marcel Reich-Ranicki, wäre der Sache schon sehr gedient. Der Literaturkritiker behauptet, dass naturwissenschaftliche Texte sich nicht zu lesen lohnen – nicht einmal die seines sonst so geliebten Johann Wolfgang von Goethe. Das ist Unsinn. Es gibt durchaus in der Naturwissenschaft Texte, die sich lohnen – und Vergnügen machen. Überdies sehe ich mein neues Buch als naturwissenschaftlichen Abriss des vergangenen Jahrhunderts nach dem Motto: Das bleibt.

Prof. Dr. Ernst Peter Fischer

stammt aus Wuppertal und studierte Mathematik und Physik. 1987 habilitierte er sich für Wissenschaftsgeschichte, die er seitdem an der Universität Konstanz lehrt. Fischer (Jahrgang 1947) ist einer der renommiertesten deutschsprachigen Wissenschaftspublizisten und Autor von einem knappen Dutzend populärer Bücher über Naturwissenschaftler. 2001 hat er den Bestseller „Die andere Bildung” (Verkaufsauflage: 120 000 Exemplare) veröffentlicht. Dieses Buch wurde mehrfach ausgezeichnet.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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