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„Wir Wissenschaftler haben oft zu spät informiert“

Allgemein

„Wir Wissenschaftler haben oft zu spät informiert“
Seit einem guten Jahrzehnt versucht die Wissenschaft, mit den Bürgern enger in Kontakt zu kommen. Gerold Wefer, einer der Chefdenker der Initiative Wissenschaft im Dialog, bilanziert die wichtige Mission.

Gerold Wefer

bild der wissenschaft: Seit einigen Jahren sucht die Wissenschaft verstärkt Kontakt mit der Öffentlichkeit. Als Vorsitzender des Lenkungsausschusses Wissenschaft im Dialog WiD haben Sie dafür maßgeblich die Weichen gestellt. Welche Bilanz ziehen Sie nach gut fünf Jahren im Amt, Herr Professor Wefer?

Gerold Wefer: Ich sehe mich als Moderator, der nur zusammen mit den großen Wissenschaftseinrichtungen, den Akademien oder der Hochschulrektorenkonferenz etwas bewegen kann und mit ihnen Projekte anstößt, die eine Einrichtung alleine nicht stemmen kann. Außerdem geht es darum, Ideen weiterzuentwickeln und neue Formate auszuprobieren.

Beispielsweise?

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Im Rahmen von WiD werden nicht mehr nur Forschungsergebnisse präsentiert, sondern wir dokumentieren, wie wir auf die Resultate gekommen sind. Bei der Klimaforschung etwa legen wir dar, unter welchen Annahmen unsere Szenarien gerechnet werden, welche statistischen Wahrscheinlichkeiten wir einbeziehen und auch welche Fehlerquellen damit verbunden sind. Die Forschung wird dadurch greifbarer. Viele Bürger verstehen so viel besser, was Wissenschaft leisten kann – und was nicht.

Welche Mittel stehen jährlich für die Initiative zur Verfügung?

Die Grundfinanzierung umfasst etwa 600 000 Euro. Darüber hinaus erhalten wir durch Projektförderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie BMBF, sowie durch Stiftungen und Kooperationen mit Universitäten weitere Mittel. Der Gesamtetat liegt bei 2 bis 2,5 Millionen Euro.

Sie selber sind bei WiD ehrenamtlich tätig?

Ja.

Bekommen Sie eine Aufwandsentschädigung?

Nein.

Meine Anerkennung, sehr selbstlos!

Ich denke, dass ein solches Verhalten in der Wissenschaft vielfach üblich ist.

Welche Aktionen von WiD sind am erfolgreichsten?

An erster Stelle möchte ich hier unser Schiff, die MS Wissenschaft, nennen. Die liegt mir besonders am Herzen, auch deshalb, weil ich diese Art Event 2002, im Jahr der Geowissenschaften, eingeführt habe. Dabei handelt es sich um eine Wissenschaftsausstellung auf einem Schiff, das in vielen Städten Deutschlands – inzwischen sogar in Österreich – vor Anker geht. Die MS Wissenschaft kommt in den Medien gut an, was mit dazu führt, dass jedes Jahr etwa 100 000 Besucher an Bord kommen. Auch die Konferenzen, bei denen es um Wissenschaftskommunikation geht, bringen neue Ideen zur Präsentation von Wissenschaft. Sehr erfolgreich ist außerdem der Wissenschaftssommer, der sich jedes Jahr in einer anderen Stadt abspielt. Ich erinnere mich mit großer Anerkennung, wie sich im letzten Jahr die Stadt Mainz präsentiert hat. Der diesjährige Wissenschaftssommer findet übrigens vom 2. bis 6. Juni in Lübeck statt.

Lassen Sie die Aktivitäten von Wissenschaft im Dialog durch

Externe überprüfen oder – wie es im Wissenschaftler-Slang heißt – evaluieren?

Wir behandeln jede Veranstaltung im Lenkungskreis. Wenn Kritik aufkommt, dann meist nicht an dem, was wir anbieten. Vielmehr wird kritisiert, dass wir für einen Event nicht die richtige Zeit oder den richtigen Ort gewählt hätten – etwa, dass wir Schulferien nicht berücksichtigt haben. In Einzelfällen werden unsere Projekte auch von Sozialwissenschaftlern evaluiert. Unsere Überprüfungen haben beispielsweise dazu geführt, dass wir auf teure Events zur Eröffnung einer großen Veranstaltung verzichten.

Gute Events ziehen immer Publikum an. Kernfrage ist jedoch, ob die Botschaften von Wissenschaft im Dialog beim Publikum ankommen und dann auch in Erinnerung bleiben.

Grundsätzlich ist die Bevölkerung superkritisch. Die Tieferlegung eines Hauptbahnhofs, die Erschließung neuer heimischer Erdgaslagerstätten, die Untertagespeicherung von Kohlendioxid – stets kommt das Argument, „nee, wollen wir nicht“. Für uns Wissenschaftler heißt das: gut und frühzeitig zu informieren und nicht erst zu reagieren, wenn eine konkrete Sache ansteht. Ob die gegenwärtige Antihaltung dadurch schwindet, weiß ich zwar nicht. Aber ich bin mir sicher, dass wir Wissenschaftler in der Vergangenheit oft zu spät oder unverständlich informiert haben. Zentrales Problem ist die Gratwanderung zwischen der Nutzung der Erde einerseits und der Erhaltung der Erde für die Nachwelt: Wer Wasser aus dem Wasserhahn und eine warme Wohnung haben oder mobil sein will, braucht dafür Ressourcen, und die Gewinnung führt natürlich zu einer Beeinträchtigung der Umwelt.

Wissenschaft im Dialog gibt es seit dem Jahr 2000. Registrieren Sie Ermüdungserscheinungen bei den Wissenschaftlern, die sich Jahr für Jahr erneut öffentlich präsentieren müssen und dafür Abende und Wochenenden opfern sollen?

Um das Jahr 2000 hieß es noch gelegentlich: „Du machst wohl Öffentlichkeitsarbeit, weil du nicht mehr in der Lage bist, anspruchsvolle Wissenschaft zu betreiben.“ Das hat sich geändert. Die meisten Wissenschaftler, auch junge, haben inzwischen großes Interesse, in Schulen zu gehen, Vorträge zu halten oder anderweitig für ihre Arbeit zu werben. Im Übrigen: Wer Außenstehenden erzählt, was er macht, schärft dadurch die eigene Argumentation, indem er beispielsweise durchdenken muss, was in der Darstellung wirklich wichtig ist, damit andere die eigene Arbeit verstehen können.

Anlass, WiD ins Leben zu rufen, war der starke Rückgang bei den Immatrikulationen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften in den 1990er-Jahren sowie der Exodus junger deutscher Forscher in angloamerikanische Laboratorien. Wie steht es heute damit?

Die Zahl der Studienanfänger in diesen Fächern ist wieder gestiegen, und viele Forscher kommen nach ihrem Auslandsaufenthalt gerne nach Deutschland zurück. Ich registriere, dass der Wert der Wissenschaft, die Faszination und die Attraktivität solcher Berufe in jüngerer Zeit zugenommen haben. Unsere Aktivitäten in den Schulen zeigen Wirkung. Selbst in Grundschulen und Kindergärten kann man Interesse wecken und zeigen, wie faszinierend unsere Arbeit sein kann. Darüber hinaus müssen wir Wissenschaftler es schaffen, bei unseren Aktivitäten in der Schule Ängste vor Physik, Chemie oder Mathematik abzubauen. Das Wichtigste ist, Interesse für ein Studienfach zu wecken. Natürlich braucht es dann auch Fleiß, um gute Examen zu machen.

Auf was führen Sie es zurück, dass in TV-Debatten trotz der gestiegenen Akzeptanz der Naturwissenschaften kaum Naturwissenschaftler mitmischen?

Die Wissenschaft ist in den Medien viel präsenter als vor zehn Jahren. Es gibt täglich Berichte in den Zeitungen und viele Wissenschaftsformate im Fernsehen. Wer sich lediglich an Fernsehnachrichten und Talksendungen orientiert, hat in der Tat den Eindruck, dass es in erster Linie um Krisen und Streit geht. Erfolgsmeldungen sind dort selten. Krisen und Streit können wir Wissenschaftler selten bieten. Deshalb sind wir selten in den Nachrichten. Aber so möchte ich das auch gar nicht. Wenn ich da nur als ‚Krise‘ reinkomme, bleibe ich lieber draußen. ■

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

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