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„BERÜHRUNGSÄNGSTE SPÜRE ICH NICHT“

Allgemein

„BERÜHRUNGSÄNGSTE SPÜRE ICH NICHT“
Wie sieht der Vorsitzende des Aufsichtsrats „seine“ Baden-Württemberg Stiftung? Was kann die Stiftung wirklich bewegen? Stefan Mappus antwortet auf zehn provokante Thesen der bild-der-wissenschaft-Redaktion. Stefan Mappus ist seit Februar 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg und in dieser Funktion zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Baden-Württemberg Stiftung. Aufgewachsen in Pforzheim, machte er nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und studierte anschließend an der Universität Hohenheim Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Abschluss Diplom-Ökonom). 1983 trat Mappus (Jahrgang 1966) in die Junge Union, zwei Jahre später in die CDU ein. Seit 1996 ist er direkt gewähltes Mitglied des baden-württembergischen Landtags.

Aufsichtsratsvorsitzender bei der Baden-Württemberg Stiftung ist eines von vielen Ämtern, die Sie als Ministerpräsident ausüben. Da bleibt Ihnen keine Zeit, sich mit der Stiftung zu beschäftigen, Herr Mappus.

Stefan Mappus: Das Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg bringt natürlich viele verschiedene Aufgaben und Verpflichtungen mit sich, die einen hohen Zeitaufwand fordern. Das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Baden-Württemberg Stiftung liegt mir allerdings besonders am Herzen, da die Stiftung eine sehr große Bedeutung für die Zukunft unseres Landes hat. Die Ziele und Arbeitsschwerpunkte der Stiftung – Forschung, Bildung, soziale Verantwortung und Zukunftsorientierung – sind seit Langem klar definiert. Also kann die Geschäftsführung in diesem Sinne handeln und ich muss nur bei grundsätzlichen Fragen innerhalb der Baden-Württemberg Stiftung aktiv werden. Der Vorsitz im Aufsichtsrat bringt für mich also mehr Freude als Arbeit mit sich.

Ein neuer Name wie bei der Landesstiftung Baden-Württemberg, die zehn Jahre nach ihrer Gründung in Baden-Württemberg Stiftung umbenannt wurde, ist bloße Kosmetik.

Baden-Württemberg ist traditionell ein Land des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen Engagements. Im Land gibt es über 1700 Stiftungen, die verschiedene soziale und gesellschaftliche Ziele verfolgen. Insgesamt sieben davon tragen den Begriff „ Landesstiftung“ im Namen. Mit der neuen Baden-Württemberg Stiftung setzen wir uns bewusst ab. Der neue Name ist damit ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Außerdem signalisieren das neue Logo und das überarbeitete Erscheinungsbild den Aufbruch in ein neues Jahrzehnt, auch wenn die Ziele unserer Stiftung, die übrigens eine der drei größten Stiftungen privaten Rechts bundesweit ist, gleich bleiben.

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Die Exzellenz-Initiative des Bundes und der Länder zur Förderung der Wissenschaft hat die wissenschaftlichen Programme der Baden-Württemberg Stiftung ausgestochen.

Baden-Württemberg gilt nicht umsonst als Land der Tüftler und Erfinder. Forschung und Entwicklung spielen bei uns schon immer eine große Rolle und werden seit Langem intensiv von der Landesregierung unterstützt. Fördermaßnahmen des Landes, und im Besonderen die der Baden-Württemberg Stiftung, haben den Erfolg Baden-Württembergs bei der Exzellenz-Initiative erst möglich gemacht und die Mittel des Bundes in unser Land geholt. Vor allem die Zukunftsoffensiven, das Baden-Württemberg-Stipendium und flexibel einsetzbare Forschungsgelder sind zukunftsweisende und milliardenschwere Projekte der Stiftung, die den Erfolg Baden-Württembergs als führenden Forschungsstandort langfristig sichern sollen.

Bayern und Baden-Württemberg streiten sich meist um Platz 1. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer behauptet, Bayern habe in der Wissenschaft die Nase vorn.

Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft und tatsächlich liefern sich zum Beispiel die baden-württembergischen und die bayerischen Universitäten ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Spitzenplätze in Deutschland. Trotzdem hat die Exzellenz-Initiative gezeigt, dass Baden-Württemberg mit seinen vier Exzellenz-Universitäten Freiburg, Karlsruhe, Konstanz und Heidelberg die Nase vorne hat. Auch der Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sieht Baden-Württemberg vor Bayern. Hinzu kommt, dass in Baden-Württemberg 2009 fast ein Drittel (32,5 Prozent) aller deutschen Patente angemeldet wurden. Seit vielen Jahren ist Baden-Württemberg auch in diesem Bereich unangefochtener Spitzenreiter.

Ein Wissenschaftler kümmert sich um Veröffentlichungen, die die Scientific Community beeindrucken. Er meldet kein Patent an und gründet keine Firma, die Arbeitsplätze im Land schafft.

Es gibt im Land viele Gegenbeispiele, vor allem in der Informatik und in den Ingenieurwissenschaften. Wenn Sie allerdings darauf hinaus wollen, dass unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Bereich der Ausgründungen noch einiges tun können, gebe ich Ihnen Recht. Vor allem im Vergleich zum Ausland haben wir hier sicher Nachholbedarf. Daran wollen wir in den nächsten Jahren arbeiten und die Rahmenbedingungen dafür deutlich verbessern.

Im Ausland finden Wissenschaftler oft ausgezeichnete Bedingungen für ihre Forschung. Gerade gute Wissenschaftler bleiben daher nicht lange in Baden-Württemberg.

Es ist doch gut, wenn sich unsere Nachwuchswissenschaftler im Ausland weiterqualifizieren. Außerdem zeigen zahlreiche Untersuchungen, zuletzt eine Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dass viele der jungen Wissenschaftler in unser Land zurückkommen. Das liegt auch daran, dass an den baden-württembergischen Universitäten im Rahmen der Exzellenz-Initiative mehr als 1000 zusätzliche Arbeitsplätze für Wissenschaftler geschaffen wurden.

Die föderale Struktur der deutschen Hochschullandschaft behindert Forschung und Wissenschaft.

Im Gegenteil! Meiner Meinung nach lebt Wissenschaft vom Wettbewerb – Wettbewerb zwischen den Wissenschaftlern, den Universitäten und insbesondere zwischen den Ländern. Dadurch, dass die Länder für den Hochschulbereich verantwortlich sind, wird die Konkurrenz um die besten Wissenschaftler und Studierenden, die besten Hochschulen und Forschungseinrichtungen und um die besten Ergebnisse aufrechterhalten. Eine zentrale Steuerung würde uns diesen Effekt nehmen und die Energie bremsen. Auch das erfolgreiche amerikanische Hochschul- und Forschungssystem setzt auf föderale Organisation.

Wissenschaftliche Entdeckungen, die in Deutschland gemacht werden, wurden oft erst durch ausländische Unternehmen zu erfolgreichen Produkten. Auch in Baden Württemberg wurden Chancen verpasst, neue Technologien erfolgreich zu vermarkten.

Der Innovationsrat Baden-Württemberg, ein Beraterkreis der Landesregierung aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, beschäftigt sich seit Jahren mit der Verbesserung des Technologietransfers und versucht, Empfehlungen zu geben. Ein Beispiel ist der Vorschlag, das Kooperationsprojekt „Industrie auf dem Campus“ weiter zu fördern. Im Rahmen dieser Kooperation arbeiten Forscherinnen und Forscher der Hochschulen an klar definierten, industrierelevanten Projekten, die häufig Eingang in die Praxis finden. Das Projekt „e-drive“ des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Daimler AG ist ein Beispiel für gelungene Kooperation. Daneben gibt es andere Forschungsprojekte, die mittlerweile aus der Industrie nicht mehr wegzudenken sind und die den Erfolg des Technologietransfers in unserem Land zeigen. So wird der Scheibenlaser, der 1994 von Adolf Giesen an der Universität Stuttgart entwickelt wurde, mittlerweile flächendeckend im Automobilbau und der Zuliefererindustrie sowie bei der Firma Trumpf eingesetzt. Auch die Entwicklung eines extrem dünnen Siliziumchips, für die die Mannschaft um Prof. Joachim Burghartz in diesem Jahr mit dem „Landesforschungspreis Baden-Württemberg für Angewandte Forschung“ ausgezeichnet wurde, ist im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Medizintechnik ein Meilenstein. Bemerkenswert sind außerdem die Erfolge des Universitätsklinikums Tübingen – in Zusammenarbeit mit Instituten und Unternehmen aus Reutlingen, Stuttgart und Regensburg – mit Netzhautimplantaten für Blinde, die wieder Seheindrücke wahrnehmen. Damit diese Technologie bald vielen Erkrankten helfen kann, arbeitet die Retina Implant AG in Reutlingen mit Hochdruck an einer flächendeckenden Umsetzung.

Es gibt große Berührungsängste zwischen dem für

Baden-Württemberg so wichtigen Mittelstand und der Wissenschaft.

Berührungsängste sind für mich nicht spürbar. Ganz im Gegenteil: Wir schaffen zahlreiche Möglichkeiten zur Kooperation und verknüpfen dabei effektiv Forschung und Mittelstand. Vor allem die 23 Fachhochschulen in unserem Land sind regionale Innovationsmotoren für die mittelständische Industrie. Aber auch die umfassende universitäre und außeruniversitäre Forschung, die das gesamte Wissenschaftsspektrum abdeckt, sichert den Technologietransfer in Baden-Württemberg. Allein 14 Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben, sind hier angesiedelt. Daneben hat sich aber auch die Gründung der Steinbeis-Stiftung für Wirtschaftsförderung gelohnt: In mehr als 460 Steinbeis-Zentren und -Instituten werden Unternehmen, deren Umsatz unter 100 Millionen Euro liegt, kostenlos beraten und unterstützt. Ebenso bilden die Innovationsberater der örtlichen Kammern hierzulande ein flächendeckendes Netz und stehen dem Mittelstand beratend zur Seite. Mit den Innovationsgutscheinen für kleine und mittlere Unternehmen trägt auch das Land seinen Teil zur Verknüpfung von Forschung und Mittelstand bei. Für wissenschaftliche Tätigkeiten erhalten die Unternehmen bis zu 2500 Euro, für umsetzungsorientierte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sogar bis zu 5000 Euro vom Land.

Das modische Herausstellen von Clustern, also Netzwerken von Firmen und Wissenschaft in bestimmten Bereichen, ist alter Wein in neuen Schläuchen.

Schon lange gibt es Kooperationen zwischen Unternehmen, wichtigen Kunden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die gemeinsame Arbeit war häufig erfolgreich und hat innovative Lösungen und wettbewerbsfähige Produkte hervorgebracht. Das Land unterstützt seit Langem die Aktivierung von Innovations- und Clusterpotenzialen. Beispiele sind die Gründung der „Medien- und Filmgesellschaft“ 1995 und der „BIOPRO Baden-Württemberg GmbH“, die seit 2002 die zentrale Anlaufstelle für die Belange der Biotechnologie in Baden-Württemberg ist. Mit der Gründung der Landesagentur für Elektromobilität und Brennstoffzellentechnologie, der „e-mobil BW GmbH“, in diesem Jahr setzen wir dieses Engagement fort. An der Schnittstelle von Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik haben wir in jüngerer Zeit große Erfolge erzielt. Beispielhaft seien die Initiativen „Bio RN – zellbasierte und molekulare Medizin“, „Forum Organic Electronics“ und „Micro TEC Südwest“ genannt, die beim Spitzencluster-Wettbewerb des BMBF erfolgreich waren. Auch im Wettbewerb „Gesundheitsregionen der Zukunft“ wurden Initiativen aus Baden-Württemberg prämiert. ■

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

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Wissenschaftslexikon

Scham|bein|fu|ge  〈f. 19; Anat.〉 durch eine Scheibe aus Faserknorpel vermittelte, feste Verbindung der beiden Schambeine vorn in der Mittellinie; Sy Schamfuge … mehr

Harn|ver|gif|tung  〈f. 20; Med.〉 durch mangelhafte Harnausscheidung verursachte Erkrankung; Sy Urämie … mehr

Ab|so|lu|tis|mus  〈m.; –; unz.〉 Alleinherrschaft eines Monarchen, der oberster Gesetzgeber, Gerichtsherr, Regierungsoberhaupt u. Militärbefehlshaber ist, absolute Monarchie [zu lat. absolutus … mehr

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