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Berge im Eisgrab

Allgemein

Berge im Eisgrab
Im antarktischen Eis steckt ein Gebirge so groß wie die Alpen. Ab Herbst wollen Europäer eine Eiskernbohrung in der Antarktis niederbringen. Die Daten sollen Rückschlüsse auf das Erdklima ermöglichen. Bei den Vorbereitungen entdeckten Forscher ein gewaltiges Gebirge.

In makellosem Weiß liegt es da, das eisige, rund 3000 Meter hohe Plateau von Dronning Maud Land in der Ost-antarktis. Das deutsche Forschungsflugzeug Polar 2 hat von der provisorischen Piste auf dem riesigen Inlandgletscher abgehoben. Pilot Andreas Knüppel bringt die Dornier DO 228-101 auf 500 Meter Flughöhe. „ Das hat doch was Unglaubliches: unten weiß, oben blau – sonst nichts.“ Beim Blick aus der zweimotorigen Maschine wirkt Dronning Maud Land endlos – und topfeben. Ein Trugschluß. Denn der kilometerdicke Eispanzer verdeckt ein stattliches Gebirge. Die ersten Hinweise darauf erbrachte die deutsche Neuschwabenland-Expedition von 1938/39. Doch erst seit Mitte der neunziger Jahre weiß man über dessen Ausmaße wirklich Bescheid: Das Gebirge ist so groß wie die Alpen. Einige Täler dieser antarktischen Alpen reichen bis unter den Meeresspiegel, manche Gipfel steigen auf 3000 Meter über Normalnull. Der Jahrmillionen währende Schneefall hat das wilde Auf und Ab wie mit einem straff gespannten weißen Tuch zugedeckt. Einen Namen hat die im Eis begrabene Entdeckung noch nicht. Doch die Forscher des deutschen Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven kennen „ihre Berge“ mittlerweile ganz gut. Ein spezielles Eisradar macht’s möglich: Das elektromagnetische Reflexionsverfahren (EMR) – seit dem Südsommer 1994/95 erfolgreich im AWI-Einsatz – blickt problemlos 4000 Meter ins Eis hinein. Pilot Knüppel zieht kontinuierlich seine Meßbahnen über dem blendenden Weiß, konstant mit 240 Kilometern pro Stunde. In festen Intervallen werden ultrakurze Radarsignale abgestrahlt. Die innere Eisstruktur gibt sich dadurch exakt zu erkennen. Alle 3,25 Meter Flugstrecke wird eine reflektierte Radarspur aufgezeichnet, 20 Spuren pro Sekunde. „Wenn man bedenkt, daß wir mittlerweile rund 90000 Meß-Flugkilometer absolviert und pro Flugstunde ein Gigabyte an Daten aufgenommen haben, können Sie sich vorstellen, über welche Datenmenge wir verfügen“, sagt AWI-Geophysiker Dr. Uwe Nixdorf. Dennoch sind erst sieben Prozent des antarktischen Kontinents seit den ersten AWI-Radar-Meßflügen im Dezember 1994 erfaßt – eine Fläche so groß wie Ägypten. „Das war ein spannender und überraschender Augenblick, als auf dem Computerbildschirm das erste Mal anstatt der erwarteten homogenen Bassins unter dem Eis das neue Gebirge von Dronning Maud Land erschien“, erinnert sich Nixdorfs Kollege Daniel Steinhage. So spannend die Entdeckung des Unter-Eis-Gebirges ist, sie bleibt zunächst einmal ein wissenschaftliches Nebenprodukt. Denn eigentlich suchten Prof. Dr. Heinz Miller, 56jähriger Innsbrucker und Leiter der Sektion Geophysik des Alfred-Wegener-Instituts, und seine Kollegen etwas ganz anderes als mächtige Berge: Sie fahndeten nach dem idealen Standort für eine mehrere tausend Meter tiefe Eiskernbohrung. Im Rahmen des EPICA-Programms (European Project for Ice Coring in Antarctica) soll dieses Forschungsvorhaben entscheidende Hinweise auf die Klimaentwicklung der letztenn 500000 Jahre geben. Besonders der Vergleich mit den Bohrkernen aus dem Inlandeis Grönlands – so hoffen die Polar- und Klimaexperten – könnte aufschlußreiche Informationen über globale, vor allem aber über die atlantischen Klimaveränderungen liefern. Denn der Atlantik treibt über seine Meeresströmungen die großräumige atmosphärische Zirkulation an und ist somit ein Weichensteller für das Klima. Sowohl die Weddellsee im Südatlantik als auch die Grönlandsee im Nordatlantik produzieren kühles Wasser, das in die Tiefe des Atlantik absinkt und an der Oberfläche Platz für wärmeres Wasser schafft, das aus subtropischen Breiten nachströmen kann. Dieser Mechanismus ist Ursache für den Golfstrom, der gegenwärtig in Mitteleuropa, aber auch in Teilen Nordeuropas für gemäßigte Winter sorgt. „Die beiden bisher in Grönland niedergebrachten Eiskernbohrungen weichen im unteren Bereich erheblich voneinander ab, weshalb konkrete Aussagen über das frühere Klima nicht möglich sind. Durch die Antarktisbohrung auf Dronning Maud Land hoffen wir, mehr Klarheit zu bekommen“, sagt der 40jährige Nixdorf, der 1987 zum ersten Mal in die Antarktis reiste und gleich überwinterte. Daß die Bohrung im kaum erforschten Dronning Maud Land niedergebracht werden soll, stand von Anfang an fest: „ Wir wollen sehen, wie die dortigen Meßwerte mit denen von Bohrungen in anderen antarktischen Gebieten übereinstimmen – zum Beispiel vom Dome Concordia“, sagt Miller. Diese sogenannte Dome C-Bohrung ist Teil des europäischen Forschungsprogramms EPICA. Sie wurde 1998 begonnen, ist aber während der Bohrkampagne bei 760 Meter Tiefe steckengeblieben und soll im diesjährigen Südsommer wieder flottgemacht werden. Die Dome C-Bohrung wird über Witterung und Klima Aufschluß geben, die einstmals über dem südlichen Pazifik und Indik geherrscht haben. Von der Bohrung auf Dronning Maud Land – im Antarktis-Slang „DML“ – erhoffen sich die Forscher dagegen Daten, die das frühere Klimageschehen über dem Südatlantik erklären. Denn von dort ziehen seit Jahrmillionen die Wetterfronten nach Dronning Maud Land. Eiskernbohrungen bergen gefrorene Klimazeugen vergangener Epochen: So läßt sich im Eis über den Gehalt des Sauerstoffisotops 180 die Temperatur des einstigen Niederschlags bestimmen. Das Verhältnis 13C/14C – gemessen am Kohlendioxid oder Methan – gibt Aufschluß über die biologische Aktivität auf der Erde. Die im Eis gespeicherten Luftbläschen enthalten noch jene Konzentration an Treibhausgasen und Aerosolen, die zum Einschlußzeitpunkt auf der Erde geherrscht hat. Auch daraus können Experten eindeutige Rückschlüsse auf die Klimate der Vorzeit ziehen. Für eine erfolgreiche Eiskernbohrung auf Dronning Maud Land mußten die Forscher einen Punkt finden, „ an dem wir mit ungestörtem Fließen des Eises in den tiefen Schichten und damit einer eindeutigen zeitlichen Abfolge rechnen können“, so Miller. Weiterhin war zu prüfen, ob ein unter dem Eis eingefrorener See das Bohrprojekt in Schwierigkeiten bringen könnte. Nach monatelangen Meßflügen entschied man sich für „DML 05″ (Dronning Maud Land Punkt Nummer 5) – einen Platz, mit dem Miller „vom Gefühl her“ schon geliebäugelt hatte. Der Fels unter dem 3000 Meter mächtigen, „wunderbar geschichteten Eis“ (Nixdorf) ist im Umkreis von 40 Kilometern eben. Heute fallen dort pro Jahr etwa 70 Millimeter Niederschlag, was einem Schneefall von 20 bis 25 Zentimetern entspricht. Das zeigt, wie trocken Dronning Maud Land ist: Der Jahresdurchschnitt in vielen Orten Deutschlands liegt bei 700 bis 800 Millimeter Niederschlag. „DML 05″ war schon für Flugmessungen der letzten Jahre Start- und Landeplatz. Mit Schleppzügen wurden Flugbenzin und Campausrüstung von der rund ums Jahr besetzten deutschen Neumayer-Station herangeschafft. „ Mit einer Anfahrtzeit von acht Tagen ist der Bohrpunkt von der Neumayer-Station noch gut zu bedienen“, meint Nixdorf. Nach Einrichtung des Camps und einigen Vorbohrungen wird das Projekt in diesem November offiziell gestartet. Die eigentliche Bohrung beginnt allerdings erst in der Kampagne 2001/2002. Dann will man pro Woche rund 170 Meter in die Tiefe vorstoßen und die ausgefrästen Eisbohrkerne sichern. Schon jetzt warten Forscher aus den beteiligten Ländern auf Eisstücke aus dem vier Zoll dicken Bohrkern. Nach der langen Reise von Dronning Maud Land wird die kalte Fracht in Bremerhaven aber erst einmal ins Fischkühlhaus zur Zwischenlagerung wandern. „Sicherer geht es gar nicht“, sagt Miller. „Fisch ist wertvoll, und deshalb wird die Kühlung auch in unserem Sinn bestens überwacht.“ Das antarktische Klimaprogramm der Europäer EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica) soll einige Grundsatzfragen der globalen Klimaentwicklung beantworten:

Waren die raschen Klimaschwankungen in der letzten Eiszeit vor rund 110000 bis 10000 Jahren globale Ereignisse? Oder waren es auf die Nordhalbkugel beschränkte Vorgänge, die durch geografische Gegebenheiten begünstigt wurden? Sind diese Schwankungen im jüngsten Glazial einzigartig, oder traten sie auch in vorangegangenen Klimazyklen auf? Ist das relativ stabile Klima der letzten 10000 Jahre eine Ausnahme? Folgen die Übergänge von einer Eiszeit zur Zwischeneiszeit demselben Muster, oder gibt es viele Mechanismen? Werden globale Klimawechsel immer auf der Nordhemisphäre ausgelöst? Oder ist auch eine gegenläufige Entwicklung denkbar ? Wie sind die weltweiten Klimaänderungen zwischen den beiden Hemi- sphären gekoppelt?

Bei EPICA, das auf acht bis zehn Jahre angelegt ist, bringen Forscher aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und der Schweiz ihr Know-how ein. Die Niederländer kümmern sich um die Meteorologie, die Skandinavier um die Auswertung der Flacheiskerne. Beim Alfred-Wegener-Institut (AWI) arbeiten 14 Experten mit. Prof. Dr. Heinz Miller, Leiter der AWI-Sektion Geophysik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Steuerungskomitees von EPICA. Die erste Phase (Erkundung von Dronning Maud Land und Bohrung Dome C) kostet knapp 40 Millionen Mark. Gut 40 Prozent davon stammen aus dem Klima- und Umwelt-Programm der Europäischen Kommission, den Rest zahlen die EPICA-Mitgliedsländer. Südpolare Flugstunden Die Erkundung der Antarktis vom Flugzeug aus hat eine lange Tradition. 1928 überflogen der Australier Sir George Wilkins und der Amerikaner C. B. Eielson als erste Menschen den Kontinent. Detaillierte Luftfotos von Dronning Maud Land brachte die dritte deutsche Antarktis-Expedition 1938/39 unter Leitung des Polarkapitäns Alfred Ritscher. Ausgangspunkt für die Fotogrammetrie-Flüge war die MS Schwabenland. Das Schiff wurde normalerweise als Stützpunkt der Lufthansa im Postverkehr nach Südamerika eingesetzt. Ab Januar 1939 stiegen Dornier-Flugboote, die mit Dampfkatapulten vom Schiff aus gestartet wurden, zu 15 Flügen auf. Mit Zeiss-Reihenmeßkameras vom Typ RMK 38 entstanden dabei fast 11000 Bilder, die ausgezeichnete Daten vom Gebiet „ Neuschwabenland“ lieferten. Dadurch ließen sich auch Fehler norwegischer Karten aus dem Jahr 1931 korrigieren.

Ingwer Seelhoff

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