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Vernunft statt Internet: „Die zweite Aufklärung“ von Neil Postman

Allgemein

Vernunft statt Internet: „Die zweite Aufklärung“ von Neil Postman
Die Fortschrittsgläubigkeit hat religiöse Dimensionen angenommen, meint Neil Postman – und demontiert in seinem provokanten Buch den Mythos.

Daß die neuen Medien einen Quantensprung, wenn nicht einen Paradigmenwechsel in der Geschichte der menschlichen Kommunikation bedeuten, gilt ihren zahllosen Bewunderern längst als Dogma. Wer digitalen Innovationen nicht mit wahrer Gläubigkeit begegnet, ihren Segen gar in Zweifel zu ziehen wagt, offenbart sich als hoffnungs- und zukunftsloser Hinterwäldler. Oder als „Dinosaurier“: Prof. Neil Postman, der Medienökologie an der New York University lehrt, findet den Titel keineswegs ehrenrührig. Schließlich hätten die Tiere 100 Millionen Jahre vor allem deshalb überlebt, „weil an ihnen jeder Wandel abgeprallt ist“. Mit den Dinosauriern verbindet Postman beispielsweise die Weigerung, einen Computer, das Internet oder einen Anrufbeantworter zu benutzen. Postman, der schon mit seinen früheren Büchern wie „Wir amüsieren uns zu Tode“ provozierte, beruft sich in seinem neuen Werk vor allem auf die „toten weisen Männer der Aufklärung“. Er prangert an, daß die Fortschrittsgläubigkeit religiöse Dimensionen angenommen hat, wie sie seit der Gegenreformation nicht mehr das öffentliche Bewußtsein prägten. Die Bewegung der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, die sich der autonomen kritischen Vernunft verschrieben hatte, inspiriert Postman bei seiner Auseinandersetzung mit der Moderne: „Ich plädiere nur für den Gebrauch gelassener Vernunft gegenüber dem Furor technologischer Innovationen.“ Seine Demontage am Mythos beginnt Postman mit den Begleiterscheinungen, den Haupt- und Nebenprodukten: Internet, interaktives Fernsehen, virtuelle Realität, Türklinken und Toaster, die die menschliche Sprache „verstehen“. „Was ist das Problem, für das diese Technologien die Lösung bieten?“ Vor dieser Existenzfrage müssen Postman zufolge die meisten Errungenschaften kapitulieren. Sein Zerstörungswerk konzentriert er auf den Schlüsselbegriff der neuen Epoche: auf die Information selbst. Auf die wachsende Unfähigkeit, Informationen in Wissen und Erkenntnis zu verwandeln, auf die Unfähigkeit, Informationen in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang einzuordnen, der es erst ermöglicht, sie auf ihre Relevanz hin zu beurteilen. Die einzige Institution, der Postman in dieser Hinsicht etwas zutraut, ist die Tageszeitung. Die Schule bezichtigt er des rapiden Autoritätsverfalls und wirft ihr vor, nur noch beruflich verwertbare Fertigkeiten zu vermitteln. Die Bildungspolitiker klagt er an, Milliardensummen in die Vernetzung und Computerausstattung der Bildungsinstitutionen zu stecken, statt für mehr und besser bezahlte Lehrer zu sorgen. Wem angesichts der Besinnungslosigkeit des technologischen Wandels unbehaglich geworden ist, der ist dankbar für den seelischen Beistand aus der Wissenschaft. Doch ist das alles – der gesellschafts- und kulturkritische Ansatz, die wertkonservative Grundeinstellung, der aufklärerische Impetus – nicht irgendwie bekannt? Richtig, das stand schon in Joseph Weizenbaums berühmtem, bereits 1976 erschienenem Werk „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“. Schade, Postman erwähnt es nicht. Hans Schmidt ist Journalist in München. Seine Spezialgebiete: Kommunikation, Technik und Wissenschaft

Neil Postman DIE ZWEITE AUFKLÄRUNG Vom 18. ins 21. Jahrhundert Berlin Verlag Berlin 1999 253 S., DM 38,–

Hans Schmidt / Neil Postman

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