Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

90 000 000 Jahre erhalten einen Namen

Erde|Umwelt

90 000 000 Jahre erhalten einen Namen
Wissenschaftler haben ein neues geologisches Zeitalter ausgerufen: das Ediacarium. Damals entwickelten sich die ersten mehrzelligen, mit bloßem Auge erkennbaren Lebewesen.

Eine geheimnisvolle Periode der Erdgeschichte hat nach jahrelanger Diskussion einen Namen und einen Anfangspunkt bekommen. Das Zeitalter zwischen dem Ende der letzten weltweiten Vereisung vor rund 630 Millionen Jahren und der plötzlichen Ausbreitung der ersten mehrzelligen Tiere vor 542 Millionen Jahren trägt nun offiziell den Namen „Ediacarium“. Benannt wurde es nach den rätselhaften, wie Luftmatratzen ge-steppten Ediacara-Lebewesen, die nur in diesem Zeitalter lebten (bild der wissenschaft 9/2004, „Als das Leben die Vielfalt erfand“).

In einer Gesteinsformation in Australien bestimmte die Internationale Geologenunion IUGS zudem einen Referenzpunkt, der den Anfang der neuen Periode festlegt: Er befindet sich am Fuß eines Gummibaums zwischen einer Schicht mit Gletscherablagerungen und einer Lage Dolomit im Gebirgszug Flinders Ranges im Süden des Kontinents, einige Hundert Kilometer nördlich der Stadt Adelaide. In etwas jüngeren Schichten der gleichen Gesteinsformation liegt auch die berühmteste Fundstätte für Ediacara-Fossilien. Sie wurde 1946 von dem Geologen Reginald Spriggs entdeckt. Auf Sandstein-Platten fand der Forscher Abdrücke von weichen, scheiben- oder blattförmigen Lebewesen, die keine mineralischen Hartteile besaßen. Wie sich herausstellte, umfasste die später als Ediacara-Fauna bezeichnete Lebensgemeinschaft die ersten mit bloßem Auge erkennbaren und körperlich erhaltenen mehrzelligen Lebewesen der Erde. Da sie in einigen Aspekten von den heutigen Tieren abweichen, wurden sie von deutschen Paläontologen um Adolf Seilacher als eigene Gruppe von Lebewesen angesehen und als Vendozoa bezeichnet.

Mit der formellen Abgrenzung des Ediacariums haben die Geologen begonnen, ihre Zeitskala in die schier endlosen und weitgehend unstrukturierten Jahrmillionen des so genannten Präkambriums zu erweitern. Bislang waren lediglich die jüngsten 542 Millionen Jahre der Erdgeschichte, das Phanerozoikum („ Zeitalter mit deutlich erkennbarem Leben“), anhand von Fossilien in kleinere Abschnitte gegliedert: in elf Perioden vom Kambrium bis hin zum Quartär, sowie in zahlreiche Epochen. Die ersten vier Milliarden Jahre der Erdgeschichte wurden dagegen aus Mangel an Versteinerungen einfach in gleich lange Zeitabschnitte zerteilt. „ Jetzt fängt man an, auch das riesige Areal des Präkambriums zu beackern“, freut sich der Paläontologe Gerd Geyer von der Universität Würzburg, der als Experte für das Kambrium selbst in Kommissionen zur Festlegung von Schichtfolgen mitarbeitet.

Die geologische Zeitskala stellt eine gemeinsame Sprache für die Geowissenschaftler her. „Darin ist unser Verständnis der Erdgeschichte verschlüsselt“, sagt der Paläontologe Andrew Knoll von der Harvard University, Leiter der zuständigen Kommission für das Ediacarium. Massensterben, Klimaveränderungen oder Meteoriteneinschläge hinterlassen Spuren in Gesteinen überall auf der Welt. In der Zeitskala sind diese Ereignisse in die richtige Reihenfolge gebracht worden. Besonders prägnante Veränderungen, zum Beispiel das Auftreten eines bestimmten Fossils oder eine Umkehrung des Erdmagnetfelds, dienen als Markierung zwischen zwei Zeitaltern. Da Geologen in unterschiedlichen Teilen der Welt verschiedene Gesteine als Grenzmarke benutzten, gab es allerdings immer wieder Diskussionen über die exakte Definition der Zeitalter (bild der wissenschaft 12/1997, „Die steinerne Zeit“). Radiometrische Altersdatierungen, die direkt das Alter der Gesteine ermitteln sollen, sind dabei oft keine große Hilfe: Das Ende des Zeitalters Jura beispielsweise rutschte, seit es 1930 zum ersten Mal datiert wurde, um 30 Millionen Jahre hin und her, das Ende des Präkambriums seit 1985 gar um 65 Millionen Jahre. Die Geologen sind deshalb dazu übergegangen, für jede Grenze eine einzige, besonders typische Stelle auf der Welt zu suchen, die fortan als Referenz dient. An der soll auch künftig im Fall verfeinerter Methoden diese Grenze überprüft werden. Selbst wenn sich die absolute Altersdatierung der Referenzpunkte ändert, bleiben sie als Marke für den Wechsel zwischen zwei Zeitaltern erhalten. Inoffiziell heißen die Referenzpunkte übrigens „Golden Spikes“ – übersetzt etwa: „goldene Nägel“, weil die Geologen tatsächlich Nägel in die Steine klopfen, um die entsprechenden Stellen zu markieren.

Anzeige

Das Ediacarium beginnt mit einem Klimawechsel: Eine Serie von weltweiten Vereisungen endet, in denen die ganze Erde sich in einen Schneeball verwandelt hatte. Die australischen Felsen an der Basis des Ediacariums enthalten zwar keine Fossilien, aber einen unverwechselbaren chemischen Fingerabdruck des Klimawechsels. Diese Signatur dient als Anhaltspunkt für Vergleiche mit gleich alten Gesteinen anderswo auf der Welt.

Wann das Ediacarium genau begann, ist bislang noch unklar, da die Gesteine in den Flinders Ranges in diesem Bereich keine Vulkanasche enthalten, die man mit Hilfe radioaktiver Elemente datieren könnte. Das absolute Alter des „Golden Spike“ haben Geologen anhand von Gletscherablagerungen aus Namibia und nacheiszeitlichen Sedimentgesteinen aus China auf die Zeit zwischen 635 und 599 Millionen Jahren eingegrenzt.

Die Abweichung von der Tradition, Fossilien als Grenzmarkierung zu nutzen, hat beim Ediacarium einen einfachen Grund: In sämtlichen Gesteinen aus dieser Zeit finden sich kaum Versteinerungen. Fossilien haben zwar den Vorteil, dass sie leicht zu erkennen sind. Geochemische Signaturen – Veränderungen im Verhältnis von Isotopen – sind dafür meist in allen Gesteinen aus der gleichen Zeit zu finden, Fossilien aber nicht. Andrew Knoll vermutet: „Man wird wohl auch bei jüngeren Schichten dazu übergehen, geochemische Signale für die Festlegung von Grenzen zu nutzen. Das ist einfach genauer.“ ■

Ute Kehse

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Fern|seh|muf|fel  〈m. 5; umg.; scherzh.〉 jmd., der nicht gern fernsieht

Mu|ter  〈m. 3〉 1 〈Bgb.〉 jmd., der für etwas die Ausbeutungserlaubnis erbittet 2 〈veraltet〉 Geselle, der an seinem Meisterstück arbeitet … mehr

Ura|ni|nit  〈n. 11; unz.; Min.〉 pechschwarzes Mineral; Sy Pechblende … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige