Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Die Anfänge der Unendlichkeit

Astronomie|Physik

Die Anfänge der Unendlichkeit

„Fantastisch, diese unendliche Weite!”, sagte meine Frau, als wir an einem Winternachmittag spazieren gingen und plötzlich eine riesige Schneefläche vor uns sahen.

Bei solchen Aussagen gerate ich immer in einen inneren Konflikt. Soll ich meine Frau korrigieren und darstellen, was mathematisch dahinter steht, oder soll ich lieber ihre gute Stimmung erhalten?

Natürlich wählte ich die falsche Option: „Unendlich ist das nicht, sondern nur groß. Wir können uns vielleicht einbilden, dass die Schneeebene über alle Grenzen hinausgeht, aber in Wirklichkeit ist es nicht so, sie hört irgendwo auf.”

„Ich finds aber schön!” Dagegen konnte ich beim besten Willen nichts sagen.

„Das geht mir manchmal so”, erzählte sie weiter. „Auch am Meer empfinde ich diese Unendlichkeit. Sogar besonders stark. Und wenn ihr Mathematiker damit nichts anfangen könnt, seid ihr selbst schuld!”

Anzeige

Nun musste ich aber doch die Ehre der Mathematiker retten: „ Wir können sehr wohl etwas damit anfangen. Im Gegenteil: Wir sehen die Anfänge der Unendlichkeit schon in ganz unscheinbaren Objekten und Phänomenen. Wir brauchen dazu keine Naturschauspiele mit Romantik.”

„Was soll das heißen: ‚Anfänge der Unendlichkeit‘ “?

„Ist doch klar. In der Welt gibt es keine echte Unendlichkeit.” Sie runzelte die Stirn und schaute kritisch, ließ mich aber weiter sprechen: „Alles ist begrenzt, alles hat irgendwo ein Ende. Das Schneefeld wird durch Straßen unterbrochen, das Meer ist von Ufern umgeben. Das wissen wir, auch wenn wir es nicht sehen oder nicht hinschauen.”

Sie schaute immer noch skeptisch, ließ mich aber weiter reden. „Wir sehen die Pflastersteine, über die wir gerade gehen. Sie sind regelmäßig in einer Reihe angeordnet. Das geht eine Zeit lang so, irgendwann hört es auf, aber wir können uns vorstellen, wie es weitergehen würde. Man kann die Pflastersteine zählen: 1, 2, 3 und so weiter. Ein Anfang von Unendlichkeit!”

Das überzeugte sie noch nicht, also legte ich nach: „Auch die Fliesen im Badezimmer sind regelmäßig angeordnet. Nach links und rechts wie nach oben und unten. Wir wissen genau wie es weiter geht, der Fliesenleger muss nicht für jedes Bad eine extra Konstruktionszeichnung machen. Auch bei den Fliesen kann man zählen, sogar in zwei Richtungen.”

„Wenn du das so siehst”, sagte meine Frau, immer noch reserviert, „dann gibt es viele solcher Anfänge der Unendlichkeit.”

„Sag ich doch. Zum Beispiel das Karomuster auf meinem Schal oder das Schachbrett, das Karopapier oder das Metermaß.”

Ich kam in Fahrt: „Auch in der modernen bildenden Kunst findet man die Anfänge der Unendlichkeit, zum Beispiel bei Andy Warhol.” Auf dem Heimweg erklärte ich noch: „Überall ist es so, dass wir Mathematiker im Kleinen ein Muster erkennen und wissen, wie es sich fortsetzt. Deshalb brauchen wir nur einen winzigen Teil zu beherrschen, dann beherrschen wir die Unendlichkeit: Die gesamte unendliche Ebene oder die unendlich vielen Zahlen. Das ist im Grund alles das Gleiche.”

Meine Frau hörte nicht richtig zu. Als wir zu Hause waren, ging sie zielstrebig zum Bücherschrank, zog ein Buch heraus und blätterte ein bisschen, bis sie die richtige Stelle gefunden hatte. Dann ging ein freudiges Aufleuchten über ihr Gesicht, denn sie wusste, dass sie das letzte Wort behalten würde: „Hör mal zu, was der Schriftsteller Alfred Polgar im Jahr 1922 geschrieben hat. Das ist doch genau das, worüber wir gesprochen haben!” Sie las vor: „Der Teich ist klein. Aber wenn man, die Handflächen als Scheuklappen um die Augen wölbend, das Gesichtsfeld verengt und so die Ufer wegschneidet, kann man träumen, er sei unendlich groß.” „Und Polgar”, schloss sie triumphierend, „fügte hinzu: ‚ Auf das Träumen allein kommt es an.‘ “

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

hy|per|me|tro|pisch  auch:  hy|per|met|ro|pisch  〈Adj.; Med.〉 auf Hypermetropie beruhend, übersichtig, weitsichtig … mehr

Zwerg|ga|la|xie  〈f. 19; Astron.〉 sehr kleine Galaxie (II)

♦ Hy|dro|la|se  〈f. 19; Biochem.〉 Enzym, das Verbindungen durch Wasseranlagerung spaltet

♦ Die Buchstabenfolge hy|dr… kann in Fremdwörtern auch hyd|r… getrennt werden.
» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige