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MENSCHENMILCH – FRISCH VOM EUTER

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MENSCHENMILCH – FRISCH VOM EUTER
In China wird die Gentechnik bei Nutztieren viel mehr geschätzt als im Westen. Kuhmilch mit Menschen-Protein könnte dort bald in den Regalen der Supermärkte stehen.

Ning Li reicht mir einen Pappbecher mit einem Schluck euterwarmer Milch. Er stammt von Wanwa, einer von 34 gentechnisch veränderten Kühen aus dem Versuchsbauernhof Jinxiu bei Peking. Ning Li ist Professor für Genetik an Chinas Landwirtschaftshochschule und Chef eines großen staatlichen Biotech-Labors. Er hat mir gerade erklärt, dass die neue Milch nicht nur zu einem guten Muttermilchersatz für Babys führen, sondern auch gesund für Erwachsene sein soll. Das klingt seltsam. Und mir dreht sich leicht der Magen bei dem Gedanken, dass es sich bei der Milch um Quasi-Menschenmilch handelt. Aber ich bin ja selbst schuld. Schließlich habe ich gefragt, ob sie gut schmeckt. Wir prosten uns zu und ich nehme einen Schluck. Die Milch schmeckt wie gewöhnliche Kuhmilch.

Wanwa und ihre Mitkühe sind mit zusätzlichen menschlichen Genen ausgestattet, damit ihre Milch die typischen humanen Muttermilch-Proteine enthält: Laktoferrin, Lysozym und Laktoalbumin. Der Gehalt an diesen Eiweißen ist mindestens so hoch wie in Muttermilch, ergaben die Analysen der Forscher. Laktoalbumin gibt es auch in der Kuhmilch, aber Ning Li und seine Mitarbeiter glauben, dass die menschliche Variante gesünder für Kinder ist. Laktoferrin und Lysozym sind bakterientötende Komponenten und kommen in Muttermilch in höherer Konzentration vor als im Kuheuter. Fragt man bei den Produzenten von Babynahrung nach, ob sie sich vorstellen könnten, solch einen Muttermilchersatz auf den Markt zu bringen, ist die Antwort meist ein klares Nein. Sowohl die deutsche Humana als auch die schwedische Semper wollen keine gentechnisch veränderten Organismen einsetzen. Das sei Firmenpolitik. Bei Nestlé möchte man sich zu dem Thema nicht äußern.

Im Fernen Osten allerdings herrscht eine andere Meinung über das menschliche Basteln an der Natur. „Hier in China sind wir etwas optimistischer als in Europa“, sagt Ning Li. Er kennt sich im Rest der Welt aus, war Gastforscher in Deutschland, Irland und den USA. Seine Kindheit verbrachte er in einem Dorf in der Jiangxi-Provinz im Südosten Chinas. In den überfluteten Reisfeldern gab es reichlich Frösche und Fische, darunter auch Aale. „Heute ist das alles fort, vernichtet von Schädlingsbekämpfungsmitteln“, sagt er. „Mit gentechnisch verändertem Saatgut bräuchten wir diese Mittel nicht so stark einzusetzen – das wäre gut für die Umwelt.“ Ning Li ist felsenfest vom Nutzen der Gentechnik in der Landwirtschaft überzeugt. Für ihn ist sie eine der „Großtaten der Zivilisation“. In einem vor Kurzem abgeschlossenen Projekt stellte er Schweine mit einer Extraportion Fleisch her. Vier Ferkel wurden bereits im Herbst 2007 geboren. Aber die kostbaren Tiere leben in Quarantäne und können nicht besichtigt werden.

MEHR MUSKELN DURCH GEN-DEFEKT

Die Schweine tragen durch einen gentechnischen Eingriff die gleiche Mutation wie die Hochleistungs-Rinderrasse Belgian Blue. Diese Rinder sind für ihre enorme Muskelmasse bekannt. Sie ist so extrem, dass reinrassige Tiere in der Regel nur per Kaiserschnitt auf die Welt kommen können. Die Ursache ist eine Mutation im Myostatin-Gen, das normalerweise das Muskelwachstum kontrolliert. Ist es defekt, baut der Körper ungehemmt wahre Fleischberge auf. Bei den Rindern ist der Defekt spontan entstanden und wurde dann durch traditionelle Züchtung weitergegeben. Bei den chinesischen Schweinen wurde das Myostatin-Gen gentechnisch ausgeschaltet. Die veränderten Schweine wurden dann geklont. Noch haben die Muskel-Schweine keine Jungen, aber Ning Li und seine Kollegen sehen keinen Grund, warum sich die Tiere nicht auf natürliche Weise fortpflanzen sollten.

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In Europa stoßen schon die Belgian Blue-Rinder auf Widerstand bei Konsumenten, da manche ihre Züchtung für Tierquälerei halten. Gentechnisch veränderte und geklonte Schweine mit einer vergleichbaren Mutation wären hier wahrscheinlich überhaupt nicht zu verkaufen. Ist China das Land, das unbekümmert all die modernen Biotechniken anwendet, die im Westen von Tabus ausgebremst werden – einschließlich der Manipulation von Menschen? Nicht unbedingt. Ning Li hat sich frühzeitig gegen das Klonen von Menschen ausgesprochen, vor allem wegen der technischen Schwierigkeiten, die beim Tierklonen immer wieder zu Missgeburten oder Entwicklungsstörungen führen. Auf längere Sicht ist er jedoch überzeugt: Die Technik wird sich so weiterentwickeln, dass sich Menschen effektiv klonen lassen. Dann könnte man auch die Gene so verändern, dass die Menschen vor Krankheiten geschützt oder sogar intelligenter wären. „Aber ich glaube, dass es gefährlich wäre, diese Tür zu öffnen. Das könnte der Dammbruch sein“, meint Ning Li.

Noch stehen maßgeschneiderte Menschen nicht auf der Tagesordnung seiner Arbeitsgruppe. China hat ebenso wie die meisten anderen Länder der Welt das Klonen von Menschen verboten. Der chinesische Enthusiasmus für die Biotechnik dreht sich mehr um die Lösung der praktischen Probleme, die entstanden sind, weil immer mehr Menschen in relativem Wohlstand leben wollen. Forschung steht für Fortschritt. Der Technik-Optimismus ist in China heute so stark wie vor 40 Jahren in Europa. Nur dass die Technik nun viel mehr Möglichkeiten bietet.

DER GEKLONTE „DRACHE“

„Als vor über zehn Jahren das Schaf Dolly geklont wurde, war es fast ein Schock für mich“, sagt Ning Li. „Was für eine kraftvolle Technik!“ Er nahm Kontakt mit Forschern in ganz China auf, um eine Gruppe zusammenzustellen, die bereit war, auf das Klonen zu setzen. Aber keiner war interessiert. Also baute er sein eigenes Klon-Team auf. Das Hauptziel ist bis heute die Herstellung von Tieren mit neuen Eigenschaften. Ning Lis Team klonte aber auch Tiere ohne Gen-Veränderungen, darunter einen von Chinas Top-Zuchtstieren, den berühmten „Drache“. Doch das chinesische Landwirtschaftsministerium hat noch kein grünes Licht für die Marktfreigabe von Klonprodukten gegeben, und so warten die Spermien des Drachen-Klons in einem Tiefkühlcontainer auf ihren Einsatz.

Auch Wanwa und ihre Mitkühe im Forschungsbauernhof Jinxiu warten auf ihre Anerkennung durch die Behörden. Zurzeit vergleichen deren Wissenschaftler die neuen Milchproteine der Gentech-Kühe mit denen in der Menschenmilch. Bislang haben sie keine Unterschiede gefunden. „Ich hoffe, dass die Milch in ungefähr drei Jahren in den Handel kommt“, sagt Ning Li. ■

PER SNAPRUD ist Redakteur beim schwedischen Wissenschaftsmagazin Forskning & Framsteg in Stockholm. bdw-Korrespondent THOMAS WILLKE hat den Text aus dem Schwedischen übersetzt und bearbeitet.

von Per Snaprud

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