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Titelthema – Leben 21: Nie allein zu Haus

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Titelthema – Leben 21: Nie allein zu Haus
Ist ein Roboter besser als kein Pfleger? Techniker tüfteln an neuen Betreuungsmaschinen. Sie sollen alten und behinderten Menschen ermöglichen, länger in der eigenen Wohnung statt im Pflegeheim zu leben.

Seit fast zwei Jahrzehnten fesselt die Multiple Sklerose Maria Reimer ans Bett. Bis vor einem Dreivierteljahr konnte die 53jährige wenigstens noch einen Knopf bedienen. Heute geht auch das nicht mehr. Jetzt überträgt ein Mikrofon über dem Bett ihre Anweisungen an einen Kasten auf ihrem Nachttisch. Mit seiner Hilfe kann sie – wie früher – den Arzt, die Pflegestation, Freunde und Verwandte anrufen.

Ohne die Maschine wäre sie längst im Pflegeheim. Das aber will sie auf keinen Fall. „Sie nehmen das Gerät nicht wieder mit, ich brauche das noch“, erklärt sie den verdutzten Technikern des Fraunhofer-Instituts für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) aus Karlsruhe, als die den Prototyp abholen wollen. Er war eigentlich nur für einen dreimonatigen Test aufgebaut.

Telecare-Assistant, TCA, heißt das etwa schuhkartongroße Gerät. Es ist ein Computer, der bei Bedarf via ISDN-Leitung automatisch die Kommunikation mit der Außenwelt übernimmt. Gottfried Bonn, stellvertretender Leiter der Abteilung Telematiksysteme beim IITB, hatte die Idee: „Der Telecare-Assistant soll alten und behinderten Menschen helfen, länger in den eigenen vier Wänden zu leben.“

Das System kann auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten werden. Der Automat kann zum Beispiel auf Zuruf dafür sorgen, daß die Balkontür aufgeht, die Jalousien sich schließen oder die Kaffeemaschine anspringt. Er würde es registrieren, wenn jemand in der Wohnung stürzt, und dann automatisch die Nummer des Notarztes anwählen.

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Das Gerät läßt sich darauf programmieren, morgens um 8:00 Uhr auf einen Impuls aus dem Badezimmer zu warten. Bekommt es das – über eine Kontaktmatte auslösbare – Signal nicht, fragt es den Bewohner, ob noch alles in Ordnung sei. Hört es keine Antwort, aktiviert es die programmierte Telefonnummer der zuständigen Pflegestation. Zusätzlich mit einer Kamera ausgestattet, kann der elektronische Pfleger abends automatisch eine Videoverbindung zum Pflegepersonal herstellen, das beispielsweise nachfragt, ob die Betreute auch ihre Tabletten eingenommen hat. Ein Computer als Sicherungsleine zur Außenwelt: Wissenschaftler arbeiten weltweit an der Verwirklichung dieser Idee, die den menschlichen Pfleger zumindest teilweise ersetzen soll.

Forscher vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart schufen den Prototyp einer mechanischen Krankenschwester. Der „Care-O-bot“ soll Blumen gießen und sogar Getränke servieren können. Die Firma Siemens hat in Skandinavien bereits einige Häuser mit behindertengerechter Technik ausgestattet. Selbst Füttermaschinen, die beim Mittagessen helfen, gibt es bereits.

Die Bürger in den Industrienationen werden immer älter und ihre Betreuung wird immer kostspieliger. Etwa 600000 Menschen leben derzeit allein in Deutschland im Altersheim, 1,6 Millionen werden ambulant daheim betreut. Die häusliche ambulante Pflege soll Vorrang vor der Pflege im Heim haben, schreibt das bundesdeutsche Pflegeversicherungsgesetz vor. Die Pflegeversicherung zahlt derzeit Leistungen für etwa 400000 Heimbewohner und 1,4 Millionen ambulant Betreute.

Doch eine mobile Betreuung rund um die Uhr ist in der Regel nicht zu bezahlen. Geräte wie der Telecare-Assistant könnten zumindest für einige Stunden am Tag den menschlichen Pfleger ersetzen und darüber hinaus die Versicherung etwas entlasten. Gottfried Bonn: „Alle technischen Hilfsmittel, die den Leuten eine frühzeitige Überweisung ins Alters- oder Pflegeheim ersparen, sparen auch Geld.“ Die Basisausstattung des Pflegecomputers kostet unter 4000 Mark – eine bescheidene Summe, verglichen mit dem Pflegeheimsatz, der in Deutschland im Durchschnitt bei 4500 Mark pro Monat liegt.

Um von einer Pflegeversicherung bezahlt zu werden, müßte das Gerät in das „Pflegehilfsmittelverzeichnis“ der Versicherungsträger aufgenommen werden. Die würden sich nicht dagegen sperren: Harald Kesselheim, Leiter der Abteilung Pflege bei der AOK-Bundeszentrale in Bonn, hält solche Maschinen grundsätzlich für sinnvoll – mit der Einschränkung: „Wenn solche Automaten dazu führen, daß die Nachbarn noch seltener nach der alten Frau nebenan gucken, weil die jetzt eine Überwachungsmaschine hat, dann ist deren Einsatz sicher problematisch.“

Gottfried Bonn sieht eher den gegenteiligen Effekt: daß jemand neuerdings – dank TCA-Computer – von der bettlägerigen Bekannten sehr oft angerufen und gefragt wird, wann er denn mal wieder vorbeikommt.

Bernhard Epping

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