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Offener Brief an Professor W.

Allgemein

Offener Brief an Professor W.

Sehr geehrter, lieber Professor W., die doppelte Anrede benutze ich, da ich Sie einerseits hoch schätze, wie alle Wissenschaftler, und weil mich andererseits Forschung emotional gepackt hat, weil ich hingerissen bin von der Faszination des Entdeckens, die Forschung erleben läßt. Sie sind zornig, weil Sie glauben, daß Ihrem Institut in unserem Wissenschaftsindex der Spitzenplatz gebührt – Sie drohen uns mit Gegendarstellung und Klage wegen Geschäftsschädigung. Ich nehme Ihr Schreiben zum Anlaß für diesen Offenen Brief, denn Ihr Brief zeigt grundlegende Mißverständnisse über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft. Davon sind unsere Leser betroffen.

Unser Wissenschaftsindex (in dieser Ausgabe auf Seite 24) vergleicht die Zahl der Publikationen und Zitierungen von Forschern aus deutschen Instituten in einer Auswahl international angesehener Fachzeitschriften. Dies ist ein weltweit anerkanntes Verfahren, um Bedeutung und Einfluß von Forschungsarbeiten zu messen. Angewandt wird es von Wissenschaftlern – der bdw-Wissenschaftsindex wird am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe erstellt.

Das Zählen von Publikationen ist eine Meßlatte von vielen, will man die Qualität eines Instituts beurteilen. Darüber haben wir wiederholt ausführlich berichtet, zuletzt im Januar. Im Unterschied zu anderen Maßstäben aber macht solch ein Index ein Stück Forschungsqualität für Außenstehende transparent. Welche Revolution: Jetzt sprechen sogenannte Laien darüber, wie gut oder wie schlecht ein Institut ist. Der Elfenbeinturm wird durchsichtig.

Wir haben mit Ärger gerechnet. Denn als wir vor Jahren einen ähnlichen Index veröffentlichten, wurde auf die Forscher, die für uns die Publikationen zählten, so starker Druck ausgeübt, daß sie schließlich entnervt aufgaben. Wir hatten gehofft, daß Forschung heute gelernt hat, nicht nur mit unserer pluralistischen Gesellschaft zu leben, sondern in ihr.

Auch Wissenschaft muß transparent sein, weil sie Akzeptanz und Freiräume braucht, weil sie den Nachwuchs motivieren muß, aber auch ihre eigenen Mitarbeiter und Mitstreiter – und nicht zuletzt muß sie bestehen im harten Verteilungskampf um die knappen öffentlichen Gelder. Forschung braucht Privilegien, aber die muß sie ständig erkämpfen und rechtfertigen. Die Debatte um das neue Tierschutzgesetz ist ein akutes Beispiel.

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Apropos Privilegien, sehr geehrter Professor W.: Sie beschuldigen uns der Geschäftsschädigung. Sind Sie Forscher oder Geschäftsmann? Oder wollen Sie das Beste beider Welten: Privilegien des Forschers und Orientierung am Eigennutz, wie sie für Kaufleute legitim (aber nicht immer klug) ist? Natürlich ist es sinnvoll, daß angewandte Forschung sich am Markt bewährt. Was das bringt, zeigen die Erfolge der Fraunhofer-Gesellschaft, der wir in dieser Ausgabe ein ganzes Supplement widmen. Doch das Rollenverständnis muß stimmen: Mal Verkünder wissenschaftlicher Wahrheiten, mal interessengesteuerter Problemlöser.

Das ist schwierig für den einzelnen Wissenschaftler auseinanderzuhalten. Doch Gratwanderungen sind in unserer vernetzten Gesellschaft das Normale. Erst wenn Wissenschaftler verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, können sie ihre Rolle wahrnehmen. Das ist das Grundproblem unserer Forschung heute.

Gratwanderungen sind sehr viel leichter, wenn man Partner hat, auf die man sich stützen kann. Kaum etwas funktioniert heute noch ohne Kooperationen. Natürlich ist es Ihr gutes Recht, lieber Professor W., auf Rechtspositionen zu pochen. Für den Erfolg Ihres Instituts aber wäre es sicher besser, zum Telefonhörer zu greifen und das Gespräch zu suchen. Auch die Forschung hat Partner in unserer Gesellschaft.

Reiner Korbmann

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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