Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

ERFREULICHE FEHLEINSCHÄTZUNG

Erde|Umwelt Technik|Digitales

ERFREULICHE FEHLEINSCHÄTZUNG
2003 errechnete Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut, der Anteil regenerativ erzeugten Stroms werde 2010 hierzulande bei 12 Prozent liegen. Es behagt ihm sehr, dass er sich geirrt hat.

„ZUM GLÜCK LAGEN WIR, was den Ausbau der regenerativen Energien angeht, ein gutes Stück daneben“, freut sich Manfred Fischedick. 2003 hatte der heutige Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gemeinsam mit Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt abgeschätzt, wie sich die erneuerbaren Energiequellen in Deutschland entwickeln würden. Damals erwartete er für 2010, dass 6,6 Prozent des Endenergieverbrauchs aus Wind, Sonne, Biomasse oder Wasserkraft stammen würden (bild der wissenschaft 5/2003, „Neue Energie“). Unter Endenergie verstehen Fachleute jene Energie, die in Form von Strom oder Wärme direkt genutzt wird. Tatsächlich lag 2010 diese Ausbeute in Deutschland bei 11 Prozent.

Beim Strom sieht es noch besser aus. 2003 errechneten Fischedick und seine Partner für 2010, dass der Anteil an grünem Strom von 4,5 Prozent auf 12 Prozent ansteigen würde. Stattdessen waren es 17 Prozent. „Für unsere Fehleinschätzung gibt es eine ganze Reihe von Gründen“, sagt der Energieexperte. Der wichtigste sei die Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das 2001 in Kraft trat. „Niemand hat den extremen Erfolg des EEG in seiner ganzen Dimension vorhergesehen“, resümiert Fischedick.

Das EEG verpflichtet die Stromkonzerne, ökologisch erzeugten Strom bis zu 20 Jahre lang zu einem gesetzlich festgelegten Betrag abzunehmen. Die rot-grüne Bundesregierung boxte gegen den Widerstand der Konzerne das Gesetz durch. Heute sind dieselben Konzerne Nutznießer des EEG. Davon zeugen deren große Offshore-Windparks. Die Betreiber von Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen wissen, dass ihre Abnahmepreise für zwei Jahrzehnte garantiert sind. „Man hat darauf sehr fantasiereich reagiert und Windenergie- oder Photovoltaik-Anlagen sowie Biomasse-Kraftwerke optimiert“, erläutert Fischedick. Heute produzieren die Industrieunternehmen effizienter, rentabler und billiger, sodass die erneuerbaren Energien zu günstigeren Kosten erzeugt werden – das ist mit ein Motor des aktuellen Erfolgs.

Hinzu kämen weitere Triebkräfte, ergänzt der Forscher: etwa die Schockwirkung des Stern-Reports von 2006. Der damalige Chef-Ökonom der Weltbank, Nicholas Stern, hatte vorgerechnet, dass die wirtschaftlichen Kosten eines ungebremsten Klimawandels dem Verlust von mindestens fünf Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen werden. „Seitdem hat sich zwar nicht alles zum Guten gewendet“, sagt Fischedick. Aber Stern habe viele wachgerüttelt. Der ein Jahr später veröffentlichte vierte Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC verstärkte den Effekt.

Anzeige

2007 und 2008 schossen überdies die Rohstoffpreise in die Höhe. Spekulanten nutzten die große Nachfrage vor allem Chinas und drehten an der Preisschraube. Öl und Erdgas erreichten Rekordpreise. Als Gegenreaktion erhöhten sich die Investitionen in erneuerbare Energien. Speziell in Deutschland registriert Fischedick eine weitere Entwicklung: „Ich sehe den Willen der Bevölkerung, das Heft in die eigene Hand zu nehmen.“ Das zeige der Widerstand gegen Projekte wie „Stuttgart 21″ sowie der Trend bei vielen Kommunen, sich mit sauberer Energie selbst zu versorgen.

Welche Entwicklung erwartet Manfred Fischedick für die nächsten zehn Jahre? „Der Trend wird sich fortsetzen und mit dem jetzt beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie sogar noch beschleunigen.“ Anteile von 35 bis 40 Prozent an der Stromerzeugung schon 2020 und von 80 bis 100 Prozent bis 2050 erscheinen erreichbar. „Solche Zahlen sind sogar Bestandteil offizieller Szenarien der Bundesregierung“, staunt der Wuppertaler Energieexperte. „Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen.“ Tim Schröder ■

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

♦ In|frak|ti|on  〈f. 20; Med.〉 unvollständiger Knochenbruch, bei dem der Knochen nicht durchgebrochen, sondern nur angebrochen ist; →a. Fraktur … mehr

an|äs|the|ti|sie|ren  〈V. t.; hat; Med.〉 = anästhesieren

Wä|gung  〈f. 20; Chem.〉 Bestimmung der Masse eines Körpers unter Verwendung von Waagen

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige