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Grosses Kino am Meeresgrund

Erde|Umwelt

Grosses Kino am Meeresgrund
Es gibt viel mehr Lebensenergie im Dunkel der Meere, als die Forscher noch vor wenigen Jahren dachten. Gemeinsam erkunden Geologen und Biologen die Tiefen der Ozeane.

„Geochemiker, die nach neuen Hydrothermalquellen in der Tiefsee suchten, hat man lange Zeit als Briefmarkensammler verspottet“, sagt Wolfgang Bach, Professor für Gesteinskunde am Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen. Nachdem man vor über 30 Jahren die ersten heißen Quellen gefunden hatte, kamen zwar immer mehr davon auf den mittelozeanischen Rücken der Meere ans Licht – aber alle waren gleich: Geologisch, chemisch und biologisch unterschieden sie sich nicht. „Für uns Wissenschaftler, die immer etwas Neues entdecken und neue Fragen stellen wollen, war das eine Katastrophe“, sagt Bach und fügt augenzwinkernd hinzu: „Aber Hartnäckigkeit zahlt sich manchmal aus.“ Denn inzwischen sieht die Situation völlig anders aus. In den dunklen Tiefen der Ozeane brodelt es in mehreren Tausend Meter Tiefe nicht nur viel häufiger, als die Forscher noch vor Kurzem dachten, es brodelt auch viel abwechslungsreicher. Tiere und Mikroben nutzen dieses nährstoffreiche, aber giftige Angebot äußerst trickreich, um in völliger Finsternis überleben zu können.

Möglich wurde die systematische Erkundung erst durch neue Sensoren, die gestaffelt nacheinander eingesetzt werden. Moderne Fächer-Echolote auf den Forschungsschiffen scannen den Meeresboden mit so hoher Auflösung, dass man interessante Regionen der Tiefsee bereits an Bord erkennen kann. Selbstständig agierende U-Boote mit Seitensicht-Sonar finden anschließend sogar heiße Quellen von gerade einem halben Meter Durchmesser. Neue Tauchroboter mit HD-Kameras und Probennehmern erkunden erfolgversprechende Plätze vor Ort (siehe Beitrag „Torpedo mit Scharfblick“).

Stinkende Gase spenden Energie

Die klassischen Hydrothermalquellen der Tiefsee mit den charakteristischen säulenförmigen Schwarzen Rauchern liegen auf dem Rücken der großen ozeanischen Gebirge. Hier reißt die Erde auseinander, 350 bis 400 Grad Celsius heißes Wasser schießt durch Basaltgestein empor und nimmt zahlreiche Mineralien mit, die sich um die Quellen herum ablagern und meterhohe Schlote bilden. Eisen, Kupfer, Gold und Schwefel findet man dort. Für die meisten Lebewesen ist das ein feindlicher Ort. Und doch wimmelt es dort von Leben: Würmer, Muscheln, Krebse und viele Einzeller besiedeln die Umgebung. Da hier kein Sonnenlicht mehr ankommt, fällt die Photosynthese als Grundlage des Lebens aus. Einzeller übernehmen in der völligen Dunkelheit die Rolle der Pflanzen. Statt Licht verwenden sie eine energiereiche Schwefelverbindung aus dem Erdinneren: den nach faulen Eiern stinkenden Schwefelwasserstoff.

Chemosynthese statt Photosynthese, lautet das Motto in der Tiefsee. Und wo immer energiereiche Verbindungen aus der Erde sprudeln, bilden sich Oasen des Lebens inmitten einer ansonsten lebensfeindlichen Wüste. Lange Zeit war es für die Wissenschaftler ein Rätsel, wie die Tiere die oft mehrere Tausend Kilometer weiten Strecken von einer Oase zur nächsten zurücklegen können, um neue Quellen zu besiedeln. Dann entdeckten Wissenschaftler des Marum im Herbst 2010 im Atlantik mit einem Seitensicht-Sonar Säulen von aufsteigenden Gasbläschen. Die wissenschaftliche Leiterin der Expedition, die Meeresbiologin Nicole Dubilier, ließ den ferngesteuerten Roboter „Quest“ abtauchen. Der entdeckte eine kleine Hydrothermalquelle, an der unter anderem Tiefseekrebse lebten. Nun suchten die Forscher gezielt nach Bläschen-Säulen – und entdeckten weitere Mini-Quellen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es entlang des Mittelatlantischen Rückens viel mehr solcher kleinen aktiven Stellen gibt, als wir bislang vermutet haben“, sagt Dubilier. „Das könnte erklären, wie sich Tiere zwischen den großen Feldern von Hydrothermalquellen ausbreiten. Möglicherweise nutzen sie die kleineren aktiven Zonen als Sprungbrett.“

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Auch ein Ortswechsel brachte den Forschern Erfolg. „Früher hat man vor allem auf den Gebirgsrücken gesucht, doch in den letzten Jahren wurden wir auch an den Hängen der Meeresgebirge fündig“, berichtet Bach, „und an den Subduktionszonen.“ Das sind Bereiche, in denen sich eine tektonische Platte unter eine andere schiebt. „ Dort sind Chemie und Leben völlig anders als oben auf dem Gebirgsrücken“, sagt der Forscher. Das heiße Wasser enthält keinen Schwefelwasserstoff, sondern Methan und elementaren Wasserstoff als energiereiche Verbindungen. In manchen Quellen steckt außerdem so viel Kohlendioxid, dass das Gas bei dem hohen Druck der Tiefsee flüssig wird und kleine Seen am Rande der Quellen bildet. Andere Quellen sind extrem alkalisch oder sehr sauer, wie die im östlichen Manus-Becken bei Papua-Neuguinea, die Bach und Dubilier im Sommer 2011 an Bord des Forschungsschiffs Sonne untersucht haben. Aus den Hydrothermalquellen schießt Schwefelsäure mit einem extrem niedrigen pH-Wert von 0,9. Der Aufwand, sich gegen Hitze, Säure und vielerlei Gifte zu schützen, ist für die Tiere kein begrenzender Faktor. Denn die Energie, die sie dazu brauchen, gibt es reichlich. Mehrere Wurm- und Muschelarten haben sogar ganz oder teilweise die tiertypische Ernährungsweise aufgegeben, andere Lebewesen aufzufressen, und fungieren nur noch als „Mikrobenbehälter“.

Würmer ohne Mund und After

So haben die meterlangen Röhrenwürmer an den Schwarzen Rauchern weder Mund noch Darmausgang. Ihr Trick: Sie beherbergen Mikroorganismen, die Chemosynthese betreiben und ihren Wirt dabei mit versorgen. Auch für die Mikroben lohnt sich die Kooperation, denn ihr Wirt ist – im Gegensatz zu ihnen selbst – sehr beweglich. Er sorgt dafür, dass die Mikroben an für sie lebensfreundliche Orte gelangen. Es ist also eine Symbiose – mit Vorteilen für beide Partner. Die Bakterien können nicht nur Schwefelwasserstoff und Methan verarbeiten, sondern sogar elementaren Wasserstoff. „Das heißt, sie führen die vehemente Knallgasreaktion, die man aus der Schule kennt, kontrolliert in ihrem Inneren durch“, sagt Bach fasziniert. „Wie sie das machen, ist eine Frage, die uns bei vielen aktuellen Projekten bewegt.“ Um Stoffwechsel zu betreiben und Energie zu gewinnen, pumpen Zellen Elektronen oder Protonen durch ihre Wände. Dabei nutzen sie leichte Unterschiede im Säuregehalt. Aber wie machen das Tiefseeorganismen, die in extrem saurem oder alkalischem Milieu leben? Das wollen die Forscher um Wolfgang Bach herausfinden. Mit diesem Ziel arbeiten Geologen, Chemiker und Biologen in seinem Team Hand in Hand.

Nicole Dubilier und ihre Kollegen untersuchen unter anderem die Tiefseeschnecke Ifremeria nautilei. In ihren Kiemen leben mindestens vier Mikroorganismen: zwei, die Schwefelwasserstoff und Methan abbauen, und zwei andere, deren Überlebensprinzip die Forscher noch nicht kennen. Um die Geheimnisse dieser Mikroben aufzuspüren, nutzt Dubiliers Team molekularbiologische Methoden, wie sie auch beim Humangenomprojekt zum Einsatz kamen.

Winziges Tierchen im Fokus

Die Meeresbiologin stemmt solche Projekte meist am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. Sie ist sowohl am Marum als auch am Max-Planck-Institut Arbeitsgruppenleiterin. Viele grundlegende Erkenntnisse über den Stoffwechsel von Tiefsee-Symbionten hat die Meeresbiologin an einem nur 0,2 Millimeter kleinen Wurm gewonnen, den sie im flachen Wasser vor Elba entdeckte.

Nachdem Forscher in der Tiefsee Tiere mit einem Schwefelstoffwechsel aufgespürt hatten, fragte sich Dubilier, ob es solche Organismen auch in anderen Regionen gibt – und wurde fündig: Olavius algarvensis heißt der kleine Wurm. Mit ihm lässt sich leichter arbeiten als mit den auf extreme Lebensbedingungen spezialisierten Tiefseeorganismen. Vielleicht haben Ola-vius‘ Vorfahren einst an schwefelhaltigen Hydrothermalquellen gelebt. Doch Olavius braucht die nicht mehr. Er braucht fast überhaupt nichts mehr, da er den perfekten Besatz an Symbionten hat: Zwei seiner Gäste gewinnen Energie, indem sie aus Sulfat Sulfid herstellen, andere Organismen in dem Wurm verwandeln umgekehrt Sulfid in Sulfat. Mit der Energie, die sie dabei gewinnen, stellen sie Kohlenhydrate aus Kohlendioxid her und ernähren damit ihren Wirt. Das bisschen Schwefel, das sie für ihre chemischen Aktionen benötigen, kann der Wurm über die Haut aufnehmen. Ein Maul braucht er dazu nicht, einen After oder Nieren auch nicht, denn was er ausscheiden könnte, nutzt er, um seine Mikro- organismen zu düngen. „Olavius zeigt, wie man begrenzte Ressourcen optimal nutzen kann, indem aufeinander abgestimmte Mikroben-Gemeinschaften zusammenwirken“, erklärt Nicole Dubilier.

Die Wurm-Bakterien-Symbiose ist somit nicht nur ein Modell für die biologische Tiefseeforschung, sondern auch für eine sich fast selbst erhaltende Biosphäre. Und damit ist sie ein interessantes System für Wissenschaftler, die Expeditionen in einen ganz anderen extremen Raum planen: den Weltraum. ■

von Thomas Willke

Gut zu wissen: Schwarze Raucher

Als Schwarze Raucher bezeichnen Meeresforscher auffällige Strukturen am Grund des Ozeans, aus denen dunkle Schwaden quellen. Die oft röhrenförmigen und teils über 20 Meter hohen Gebilde erinnern an qualmende Schornsteine. Geformt werden sie durch mineralische Stoffe wie Sulfide und eisen-, kupfer- oder zinkhaltige Verbindungen. Sie treten zusammen mit heißem Wasser aus dem Schlot des Rauchers aus. Wenn sich die mancherorts weit über 400 Grad Celsius heiße Flüssigkeit aus der Tiefe mit dem kalten Wasser am Meeresgrund vermischt, werden die Mineralien ausgefällt und lagern sich an den hydrothermalen Quellen ab. Die meisten Schwarzen Raucher findet man an den mittelozeanischen Rücken in etwa 2500 Meter Meerestiefe. Nach einigen Jahren erlöschen die Schwarzen Raucher, weil ihr Schlot durch Mineralien verstopft ist, während andernorts neue heiße Quellen zu sprudeln beginnen.

Kompakt

· Um energiereiche Schwefelquellen entwickeln sich Oasen des Lebens.

· Selbst an extrem sauren Stellen der Tiefsee gibt es Tiere.

· Skurrile Würmer und Mikroorganismen helfen sich gegenseitig beim Überleben.

Mehr zum Thema

Internet

Sie wollen wissen, wie die Fahrt der „Meteor“ ins Schwarze Meer weiterging? Die Reisetagebücher von Gerhard Bohrmann findet Sie auf: www.wissenschaft.de

Diverse Videoclips, Fotos und Hintergrundinformationen zur Meeresforschung am Marum finden Sie auf der bdw-Sonderseite www.wissenschaft-und-meer.de/bdw.tv

Umfassende Informationen zum Marum und den dort aktuellen Forschungsthemen gibt es unter: www.marum.de

„Der Ozean im System Erde“, eine reich bebilderte Broschüre des Marum, als pdf: www.marum.de/Binaries/Binary_45774/ MARUM-Brosch_DE2010.pdf

Übersichtsbeitrag von Wolfgang Bach über submarine Hydrothermalquellen: www.marum.de/Binaries/Binary 29444/Hydrothermalquellen.pdf

Bericht über die Expedition der Meteor zur Küste von Nordwestafrika (2005): www.ifm.zmaw.de/fileadmin/files/ leitstelle/meteor/M65/M65_Expeditions heft.pdf

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