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Gesine Mollenhauer Die Weitgereiste

Erde|Umwelt

Gesine Mollenhauer Die Weitgereiste
Rund um den Globus ist die Geowissenschaftlerin unterwegs, um Ursachen und Folgen des Klimawandels zu erkunden.

Die Landung ist holprig in Tiksi. Der kleine Militärflughafen im Lena-Delta hat nur eine Schotterpiste. Lediglich alle zwei Wochen – und nur im kurzen Sommer – landet hier eine Tupolew der „ Air Yakutia“ aus Moskau. 2009 brachte sie Gesine Mollenhauer mit. Fast 5000 Kilometer von ihrem Institut an der Weser entfernt, nahm die Geowissenschaftlerin 14 Tage lang Boden- und Sedimentproben an der russischen Nordpolarmeerküste. Seitdem übernimmt Mollenhauers Doktorandin Maria Winterfeld das alljährliche Probensammeln. Das Ziel der beiden Bremerinnen: Sie wollen herausfinden, wie sich der globale Klimawandel auf die Dauerfrostböden am Rand der Arktis auswirkt.

Denn wie diese Region reagiert, könnte großen Einfluss auf das Weltklima haben: „Zum einen sind riesige Mengen Methan im Permafrostboden enthalten, die in die Atmosphäre gelangen könnten, wenn der Untergrund auftaut“, sagt Gesine Mollenhauer. Das hätte weitreichende Folgen, denn Methan ist ein Treibhausgas wie Kohlendioxid – mit einer 25 Mal so großen Wirkung. Andererseits dienen die Böden der sibirischen Tundra als Speicher für Kohlenstoff – und könnten so den Klimawandel beeinflussen. „ Beim Forschungsprojekt im Lena-Delta untersuchen wir, was an diesem einsamen Flecken der Erde vor sich geht“, erklärt die Wissenschaftlerin und sprüht vor Tatendrang: „Was steckt in den Böden, was wird dort abgelagert, wie entweichen die Substanzen und wohin gelangen sie?“ Den Klimawandel und die komplizierten geologischen Prozesse in der Umwelt besser zu verstehen – das ist es, was Mollenhauer bei ihrer Arbeit antreibt.

Das Interesse an der Wissenschaft war ihr in die Wiege gelegt. „Mein Vater arbeitete als Biologe am Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main“, berichtet sie. Das weckte in ihr schon früh den Forscherdrang. Der paarte sich mit einem großen Verlangen, möglichst viel von der Welt zu sehen. „Schon als Jugendliche gab ich alles Ersparte dafür aus, in den Ferien durch Europa zu touren“, gesteht Mollenhauer. „Fremde Kulturen kennenzulernen und von ihnen zu lernen, hat mich immer beeindruckt.“ Ein weiteres Herzensanliegen war ihr stets der Umweltschutz – und der Wunsch, „einen Beitrag zum Verständnis der Welt und zu ihrer Bewahrung zu leisten“. Das alles kann Mollenhauer in ihrem Beruf ideal miteinander verbinden.

Während ihres Studiums der Geologie und Paläontologie an der Universität Bremen verbrachte sie ein Jahr in den USA, wohin sie nach ihrem Diplom mehrmals zurückkehrte. Sie beschäftigte sich unter anderem mit der Altersbestimmung von Sedimenten und organischen Ablagerungen im Ozean. Ihr besonderes Augenmerk galt der Radiokarbon-Datierung von organischen Verbindungen, sogenannten Biomarkern, und Foraminiferen. Diese winzigen Mikroorganismen sinken nach ihrem Tod zum Meeresgrund und nehmen in ihren Kalkschalen Informationen über den Zeitpunkt ihres Sterbens mit. Geologen können das später zur Altersbestimmung der umgebenden Sedimentschichten nutzen. Die chemischen Eigenschaften der Foraminiferen-Schalen sowie der Biomarker dienen zudem als Werkzeug zur Rekonstruktion des Klimas zu Lebzeiten der Meerestierchen. Gesine Mollenhauer befasste sich mit einer neuen Methode, um die Klima-Indikatoren aufzuspüren und aus Bohrkernen zu isolieren. Sie hilft, zu verstehen, wie das weltweite Klimasystem funktioniert (siehe Beitrag „Dürre aus dem Ozean“ ).

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Ihre Arbeit führte die agile Forscherin rund um den Globus. Sie beteiligte sich an Schiffsexpeditionen ins Panama-Becken und vor die Küste von Nordwestafrika. Auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen, am Rand des Arktischen Ozeans, untersuchte sie Substanzen, die beim Auftauen aus Permafrostböden ausgeschwemmt und ins Meer gespült werden – eine Vorstudie für das aktuelle Projekt im Lena-Delta. Und sie nahm die Meeressedimente vor der Küste von Namibia ins Visier. Dabei gelang ihr „eine besonders wichtige Erkenntnis“, wie sie betont. Die Geologin fand heraus: Die Biomarker, die Wissenschaftler gerne nutzen, um die Wassertemperaturen der Vergangenheit zu rekonstruieren, sind teilweise um mehrere 1000 Jahre älter als Foraminiferen in derselben Sedimentschicht. So manche Daten, aus denen Forscher das Klima vergangener Jahrtausende rekonstruiert hatten, mussten daraufhin neu interpretiert werden.

Ihr wissenschaftlicher Erfolg und ihre Gabe, komplizierte Zusammenhänge anschaulich und fesselnd zu erklären, brachte Gesine Mollenhauer auf der Karriereleiter rasch nach oben. 2005 bewarb sie sich für die Leitung einer Nachwuchsgruppe der Helmholtz-Gemeinschaft. Diese Gruppen geben begabten jungen Wissenschaftlern die Chance, früh ein eigenes Forschungsteam aufzubauen. Wenn Mollenhauer sich heute an die Präsentation erinnert, die sie nach ihrer Bewerbung vor einer Versammlung von wissenschaftlichen Koryphäen halten musste, spürt sie wie damals das Wechselbad ihrer Gefühle. „Das waren für mich furchtbare Minuten“, sagt sie. „Als ich mit meinem Kurzvortrag an der Reihe war, hatte sich bereits Müdigkeit im Saal ausgebreitet. Um die Zuhörer wieder aufzumuntern, hatte man Kaffee serviert – und mein Vortrag wurde vom Klappern der Kaffeelöffel und Tassen übertönt.“ Danach stellte einer der Prüfer eine kaum zu beantwortende Frage. „Da dachte ich, das war’s.“ Es folgte eine schlaflose Nacht – und am nächsten Tag die erlösende Nachricht: Sie hatte die Stelle in der Tasche. Ihre Präsentation hatte das Auditorium rundum überzeugt.

Anfang 2006 startete Mollenhauer mit der Helmholtz-Nachwuchsgruppe durch. An ihrem neuen Arbeitsplatz konnte sie, gemeinsam mit mehreren Doktoranden und einem technischen Assistenten, mit recht üppigen finanziellen Mitteln loslegen – und dazu in ein exzellent ausgestattetes Labor am Marum einziehen. Nach Feierabend bewies die Geowissenschaftlerin, dass sie nicht nur mit Ideen und Worten punkten, sondern auch kräftig zupacken kann: Mit ihrem Lebensgefährten und heutigen Ehemann hatte sie in Bremen ein schmuckes, aber renovierungsbedürftiges Haus aus dem 19. Jahrhundert gekauft – und verbrachte monatelang jede freie Minute auf der Baustelle, um das neue Heim auf Vordermann zu bringen.

Doch jenseits der Heimwerkerei ist Gesine Mollenhauer Wissenschaftlerin mit Leib und Seele. Deshalb hat sie eine kurze Erziehungspause – im Dezember 2010 kam ihr Sohn Frederik zur Welt – genutzt, um Kraft zu schöpfen für eine neue Episode ihrer Karriere: Seit 1. September ist die 38-Jährige Professorin am Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen und zugleich am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven – und sie wirkt am Marum mit. Ihre Forschungsschwerpunkte haben sich nicht verändert. So freut sie sich besonders auf die Aufgaben, die im Lena-Delta auf sie warten.

Privat liegen ihre Traumziele allerdings woanders: im Busch von Australien, in der Eiswüste der Antarktis und im tropischen Regenwald. Und sie will bald noch einmal nach Mauritius, wohin sie 2009 ihre Hochzeitsreise führte. Gesine Mollenhauer: „Dort will ich endlich richtig tauchen lernen.“ Ein Wunsch, den sie schon seit vielen Jahren hegt. Und in Sibirien ist es dazu einfach zu kalt. ■

von Ralf Butscher

Kompakt

· Gesine Mollenhauer wird 1972 in Frankfurt am Main geboren

· studiert von 1993 bis 1999 Geologie und Paläontologie an der Universität Bremen

· promoviert dort 2002

· leitet von 2006 bis 2011 die Nachwuchsgruppe „Applications of compound-specific radiocarbon analysis for the study of sedimentation processes and carbon cycling in marine sediments“ am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven sowie am Marum in Bremen

· ist seit dem 1.9.2011 Professorin am Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen

· ist verheiratet und hat einen Sohn (geboren 2010)

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Hirn|scha|le  〈f. 19; Anat.〉 knochige Schale, in der sich das Gehirn befindet

Emul|ga|tor  〈m. 23; Chem.〉 Hilfsstoff bei der Herstellung von Emulsionen, der die Oberflächenspannung herabsetzt

Erd|stoß  〈m. 1u〉 ruckartige Erschütterung der Erde beim Erdbeben

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