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Die Vogelfreien der Galaxis

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Die Vogelfreien der Galaxis
Astronomen haben Planeten entdeckt, die isoliert durch die Milchstraße irren. Die frei fliegenden Himmelskörper sind wahrscheinlich sogar häufiger als die Sterne.

Als europäische Astronomen die ersten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems aufspürten, war das eine Sensation. Sie lösten eine wissenschaftliche Umwälzung aus und schufen ein boomendes Forschungsfeld. Heute, 17 Jahre später, bevölkern fast 600 Exemplare die Kataloge, über 1200 Verdachtsfälle kommen hinzu, und fast täglich werden die Listen länger – Routine anstatt Revolution. Dennoch taugt die Suche nach Exoplaneten noch immer für bahnbrechende Funde. So im vergangenen Mai, als Planetenjäger im Wissenschaftsblatt „Nature” eine neue Klasse von Himmelskörpern meldeten – mit ähnlichen Massen wie Jupiter. Doch anders als die Planeten im Sonnensystem sind diese Objekte ungebunden. Sie schwirren ohne Zentralstern durch die Milchstraße. Zwar gelang erst ein flüchtiger Blick auf diese ziellosen Wanderer, doch ihre Zahl scheint immens zu sein. Die Entdeckung gelang der MOA-Gruppe (Microlensing Observations in Astrophysics) aus Neuseeland und Japan sowie dem polnischen OGLE-Team (Optical Gravitational Lensing Experiment). Beide Teams wurden mithilfe von Mikrogravitationslinsen fündig (siehe Kasten „ Gut zu wissen”). Die Suchmethode ist eine von mehreren, um Exoplaneten aufzuspüren. Wie die meisten ihrer Kollegen fahnden auch die MOA- und OGLE-Planetenjäger nach indirekten Indizien: Obwohl weder Exoplanet noch Zentralstern im Teleskop sichtbar sind, wirken beide unter bestimmten Bedingungen wie eine vergrößernde Linse (siehe Grafik „So entdeckt man Freiflieger”). Tritt dieser Effekt auf, erscheint ein weit entfernter Stern vorübergehend heller.

RELATIVITÄTSTHEORIE IM EINSATZ

Über 5000 solcher nur mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erklärbaren Ereignisse wurden bislang entdeckt, jährlich kommen rund 1000 hinzu. Der Löwenanteil geht auf das Konto von Aufhellungen, bei denen sich ein Stern vor einen anderen schiebt und dessen Licht gravitativ „umbiegt”. Die viel masseärmeren Exoplaneten sind deutlich schwieriger nachzuweisen, denn mit abnehmender Masse der „Linse” wird die Aufhellung immer kürzer. Trotzdem hat die Linseneffekt-Methode einen wichtigen Vorteil: Sie eignet sich besonders für statistische Studien, ihre Funde sind nämlich repräsentativ für die gesamte Planeten-Population in der Milchstraße. „Unsere Untersuchung ähnelt einem Zensus”, erklärt David Bennett von der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana, Co-Autor des Artikels in Nature. „Wir haben uns einen Ausschnitt der Milchstraße angesehen, und auf dieser Basis können wir die Gesamtzahl bestimmter Objekte in der gesamten Milchstraße abschätzen.”

Auch wenn es nur ein kleiner Teil der Milchstraße war, den die MOA-Forscher ins Visier nahmen, mussten sie eine gewaltige Menge an Himmelskörpern beobachten: Rund 50 Millionen Sterne in der Zentralregion unserer Galaxis wurden simultan überwacht. Mindestens einmal stündlich maßen die Forscher deren Helligkeiten. Innerhalb von zwei Jahren registrierten sie 474 Aufhellungen. Bei 10 dieser Ereignisse flammten die Hintergrundsterne weniger als zwei Tage lang auf – diese kurzlebigen Fälle weisen auf einen Exoplaneten hin –, im Durchschnitt 10 000 bis 20 000 Lichtjahre von uns entfernt. Allerdings ergaben die Messungen keinerlei Anhaltspunkte für Zentralsterne. Wenn diese überhaupt existieren, sind sie mindestens zehnmal weiter von den entdeckten Planeten entfernt als die Sonne von der Erde. Die meisten dürften aber tatsächlich heimatlos sein.

WAISEN IM WELTALL

Manche Astronomen nennen sie „frei fliegend”. Die „New York Times” schrieb von „Waisen im Weltall”. Bereits vor einem Jahrzehnt, als die Astronomen in einem jungen Sternentstehungsgebiet im Orion einzelne ungebundene planetare Objekte ausmachten, stritten sich die Experten um die korrekte Namensgebung. Einige Vorschläge von damals: „ehemals Planeten genannte Objekte”, „isolierte Objekte mit Planetenmasse”, oder schlicht „Einzelgänger-Planeten”.

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Zehn neue sonnenlose Exoplaneten – das klingt unspektakulär. Doch die statistische Auswertung ergab, dass sie nur die Spitze eines Eisbergs sein können. Demnach sind die Freiflieger etwa 1,8 Mal so häufig wie die Sterne der Milchstraße – und das sind immerhin ein paar Hundert Milliarden. Andere Erklärungen schließen die Autoren nach einer Analyse möglicher Störeffekte aus. Zusätzlich abgesichert wird der Befund durch unabhängige Messungen des OGLE-Teams. Sie zeigen vor allem, dass es keine Heimatsterne nahe den neu entdeckten Exoplaneten gibt. Bennett ist von dem Resultat immer noch überrascht: „Vor unseren Beobachtungen erwarteten wir, bei 10 bis 20 Prozent der Sterne jupiterähnliche Planeten zu finden. Nun scheint es, als ob ihre Zahl diejenige der Sterne in den Schatten stellt.” Andy Gould von der Ohio State University und dem Microlensing Follow Up Network (μFUN), der nicht zu MOA und OGLE gehört, ist ebenfalls von der Entdeckung beeindruckt: „Die Ereignisse in den Lichtkurven sehen tatsächlich aus wie durch Mikrogravitationslinsen verursacht.” Andere bekannte Helligkeitsveränderungen der Sterne schließt der Experte für solche Beobachtungen aus. Das ist ein wichtiger Punkt, denn einige Sterne ändern ihre Helligkeit von selbst – ganz ohne den Linseneffekt. An der Auswertung hat der Astronom ebenfalls keine Kritik anzumelden: „Die Resultate stehen statistisch auf sicherem Boden.”

Auch Joachim Wambsganß, Astronom an der Universität Heidelberg, hält die Auswertung trotz der geringen Fallzahlen für untadelig. „Die Auswirkungen der Entdeckung sind weitreichend”, schrieb er in einem Kommentar für Nature. Tatsächlich steht nichts weniger als das Bild der Milchstraße zur Disposition. Die neue Frage lautet: Sind Planeten eine Zugabe, die manche Sterne haben und viele andere nicht – oder dominieren sie vielmehr die gesamte Galaxis?

IN WAHRHEIT BRAUNE ZWERGE?

Bei aller Euphorie über den Bevölkerungszuwachs in der Milchstraße plädiert Andy Gould dafür, auch unwahrscheinlichere Erklärungen zu diskutieren. Eine Möglichkeit: Sterne, deren Helligkeit aus unbekannter Ursache variiert. „Denkbar ist auch, dass die Objekte zwar real sind – aber keine Planeten.” Dann müsste es sich um Braune Zwerge handeln (bild der wissenschaft 7/2011, „Kosmische Fehlzünder”). Die Massen vieler dieser „ verhinderten Sterne” wären dann zu gering eingeschätzt worden. Das ist nicht sonderlich plausibel. Und: „Ein so gewaltiges Aufkommen Brauner Zwerge wäre ebenfalls außerordentlich überraschend”, betont Gould.

„Es gibt eine riesige Population von Objekten mit niedriger Masse in der Milchstraße, das ist weitgehend unstrittig”, sagt Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Der Experte für Sternentstehung regt an, als Nächstes Vertreter dieser Klasse mit Teleskopen direkt ins Visier zu nehmen. Kandidaten, die uns deutlich näher als die MOA-Exemplare sind, gibt es im Katalog des NASA-Satelliten WISE (Wide-field Infrared Survey Explorer). Er hat letztes Jahr den gesamten Himmel im infraroten Wellenlängenbereich fotografiert.

PLANETEN MIT SCHLEUDERTRAUMA

Gezielte Beobachtungen sind auch nötig, um den mysteriösen Geburtsprozess der unsteten Wanderer zu entschlüsseln. David Bennett, einer der Entdecker der Freiflieger, geht davon aus, dass sie ganz konventionell wie Planeten entstanden sind, nämlich in Staubscheiben um ihre ehemaligen Zentralsterne. „Oft sind solche Planetensysteme nicht dauerhaft stabil, und manche Planeten werden aus ihren Geburtsstätten geschleudert.” Das geschieht, wenn es zu nahen Begegnungen mit anderen Planeten kommt. Die Schwerkraft-Wechselwirkungen werden vielen zum Verhängnis: Wie Vogelfreie irren sie nach dem Rauswurf durchs All.

Thomas Henning bringt ein anderes Szenario ins Gespräch. „Der Entstehungsprozess könnte der Geburt der Sterne ähneln”, überlegt er. Mehrere Objekte könnten sich gleichzeitig in einer Gaswolke durch Zusammenballung formen: Dabei kommt es zu Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten – sowohl untereinander als auch mit dem Gas der Wolke. Die Leichtgewichte werden dabei herauskatapultiert, bevor sie sich genug Masse zulegen können, und sind von da an heimatlos. Die schwereren Objekte wachsen dagegen zu Sternen oder Braunen Zwergen heran. Beide Möglichkeiten werden momentan diskutiert. Und noch eine Frage treibt die Astronomen um: Können die Freiflieger auch viel kleiner sein als die bisher gefundenen Gasplaneten, die mehr als die Hundertfache Masse der Erde haben? „Mit Mikrogravitationslinseneffekten lassen sich Exoplaneten mit kleiner Masse besser finden als mit allen anderen Methoden”, sagt Joachim Wambsganß. Bereits 2006 berichtete er mit Kollegen von einem Exemplar mit lediglich 5,5 Erdmassen. „Dieser Exoplanet war allerdings nicht frei fliegend, sondern umkreiste einen Zentralstern.”

Die weltweite Jagd auf die planetaren Einzelgänger geht weiter. Allein MOA hat noch Daten aus drei weiteren Beobachtungsjahren, die gerade ausgewertet werden. In Korea arbeiten Forscher an einem Netzwerk aus drei Teleskopen. Und in Europa und den USA werden Pläne für Weltraumteleskope vorangetrieben, die mit dem Linseneffekt mühelos auch kleinere erdähnliche Freiflieger aufspüren könnten. Dass bisher keine entdeckt wurden, bedeutet nicht, dass es keine gibt. Wambsganß greift zu einem Vergleich aus der Schifffahrt: „Wer sich New York von der Seeseite nähert, sieht zuerst die Wolkenkratzer. Erst wenn er näher kommt, kann er die kleinen Gebäude erkennen.” ■

THORSTEN DAMBECK ist Physiker und regelmäßiger bdw-Autor. In Heft 8/2011 berichtete er vom Aprilwetter auf dem Saturnmond Titan.

von Thorsten Dambeck

Gut zu wissen: Mikrogravitationslinsen

Dass sich Licht nicht unbedingt auf geraden Bahnen ausbreitet, sondern der Krümmung der Raumzeit folgt, die durch Massen verursacht wird, hat Albert Einstein im Rahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagt. Inzwischen wurde es unzählige Male gemessen (bild der wissenschaft 1/2011, „Relativitätstheorie” ). Licht kann aber nicht nur abgelenkt, sondern auch kurzfristig intensiviert und sogar aufgespalten werden. Ein solcher Gravitationslinseneffekt ist ebenfalls schon von Einstein berechnet und inzwischen ausgiebig beobachtet worden. Die Gravitationslinse im Vordergrund ist dabei oft nicht zu sehen. Verstärkt ihre Schwerkraft die Hintergrund-Lichtquelle nur, ohne dass sich Mehrfachbilder davon zeigen, spricht man von einem Mikrogravitationslinseneffekt. Nach diesem Effekt wurde zunächst in großem Maßstab gesucht, um der ominösen Dunklen Materie auf die Spur zu kommen. Bald wurde damit auch nach Exoplaneten gefahndet. Das erste Exemplar konnten Astronomen 2004 nachweisen. Der Effekt tritt ein, wenn der Exoplanet und sein Heimatstern – falls vorhanden – vor einen weiter entfernten Stern treten. Die Himmelsobjekte im Vordergrund wirken dann wie eine Linse und verstärken die Helligkeit des Hintergrundsterns vorübergehend. Ist die Gravitationslinse ein Stern, dauert die Aufhellung länger. Ein Planet hingegen offenbart sich durch einen kürzeren Helligkeitsanstieg (siehe Grafik „So entdeckt man Freiflieger”). Je kleiner seine Masse, desto rascher geht der Effekt vorbei. Die Sequenz in der Illustration unten zeigt eine solche temporäre Lichtverstärkung (mittleres Bild) eines Sterns. Damit es überhaupt dazu kommt, müssen sich sowohl der Hintergrundstern als auch das Exoplanetensystem und der irdische Beobachter auf einer perfekten Geraden befinden – eine sehr seltene Konstellation. Um trotzdem genügend Ereignisse zu messen, überwachen Astronomen die Helligkeiten von Millionen Sternen.

SO ENTDECKT MAN FREIFLIEGER

Mikrogravitationslinsen können Unsichtbares sichtbar machen, weil die Schwerkraft eines Vordergrundobjekts das Licht eines Objekts im Hintergrund gleichsam bündelt. Beispielsweise kann sich ein Stern (rot) zwischen den Beobachter und einen weit entfernten Hintergrundstern (gelb) bewegen (1). Dann wird die Helligkeit des Sterns im Hintergrund zeitweilig verstärkt, weil dessen Lichtstrahlen durch die Masse des Vordergrundsterns gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie zum Beobachter gebogen werden. Dieser registriert eine variierende „Lichtkurve” (unten). Wird der Vordergrundstern von einem Planeten in unmittelbarer Nachbarschaft umkreist (2), macht sich dieser Exoplanet als zusätzlicher scharfer Peak in der Lichtkurve bemerkbar. Falls der Exoplanet in größerer Entfernung um seinen Zentralstern kreist (3), besteht die Lichtkurve meist nur aus dem breiten Maximum des Sterns oder aus dem kurzen, weniger starken Helligkeitssignal des Exoplaneten. Sehr selten ist die Beobachtung beider Signale möglich – bisweilen in einem Zeitabstand von Jahren. Die Lichtkurve eines extrasolaren „Freifliegers” hingegen (4), der ganz ohne Zentralstern durchs All irrt, zeigt stets nur einen kurzen Helligkeitsanstieg.

KOMPAKT

· Durch die Milchstraße schwirren vermutlich doppelt so viele einsame Planeten wie Sterne. Die ersten wurden über 10 000 Lichtjahre entfernt entdeckt.

· Die Einzelgänger entstanden wohl wie reguläre Planeten zusammen mit Sternen und wurden später bei nahen Begegnungen mit anderen Planeten aus ihren Heimatsystemen geschleudert.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Umfassendes Fachbuch über Exoplaneten: John W. Mason EXOPLANETS: DETECTION, FORMATION, PROPERTIES, HABITABILITY Springer, Berlin 2008, € 133,70

INTERNET

Exoplaneten – Einführung und Katalog: planetquest.jpl.nasa.gov/index.cfm/ exoplanet.eu/

Ein extragalaktischer Planet(Podcast): www.eso.org/public/videos/eso1045a/

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