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Finstere Zukunft

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Finstere Zukunft
Das Schicksal des Universums und seiner Zivilisationen erscheint langfristig düster. Verantwortlich dafür ist eine mysteriöse Dunkle Energie – die aber auch für Auswege und Überraschungen sorgen könnte.

Das Schicksal in den Sternen zu suchen, ist auch in unserem wissenschaftlich-technischen Zeitalter ein lukratives Geschäftsfeld. Astronomen sind dabei allerdings selten gefragt. Und doch können sie viel weiter in die Zukunft blicken als alle selbst ernannten Wahrsager zusammen. Die generellen Aussichten sind dabei buchstäblich düster – es wird finster, kalt und einsam werden. Aber vielleicht hält die Natur noch eine Überraschung bereit. Seit dem Urknall dehnt sich der Weltraum zwischen den Galaxienhaufen aus. Neue Forschungen legen nahe, dass diese kosmische Expansion in alle Ewigkeit andauert – und sogar immer schneller wird. Die Ursache dafür ist eine geheimnisvolle Triebkraft, die Michael Turner „Dunkle Energie” genannt hat. „Die große Herausforderung der neuen Kosmologie ist es, die Dunkle Energie zu verstehen”, sagt der für seine pointierte Ausdrucksweise bekannte Physiker von der University of Chicago. „ Die Dunkle Energie ist wohl das wichtigste Problem der gesamten Physik.” Was hinter dieser seltsamen Antriebskraft steckt, gibt den Forschern Rätsel auf. Fest steht nur, dass sie ein diffuses, über den gesamten Raum verteiltes, niedrigenergetisches Phänomen ist, das negativen Druck hat – also wie Antischwerkraft wirkt und den Weltraum auseinander treibt. Die Dunkle Energie lässt sich nicht greifen, auch nicht in den hochgezüchteten Teilchenbeschleunigern erzeugen. Doch sie betrifft nicht nur fundamentale Fragen der Physik, sondern auch unsere langfristige Zukunft – genauer: die aller möglichen Zivilisationen im Universum. „Dunkle Energie ist der Schlüssel zum Verständnis unseres Schicksals”, sagt Turner – und das ist keine Übertreibung. Das Schicksal des Universums mag nur für Astronomen alarmierend sein, doch die Zeit, den Kosmos auszukundschaften läuft uns buchstäblich davon. Denn obwohl sich unser Horizont noch permanent weitet – also immer neue Informationen von noch ferneren Regionen ins Blickfeld der Teleskope geraten –, werden wir allmählich immer kurzsichtiger. Der Grund dafür ist, dass die beschleunigte Ausdehnung des Weltraums die fernen Lichtquellen buchstäblich über den Horizont hinaus katapultiert. Ihre Strahlung kann uns dann nie mehr erreichen, denn der Raum zwischen ihnen und uns expandiert schließlich schneller als das Licht. Astronomen witzeln schon, dies sei das beste Argument dafür, jetzt enorme Mengen an Forschungsgeldern zu investieren, denn bald gäbe es kaum noch etwas zu sehen. „Bald” heißt in den Zeitmaßstäben, in denen Kosmologen zu denken gewöhnt sind, ungefähr hundert Milliarden Jahre. Dann hat sich die Materie im Universum so weit verdünnt, dass nur noch etwa 1000 Galaxien zu sehen sind – die Mitglieder unseres lokalen Galaxienhaufens und seiner engen Nachbarschaft. Die Nähe und Schwerkraft dieser Weltinseln ist so groß, dass die kosmische Expansion sie nicht zu trennen vermag. Aber alle anderen Galaxien verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Abraham Loeb von der Harvard University hat die düsteren Aussichten im Detail durchgerechnet und beschrieben, welche Konsequenzen das für unsere Sicht der Welt hat: „Das Erscheinungsbild der fernen Galaxien friert förmlich ein. Dieser Prozess ist analog zu dem, was man beobachtet, wenn eine Lichtquelle in ein Schwarzes Loch fällt: Überquert sie dessen Rand, den Ereignishorizont, scheint ihr Bild stillzustehen und verlöscht allmählich, weil uns kein neues Licht mehr erreichen kann.” Das bedeutet auch: Egal, wie lange man schaut, diese Objekte verändern sich nicht mehr, sie werden nur lichtschwächer. Wie die Leinwandhelden im Kino altern sie nicht. „Wir werden nicht mehr sehen, wie neue Sterne geboren werden oder alte sterben. Wir werden die Evolution der Galaxien nicht weiterverfolgen können”, schließt Loeb. „Die Menge an erfahrbaren Informationen über das ferne Universum ist begrenzt.” Der Physiker hat errechnet, dass wir beispielsweise das Licht eines gut zwölf Milliarden Lichtjahre entfernten Quasars – das ultrahelle Zentrum einer jungen Galaxie, die sich in diesem Fall etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gebildet hat – nur noch sechs Milliarden Jahre lang beobachten können. Dann ist es am Horizont gleichsam festgefroren. Dieser galaktische Schnappschuss wird sich daraufhin nicht mehr verändern. Wie die Galaxie aussieht, wenn sie das heutige Alter des Universums erreicht, würden unsere fernen Nachfahren also niemals wissen, selbst wenn sie den Quasar unendlich lange beobachten könnten. Das Schicksal des Lebens ist Gegenstand von noch unerfreulicheren Nachrichten. „Die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Weltraums legt nahe, dass wir in der schlechtesten aller möglichen Welten leben – jedenfalls im Hinblick auf die langfristige Zukunft des Lebens”, sagt Lawrence Krauss, Astronomie-Professor an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio. Zusammen mit seinem Kollegen Glenn D. Starkman hat er in einem viel beachteten Fachartikel mit dem Titel „Life, the Universe and Nothing” eine wahrhaft apokalyptische Vision skizziert: Selbst eine mit allen denkmöglichen technischen Raffinessen ausgestattete Zivilisation ist unweigerlich zum Aussterben verdammt. Irgendwann kommt auch ihr einfach die Lebensenergie abhanden. Dabei waren Kosmologen mit langfristigen Prognosen schon einmal optimistischer: In einem Fachartikel über die Physik und Biologie in fernster Zukunft hat der renommierte Physiker Freeman J. Dyson vom Institute for Advanced Studies in Princeton 1979 einen Blickwinkel erschlossen, der weit reichender nicht hätte sein können. Seine These: Betrachtet man Leben als Eigenschaft bestimmter informationsverarbeitender physikalischer Systeme, könnte es auch in Äonen noch fortbestehen, wenn längst alle Sterne verloschen sind. Es müsste vielleicht seine Gestalt wechseln – insbesondere dann, wenn die Protonen nicht stabil sind, sondern langfristig zerfallen –, könnte aber selbst bei geringsten Energiemengen mit Hilfe immer längerer „Winterschlaf” -Perioden am Leben bleiben und sich an diesem freuen. Krauss und Starkman gelangten zu einem anderen Ergebnis: „Lebensfunktionen basieren auf Energie und Information. Doch selbst in einem unendlichen Zeitraum kann nur ein endlicher Vorrat an Energie und Informationen angesammelt werden. Für das Leben bedeutet dies, dass es mit versiegenden Ressourcen, aber auch mit begrenztem Wissen zurechtkommen muss. Wir folgern daraus, dass unter diesen Bedingungen keine intelligente Lebensform auf Dauer existieren kann.” „Seit ich den Artikel las, habe ich mit Krauss und Starkman monatelang per E-Mail diskutiert”, sagt Dyson. „Jeder hat versucht, Löcher in die Berechnungen des anderen zu schlagen. Der Kampf ist noch nicht vorbei. Aber wir sind Freunde geblieben.” Der Kern der Kontroverse, so zeigte sich bald, ist die Frage nach dem fundamentalen Charakter des Lebens. Dyson glaubt, dass Leben analoger Natur ist, also auf kontinuierlichen Abläufen und Größen basiert, im Gegensatz zu einem Computer. Leben muss dabei nicht notwendig auf Kohlenstoff beruhen, sondern könnte zum Beispiel auch von denkenden Wolken aus subatomaren Partikeln realisiert werden, die über Radiowellen kommunizieren. Wenn Dyson Recht hat, reicht eine begrenzte Energiemenge aus fürs ewige Leben – die gesamte Strahlungsleistung unserer Sonne beispielsweise für eine Zivilisation unseres Typs. Die Energieverknappung könnte durch immer länger werdende Perioden von Inaktivitäten kompensiert werden – eine Art Winterschlaf. Auch wäre eine Informationsverarbeitung bis in alle Ewigkeit trotz begrenzter Ressourcen möglich. Krauss und Starkman gehen davon aus, dass Leben letztlich digital ist – also wie ein Computer mit diskreten Informationseinheiten (Bits) umgeht. Dann wird eine Energiekrise aber unvermeidlich, und selbst winzige Quanteneffekte können das Leben auslöschen. „Die Zivilisationen sind fundamental quantenphysikalisch. Mit einem begrenzten Reservoir an Materie und Energie gibt es nur eine begrenzte Zahl nutzbarer Quantenzustände. Jeder Gedanke erfordert mindestens die Verringerung eines Quantenzustands”, sagt Starkman und malt sich die Zivilisationsgeschichte als Abstieg von einer sehr langen Leiter aus. „Es mag ein weiter Weg nach unten sein, aber mit jedem Gedanken muss man mindestens eine Sprosse hinunterklettern, und schließlich geht es nicht mehr weiter.” Auch der Winterschlaf ist keine Lösung, denn die Wesen müssen immer wieder aufgeweckt werden. „Dazu sind immer bessere, energiesparendere Wecker nötig. Aber die Quantenphysik setzt ihrer Zuverlässigkeit Grenzen – irgendwann wird jeder Wecker defekt sein.” Außerdem: „ Energie-Ressourcen lassen sich nicht beliebig konzentrieren, ohne ein Schwarzes Loch zu bilden.” Und: „Selbst wenn die Lebensdauer einer Zivilisation endlos wäre, hätte sie nur eine begrenzte Anzahl verschiedener Gedanken.” Von Dysons subtilen Gegenargumenten ist Starkman nicht überzeugt. „Aber der Bursche ist sehr clever – vielleicht habe ich etwas übersehen.” Die Kontroverse trifft freilich nur für ein Universum zu, dessen Ausdehnung ewig währt, sich aber verlangsamt. Beschleunigt sie sich hingegen – da sind sich Dyson und seine Kontrahenten einig –, stehen die Chancen schlecht. Dann rasen dem Leben buchstäblich die Ressourcen davon. Außerdem sorgt die Dunkle Energie für eine Mindesttemperatur des Weltraums (de-Sitter- oder Gibbons-Hawking-Strahlung) von 10-29 Grad, die in einigen hundert Milliarden Jahren erreicht wird. Weiter kann kein lebendes System abkühlen und besitzt dann keine freie Energie mehr. Der universale Tod wäre somit unvermeidlich. „Es wäre töricht an ein bestimmtes Modell vom Universum zu glauben, denn unser Wissen von ihm ist noch sehr bruchstückhaft, und unsere Vorstellungen ändern sich schnell”, warnt Dyson jedoch vor voreiligen Schlussfolgerungen. Die Annahmen, auf denen sie basieren, sind nämlich nicht hieb- und stichfest. „Wahrscheinlich unterscheidet sich das Universum stark von unseren Modellen und enthält viele wunderbare Dinge, die wir uns noch gar nicht vorgestellt haben.” Die Dunkle Energie könnte sogar einen Ausweg bieten. Das hängt davon ab, was sich hinter ihr verbirgt. Die einfachste Erklärung ist die schon von Albert Einstein postulierte Kosmologische Konstante, eine Eigenschaft der Raumzeit selbst. Christof Wetterich von der Universität Heidelberg hat eine andere Erklärung vorgeschlagen: Ein bislang unbekanntes Quantenfeld, dessen Stärke im Gegensatz zur Kosmologischen Konstanten mit der Zeit abnimmt. Paul J. Steinhardt von der Princeton University ist einer der Hauptverfechter dieser Hypothese und hat das Feld „ Quintessenz” genannt. Er sieht darin ganz neue Chancen für die Zukunft des Kosmos: „Wenn die Quintessenz Ursache der beschleunigten Expansion ist, muss das Ende des Universums erst noch geschrieben werden. Denn das Feld könnte in neue Formen von Materie und Strahlung zerfallen, die den Weltraum wieder erfüllen.” Zwar ist die Dichte des Quantenfelds so gering, dass die aus ihrem Zerfall hervorgehende Materie vermutlich zu wenig Energie hätte, um größere Strukturen zu bilden. Bei geeigneten Randbedingungen könnten aber auch einzelne Materieblasen entstehen – weit voneinander entfernte Inseln im Kosmos, die von riesigen Leerräumen umgeben sind. Das Innere der Blasen wäre leer, aber in ihrer Wand könnten sich heftige Aktivitäten entfalten, denn dort ist fast alle Energie gespeichert. Sie würden sich ausdehnen und dabei die gesamte Energie aus dem Zerfall der Quintessenz aufnehmen. „Gelegentlich stoßen zwei Blasen mit einem fantastischen Feuerwerk zusammen”, malt sich Steinhardt diese seltsame Zukunft aus, bei der sich flecken- oder kreisförmige, viele Milliarden Lichtjahre voneinander entfernte Kollisionszonen bilden. „Dabei könnten massereiche Teilchen wie Protonen und Neutronen entstehen – vielleicht auch Sterne und Planeten. Für künftige Bewohner würde das Universum sehr ungleichförmig aussehen: Jahrmilliarden lang sähen sie nur ihre eigene Region.” Könnten sie jemals herausfinden, dass es einst Leben gab, das ausstarb, bis es mit einem Neuanfang eine zweite Chance bekam? „Dieses wiederbelebte Universum wäre ganz anders als heute. Seine Geschichte zu rekonstruieren, wäre wirklich eine große Herausforderung für diese Wesen.” Vielleicht hätte der Zerfall der Quintessenz noch andere Auswirkungen. Sogar ein Ende der beschleunigten Expansion des Weltraums ist denkbar. „ Womöglich ist die Dominanz der Dunklen Energie nur ein vorübergehendes Phänomen”, überlegt John D. Barrow von der Cambridge University. Andreas Albrecht und Constantinos Skordis von der University of California in Davis haben ein Modell entwickelt, bei dem sich die kosmische Ausdehnung wieder verlangsamt, falls das Quintessenz-Feld zerfällt. Möglicherweise hätten Zivilisationen, wenn sie bis dahin existieren, doch noch eine Chance, mit Hilfe sparsamer Haushaltsführung und immer längerer Winterschlaf-Perioden beliebig lange weiterzuleben – so, wie es Freeman Dyson beschrieben hat. Frank Tipler zufolge ist es nicht einmal ausgeschlossen, dass das ganze Universum zu einem Punkt kollabiert und sich selbst verschlingt – allerdings nur, wenn es nicht unendlich groß ist. Unter geeigneten Randbedingungen könnten hochentwickelte Zivilisationen den Endknall aufhalten oder so ausnutzen, dass er nicht ihr Todesurteil bedeutet, hat der Physiker von der Tulane University in New Orleans schon vor einigen Jahren in seinem umstrittenen Buch „Die Physik der Unsterblichkeit” verkündet. Die mathematisch sehr flexiblen Quintessenz-Modelle eröffnen sogar für ein unendliches, beschleunigt expandierendes Universum die Möglichkeit eines bombastischen Finales. Dann würde das Universum nicht in einem lang gezogenen Wimmern, sondern mit einem furiosen Endknall aufhören. De-Hai Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking zufolge könnte das Quintessenz-Potenzial ähnlich wie ein Wasserfall verlaufen: Es führt nach einiger Zeit zu einer Verzögerung der Expansion und schließlich zum Kollaps des Universums. Je-An Gu und W.-Y. Pauchy Hwang von der Universität Taiwan in Taipei haben ein Modell entworfen, in dem die Quintessenz eine zusätzliche negative Kosmologische Konstante verdeckt. Diese käme zur Wirkung, wenn die Quintessenz zerfiele, und würde das Universum unweigerlich zum Zusammensturz bringen. Der Big Crunch („das große Knirschen”), wie der Endknall im Kosmologen-Jargon auch heißt, bedeutet nicht notwendig den Exitus. Paul Steinhardt hat zusammen mit Neil Turok von der University of Cambridge kürzlich ein neues Modell entwickelt. Bei diesem Zyklischen Universum sorgt die Quintessenz für einen neuen Urknall nach dem Kollaps, sodass das Weltall in einer ewigen Wiederkehr zwischen Ur- und Endknall oszilliert und als unendliche Folge des Werdens und Vergehens seiner Materie in Raum und Zeit weder Anfang noch Ende hat.

Kompakt

Weil der Weltraum sich immer schneller ausdehnt, verschwinden langfristig fast alle Galaxien außer Sichtweite. Hört diese beschleunigte Expansion niemals auf, sind die Überlebenschancen der Intelligenzen im All verheerend. Wenn die mysteriöse Dunkle Energie allerdings aus „Quintessenz” besteht, ist ein furioser Neubeginn möglich.

Rüdiger Vaas

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