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Von Glutpilzen und heißen Flecken

Allgemein

Von Glutpilzen und heißen Flecken
Tief im Inneren der Erde wachsen gewaltige „Glutpilze”, die ganze Kontinente bersten lassen. Forscher sind auch unter Deutschland auf heißer Spur.

Der Sage nach soll die hawaiianische Vulkangöttin Pele einst durch ihre ältere Schwester von der nordwestlichsten bewohnten Hawaii-Insel Kauai vertrieben worden sein. Sie flüchtete über Oahu und Maui bis zur Hauptinsel Hawaii, wo sie angeblich noch heute im Vulkan Kilauea haust. Die Geowissenschaftler widersprechen im Prinzip nicht: Die Vulkane der Hawaii-Inselkette sind tatsächlich um so jünger, je näher man der Hauptinsel kommt. Die Forscher glauben allerdings nicht an eine vertriebene Göttin, sondern nach ihrer Überzeugung sitzt unter Hawaii ein so genannter Plume: ein riesiger Kanal, in dem heißes Material tief aus dem Erdinnern aufsteigt und sich seinen Weg durch die „ Pazifische Platte” brennt, während diese sich dabei nach Nordwesten schiebt. Hawaii gilt als „Hot Spot”, als „heißer Fleck” der Erde. Woher ein solcher Plume seinen Nachschub bezieht, ist unter Geowissenschaftlern umstritten. Manche mutmaßen die Quelle an der Grenze zwischen oberem und unterem Erdmantel in etwa 660 Kilometern Tiefe. Andere glauben, dass die heiße Schmelze aus noch größeren Tiefen stammt: von der Grenze zwischen Erdkern und Erdmantel in 2900 Kilometer Tiefe. Eine neue Untersuchung von Lavagestein aus Hawaii spricht für den tiefen Ursprung. Alan Brandon von der Universität von Maryland fand mit seinen Kollegen in dem Gestein geringe Anteile des Metalls Osmium, dessen Isotopen-Zusammensetzung genauso ist, wie man es von Gestein erwartet, das von der Kern-Mantel-Grenze stammt. Zur Erklärung: Die verschiedenen Isotope eines Elements haben eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen im Atomkern. Und in der speziellen Isotopen-Zusammensetzung eines Gesteins spiegelt sich dessen Entstehungsgeschichte. Die Forscher schließen aus ihren Messungen, dass dem Lavagestein etwa ein Prozent an Erdkernmaterial beigemischt ist. Plumes gibt es aber nicht nur unter dem fernen Hawaii, sondern quasi auch unter unserer Haustür. Kürzlich wiesen Forscher der Universität Utrecht durch die Untersuchung der Geschwindigkeit von Erdbebenwellen einen „ Riesenplume” unter Mitteleuropa nach: Mit dem Zentrum unterhalb des Städtedreiecks Saarbrücken–Frankfurt– Stuttgart soll dort in einer Tiefe zwischen 660 und 2000 Kilometer auf einem rund 500 Kilometer im Durchmesser großen Gebiet die Temperatur um 100 bis 200 Grad erhöht sein. Dieser Superplume könnte einige andere europäische Plumes speisen, darunter den „Eifel-Plume”, den Geowissenschaftler um Ulrich Christensen, Professor an der Universität Göttingen, ebenfalls vor kurzem auf Grund seismischer Messungen nachgewiesen haben. Ab einer Tiefe von 70 Kilometern fanden die Forscher einen rund 100 Kilometer breiten „Kanal”, in dem die Temperatur um etwa 150 Grad erhöht ist. Mit ihrer Messmethode konnten sie den Eifel-Plume bis in eine Tiefe von 400 Kilometern verfolgen. Die Wissenschaftler halten es aber für möglich, dass der Eifel-Plume weiter bis zum europäischen Riesenplume hinabreicht. Eine Pariser Forscherin hat jetzt Plumes kurzerhand im Labor nachgebaut. Anne Davaille vom Institut de Physique du Globe de Paris füllte eine Art Aquarium mit zwei Flüssigkeitsschichten unterschiedlicher Dichte, die sie aus Wasser, Salz und Zellulose zusammenmischte. Als sie das Aquarium von unten erhitzte, entstanden pilzförmige Gebilde in der unteren Schicht, die nach oben wuchsen – die „Superplumes”. Aus dem Dach der Pilze strebten dünne Schläuche bis zur Oberfläche. Davaille rechnete die Größenverhältnisse vom Labor auf die Erde um – und postulierte einen Durchmesser von 1000 bis 6000 Kilometer für einen irdischen Superplume. Das ist natürlich sehr gewagt, weil „ die Größe des Superplumes von den Eigenschaften des Erdmantels abhängt, die wir nur schlecht kennen”, meint Roger Larson, Professor an der Universität von Rhode Island. Trotzdem hält er das Modell im Prinzip für plausibel. „Ein solcher Riesenplume könnte zum Beispiel erklären, warum das Ontong-Java- und das Manihiki-Plateau im Pazifik ähnlich alt sind, obwohl sie 4000 Kilometer weit auseinander liegen. Bisher musste man annehmen, dass sie von zwei verschiedenen Plumes gespeist wurden, die zufällig gleichzeitig aktiv waren.” Larson hatte bei einer statistischen Untersuchung des Alters von Ozeanbodengestein herausgefunden, dass vor 120 Millionen Jahren ein Zeitabschnitt begann, in dem viel neue Ozeankruste gebildet wurde. Erst vor etwa 30 Millionen Jahren ging er zu Ende. Vor allem auf dem Pazifikboden finden sich viele Basaltplateaus und Gebirgsketten, die in diesem Zeitraum entstanden sind. Möglicherweise ist ein Superplume die Erklärung. Larson macht einen Superplume auch für das Auseinanderbrechen des Superkontinents Pangäa vor rund 190 Millionen Jahren verantwortlich. 10 Millionen Jahre davor kam es in den damals noch zusammenhängenden Kontinenten Nordamerika, Afrika und Südamerika zu gewaltigen Vulkanausbrüchen. Larson: „ Ich kann mir keine andere Kraft vorstellen, die eine so riesige Landmasse bersten ließe.” Larson vermutet, dass sich derzeit unter Afrika ein neuer Superplume entwickelt: „Die seismischen Daten sprechen dafür.” Das riesige heiße Gebilde soll am unteren Erdmantel unter Südafrika beginnen. Weiter oben biegt es nordöstlich ab und endet unter Ostafrika, wo es sich durch ausgeprägten Vulkanismus bemerkbar macht. Der östliche Teil Afrikas – die Somalische Platte – wird sich hier voraussichtlich in einigen Millionen Jahren vom Rest des Kontinents abspalten. Alessandro Forte von der Universität von Westontario und Jerry Mitrovica von der Universität Toronto fanden vor kurzem ein anderes Indiz für die Existenz eines afrikanischen Superplumes und eines weiteren Superplumes unter dem Südwestpazifik: Die Erde weist ein leichtes „Flattern” bei ihrer Drehung auf, das auf eine Unwucht zurückgeht. Daraus lässt sich berechnen, dass der Erdkern um etwa 500 Meter abgeplattet ist. Wenn sich die beiden Superplumes in der Äquatorebene genau gegenüberliegen, müssten sie den Erdkern etwas in die Länge ziehen. Denn wegen der höheren Temperatur sind die Plumes leichter als ihre Umgebung. Wegen des daraus resultierenden Auftriebs wird der Erdkern unterhalb der Superplumes weniger stark zusammengedrückt als an anderen Stellen. Wie Forte und Mitrovica berechneten, ergeben die aus seismischen Untersuchungen abgeleiteten Temperaturen tatsächlich die gemessene Abplattung von 500 Metern. Saskia Goes, die zusammen mit ihren Utrechter Kollegen den europäischen Riesenplume entdeckte, glaubt, dass die beiden Plumes in der Äquatorebene eine Nummer größer und heißer sind als „ihr” Europa-Plume: „Wenn es für die großen Plumes in Anne Davailles Laborexperiment heute in der Erde irgendeine Entsprechung gibt, dann sind die beiden Superplumes unter Afrika und dem Südwestpazifik dafür die einzigen Kandidaten. Aber man muss nicht befürchten, dass der Europa-Plume den Kontinent auseinander brechen lässt.” Ungerührt von den Bemühungen der Wissenschaftler geht in Hawaii die Flucht der Vulkangöttin weiter. 35 Kilometer südlich von Hawaii ist der Unterwasservulkan Loihi bereits drei Kilometer hoch gewachsen. Noch ein Kilometer bis zur Wasseroberfläche – und die nächste Insel der Hawaii-Kette wird geboren.

Axel Tillemans

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