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Die Schokoladenseite des Herzens

Allgemein

Die Schokoladenseite des Herzens
Die meisten Mütter liebkosen ihre Kinder links. Warum?

Ausgerechnet die „Königin der Herzen”, Lady Diana, hatte das Herz am falschen Fleck: Wenn sie Kinder liebkoste, drückte sie diese meist an ihre rechte Körperseite. 77 Prozent aller Frauen herzen ihre Kinder links. Da die meisten Menschen Rechtshänder sind, wird im Alltag überwiegend mit Rechts agiert. Die frappierende Ausnahme beim Kinder-Liebkosen fand in den sechziger Jahren der amerikanische Kinderarzt Lee Salk. Der Trend bestätigte sich in allen bisher untersuchten Kulturen, selbst bei der Auswertung von Gemälden aus verschiedenen historischen Epochen kam er zutage. Und Mädchen hätscheln bereits ihre Puppen am liebsten links. Das nahe liegende Argument, Frauen drückten ihre Kleinen ans Herz, um die rechte dominante Hand für wichtige Tätigkeiten frei zu halten, wird durch Studien an Linkshändern widerlegt: Auch die sind beim Kosen eher links gepolt. Salk leitete aus diesen Befunden eine These ab, die Dogma-Charakter bekam. Das Ungeborene habe sich im „Nirwana des Mutterleibes” an den beruhigenden Herzschlag der Mutter gewöhnt. Darum drückten Mütter ihre Kinder instinktiv an die linke Seite. Dort würden sie durch den Sound des Herzens eingelullt. Dann kam der Clou: Mütter, die direkt nach der Geburt von ihren Sprösslingen getrennt wurden, büßten – so schien es – die Linkslastigkeit beim Herzen ein. Während 77 Prozent der Frauen, die ununterbrochenen Kontakt mit den Neugeborenen hatten, diese an die linke Seite drückten, sank diese Anlege-Quote bei den vorübergehend getrennten auf 53 Prozent. Doch jetzt erheben Wissenschaftler massive Einwände gegen die Salk-These. Der britische Psychologe Oliver H. Turnball von der University of Wales in Bangor und seine südafrikanische Kollegin Marilyn D. Lucas von der University of the Witwatersrand in Johannesburg monieren, dass die Experimente nicht „blind” gewesen seien – die Testteilnehmer wussten über die Theorie Bescheid. Kein unerhebliches Manko, denn bei späteren, „blind” ausgeführten Wiederholungsstudien blieb der beruhigende Effekt der Herztöne auf Kleinkinder völlig aus. Andere Unstimmigkeiten wiegen womöglich noch schwerer. Auch erblich taube Kinder, die nie in den Genuss des mütterlichen Herzschlages gekommen waren, werden von ihren Müttern links gedrückt. Die einzige auffindbare Mutter, deren Herz aufgrund einer anatomischen Laune auf der rechten Seite lag, drückte den Nachwuchs dennoch links. Es ist aber auch deshalb fragwürdig, den Linksdrall dem beruhigenden Herzschlag zuzuschreiben, weil dieser Takt – nach akustischen Messungen – aus der Mitte des Brustkastens ertönt. Abgesehen von der Frage, ob dieser Rhythmus für ein gehätscheltes Baby überhaupt vernehmbar ist. Es stimmt auch nicht, dass eine vorübergehende Trennung von Mutter und Baby den Linkstrend und damit die frühe Bindung zerstört. Die Mehrheit der vorübergehend entzweiten Mütter drückte ihr Neugeborenes in den neueren Studien links. Hinzu kommt, dass auch die Frauen ohne eigenen Nachwuchs Kinder überwiegend links halten. Selbst sechsjährige Mädchen drücken Babys zu 79 Prozent links ans Herz. Wegen dieser neuen Befunde ist die Wissenschaft von der Herzschlag-These abgerückt. Jetzt steht die „zerebrale” Erklärung hoch im Kurs: Mütter halten ihr Baby auf der linken Seite, weil sie es dann mit der emotionalen – rechten – Hälfte des Gehirns „ sehen”. So entwickeln sie demnach einen besseren Draht zu ihm. Doch auch diese Theorie ist nun abgestürzt, betonen die beiden Schmuseforscher Turnball und Lucas. Sie haben in umfangreichen Versuchsreihen getestet, mit welcher Hirnhälfte Frauen emotionale Reize aufnehmen. Zwischen diesem Seitenschwerpunkt und der Lieblingsseite für das Liebkosen bestand nicht der geringste Zusammenhang. Zudem wurden die Kosevorlieben von blinden und tauben Frauen abgecheckt. Fazit: Auch diese Frauen hielten ihre Kinder links. Bleibt nur ein unbefriedigendes Resümee: Es existiert ein starker und robuster Trend, Kinder an die linke Brust zu drücken. Aber es gibt keine überzeugende Theorie, die diese herzliche Vorliebe erklärt. Und es bleibt ein Rätsel, was diese These über Lady Di aussagt, die Kinder auf 75 Prozent aller Bilder an die „falsche” Seite drückt. Wie sieht das Ganze eigentlich bei Männern aus?

Rolf Degen

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