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Ellipsen in der Bar

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Ellipsen in der Bar

Ostern ist Hochsaison im Vatikan. Hunderttausende von Gläubigen pilgern nach Rom, um dabei zu sein, wenn der Papst seinen Segensspruch „urbi et orbi“ über das weite Rund des großen Platzes vor dem Petersdom spendet. Der Petersplatz wurde von Gian Lorenzo Benini 1556 so geplant, dass er eine riesige Menge Menschen aufnehmen kann. Dabei wirkt er erhaben und erhebend, aber nicht erdrückend. Das liegt unter anderem an seiner Form. Er ist kein Quadrat mit klarem Rechts und Links, Vorne und Hinten. Er rundet sich auch nicht zum Kreis, der ganz gleichmäßig ist, sondern er weitet sich zur Ellipse – ebenfalls von edelstem Rund. Die Ellipse ist eine schön ausbalancierte Form: rechts und links, oben und unten jeweils gleich gekrümmt. Keine Ecken und Kanten, aber breiter als hoch. Denn an normalen Tagen hat der Platz die Aufgabe, die Menschen zum Petersdom zu führen. Man erkennt einen weiteren Trick des Architekten: Der Platz führt nicht in Längsrichtung auf den Petersdom zu, sondern weitet sich zunächst in Querrichtung, um dann umso deutlicher auf den Petersdom zuzuführen. Nach dem Segen haben die meisten Gläubigen vermutlich auch weltliche Bedürfnisse. Sie gehen in eine der vielen Trattorias und essen dort zu Mittag. Vorher nehmen sie in einer der noch zahlreicheren Bars einen Aperitif zu sich. Die Pilgerin wird vielleicht ihr zylinderförmiges Glas mit Orangensaft nach den ersten Schlucken schräg vor sich halten, ihr Begleiter seinen Spumante aus einem kegelförmigen Glas schlürfen. Beide sehen, dass die Oberfläche ihres Getränks nicht mehr kreisförmig ist, sondern oval. Vielleicht erinnert sie das an die Form des Petersplatzes. Tatsächlich handelt es sich mathematisch gesehen jedes Mal um das gleiche Objekt: eine Ellipse. Die Ellipse in der Bar kann geradezu als mathematische Definition dieser geometrischen Form angesehen werden. Ellipsen sind so genannte Kegelschnitte. Das bedeutet: Man erhält eine Ellipse, wenn man einen Kegel geradlinig, aber nicht waagerecht, durchschneidet. Nun werden wir ein schönes kegelförmiges Sektglas nicht durchschneiden. Aber der gleiche Effekt entsteht, wenn man das Glas schräg hält und den Flüssigkeitsspiegel betrachtet: Die Oberfläche des Spumante bildet eine Ellipse. Warum aber ist auch die Oberfläche der „arrangiata“ in dem zylinderförmigen Glas eine Ellipse? Das liegt daran, dass ein Zylinder der Grenzfall eines Kegels ist: Wenn wir – gedanklich – die Spitze eines Kegels immer weiter weg ziehen, wird der Kegel immer spitzer, seine Außenfläche immer steiler, immer zylinderförmiger. Im Grenzfall, wenn die Spitze „im Unendlichen“ liegt, erhalten wir einen Zylinder. Übrigens: Wenn Sie sich ein schräg gehaltenes Sektglas genau ansehen, glauben Sie vielleicht, dass die entstandene Fläche gar keine Ellipse, sondern eher eiförmig ist – unten spitzer und oben flacher. Wenn Sie das glauben, sind Sie in bester Gesellschaft. Selbst der große Albrecht Dürer, dem man nun mangelnde Raumvorstellung nicht vorwerfen kann, war dieser Ansicht. Er hat sogar „Konstruktionszeichnungen“ angefertigt, mit denen scheinbar die Eiform eines Kegelschnitts bewiesen wurde. Aber hier irrte Dürer. Das schräg gestellte Sektglas liefert wirklich eine Ellipse, also eine Kurve, die nicht nur oben und unten, sondern auch rechts und links gleich aussieht, eine Kurve mit zwei Symmetrieachsen.

Prof. Albrecht Beutelspacher

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