Ärzte erkennen oft viel zu spät, dass ein Patient alkoholabhängig ist. Das kritisiert Karl Mann von der Universität Tübingen, Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Suchtforschung in der Bundesrepublik. „Das Thema Sucht wird in der Ausbildung vernachlässigt“, stellt der Experte fest. „Dabei kann schon die richtige Diagnose und ein Beratungsgespräch das Verhalten von alkoholkranken Menschen ändern.“ Mann geht davon aus, dass deutsche Krankenhäuser mit mehr als 20 Prozent Alkoholikern belegt sind, deren Organe durch den Missbrauch geschädigt sind. Allerdings werde nur die Hälfte richtig diagnostiziert. Dabei ist Alkoholabhängigkeit im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten relativ günstig zu heilen. Aber nur 20 Prozent der etwa zwei Millionen Alkoholkranken in Deutschland lassen sich stationär behandeln. Weltweit liegt Deutschland in Sachen Alkohol in der Spitzengruppe: Mann schätzt, dass zu den zwei Millionen Abhängigen fast drei Millionen so genannte Alkoholmissbräuchler und fünf Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum kommen. Laut Statistik senkt Alkoholismus die Lebenserwartung um 15 Jahre, jeder siebte Abhängige begeht Selbstmord. Außerdem kommen 3 von 1000 Kindern behindert auf die Welt, weil die Mütter während der Schwangerschaft Alkohol tranken.
Hans Groth