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Die Crux mit dem Kreislauf

Allgemein

Die Crux mit dem Kreislauf
Nachhaltige Entwicklung, Kreislaufwirtschaft, Recycling: Das scheinen die Synonyme für eine lebenswerte Zukunft zu sein. Doch all das kommt nur sehr langsam voran. Oder es geht schief – wie die deutsche Kunststoffmüll-Trennerei.

„Bei der gegenwärtigen Verbrauchssteigerung reichen die Rohstoffvorräte für Aluminium nur noch 31 Jahre, für Kupfer 36 Jahre … Silber, Zink und Uran können noch in diesem Jahrhundert knapp werden.“ Eine Horrorbotschaft. Denn mit „in diesem Jahrhundert“ ist gemeint: bis zum Jahr 2000. Das Zitat steht im 1972 erschienenen Bestseller „Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadows. 30 Jahre ist es her, dass der amerikanische Wissenschaftler in seinem Bericht an den Club of Rome Nachhaltigkeit forderte – einen schonenden Umgang mit den Ressourcen des Blauen Planeten. Andernfalls seien schon in wenigen Jahrzehnten die Rohstoffe erschöpft und die Umwelt durch Abfälle verpestet. „Nachhaltigkeit“ ist heute in nationalen und internationalen Umweltdebatten das Schlüsselwort. Die frühere norwegische Regierungschefin Gro Harlem Brundtland lieferte auf der Welt-Umweltkonferenz 1987 in Montreal eine Definition, die bis heute zitiert wird: Eine nachhaltige Entwicklung solle den Bedürfnissen der heutigen Generation entsprechen – aber nur insoweit, wie künftige Generationen nicht darin beschnitten würden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil frei zu wählen. „Eine nachhaltige Entwicklung ist das entscheidende politische Konzept für das 21. Jahrhundert“, bekennt sich auch der Ulmer Forscher Prof. Franz Josef Radermacher in seinem neuen Modell („10 ~ 4 : 34″, ab Seite 78) zu diesem Gedanken: „Nur sie kann das Wachstum sichern, ohne Umwelt und Ressourcen zu plündern und gesellschaftliche Probleme zu schüren.“ Apropos Plünderung: Die drei Jahrzehnte seit Meadows‘ Warnung sind um, das Jahr 2000 liegt hinter uns. Wo ist die beschworene Rohstoffknappheit geblieben? „Manche Wissenschaftler tendieren dazu, Probleme zu dramatisieren“, kommentiert Dr. Manfred Dalheimer, Wissenschaftlicher Direktor in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. „Dann erhalten sie mehr Aufmerksamkeit und natürlich auch mehr Mittel, um darüber zu forschen.“ Was die nicht eingetretene Metallknappheit betrifft, lässt der BGR-Experte Milde walten: Meadows habe damals etwas naiv argumentiert. Bergbaufirmen würden bei tief liegenden Erzvorkommen – zum Beispiel Kupfer, Blei oder Zink – aus Kostengründen lediglich so viele Reserven prospektieren, dass die Förderung für die nächsten 10 bis 25 Jahre gesichert ist. „Solche Rohstoff-Zeithorizonte sind neben den geologischen Voraussetzungen meist ein Ausdruck der Explorationswilligkeit von Staat und Privatwirtschaft“, resümiert Dalheimer. „Aber wir sollten sowieso aufhören, uns einfach zu fragen, wo wir morgen genügend Kupfer und Chrom herkriegen. Denn was wir in Wahrheit brauchen, sind nicht die Rohstoffe, sondern deren Funktionen. Die richtige Frage muss lauten: ,Wie lange finden wir mit den verfügbaren Mitteln die Lösungen für die Funktionen, die wir brauchen?“ Wenn auch „Grenzen des Wachstums“ von falsch gestellten Fragen ausging, legt Dalheimer Wert auf die Feststellung: „Das Meadows-Buch von 1972 war verdienstvoll und wichtig. Es hat einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, dass die irdischen Rohstoffe nicht für immer selbstverständlich verfügbar sind. Zuvor hatten sich höchstens ein paar Insider darüber Gedanken gemacht.“ Dr. Karl-Otto Henseling, beim Umweltbundesamt (UBA) in Berlin zuständig für das Thema Stoffstrom-Management, macht sich Gedanken anderer Art. „ Uns beim Umweltbundesamt geht es nicht darum, was wann knapp werden könnte. Uns beschäftigt das Raubbau-Syndrom – die nicht mehr erträgliche Übernutzung der Umwelt.“ 1996 definierte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Jahresgutachten 16 „Syndrome“ – typische ökologische „Krankheitsbilder“ der Erde. Eines davon beschreibt rigorose Flächenzerstörung und den Verlust von Naturräumen. So etwas kann die Folge von rücksichtsloser Rohstoffgewinnung sein – ein Fall von „Raubbau-Syndrom“. Am Beispiel Kupfer macht Henseling klar, um welche Dimensionen es geht: „In Deutschland wird jährlich etwa 1 Million Tonnen Primär-Kupfer – nicht rezykliertes Kupfer – verarbeitet. Der Abbau des Kupfererzes zieht in den Förderländern die bis zu 400fache Menge an Abraum etcetera nach sich – also 400 Millionen Tonnen. Das ist nahezu die Größenordnung sämtlicher Baurohstoffe, die in ganz Deutschland innerhalb eines Jahres bewegt werden.“ In den westlichen Industrienationen folgt heute auf landschaftsverbrauchende Rohstoffgewinnung meist die Rekultivierung. Anderswo auf der Welt geht es anders zu. BGR-Wissenschaftler Manfred Dalheimer sieht allerdings positive Effekte der Globalisierung: „Die großen, internationalen, börsennotierten Firmen können sich heute Umweltschäden in ihren Minen nicht mehr leisten. Das gibt eine schlechte Presse und ist schädlich für den Aktienkurs. Eher sind es jetzt die mittelgroßen und kleinen Bergbaufirmen in den Entwicklungs- und den ehemaligen Staatshandelsländern, die aus Mangel an Infrastruktur oder infolge von Korruption Umweltzerstörungen verursachen.“ Doch warum immer neues Erz schürfen und die Erde aufgraben – warum nicht Metalle aus gebrauchten Produkten sammeln, wie das seit Urzeiten Schrotthändler mit Alteisen tun, und sie wiederverwerten? Teilweise geschieht das durchaus, erläutert Dalheimer: „In Deutschland liegen die Recycling-Raten bei den gängigen Metallen um 50 Prozent – bei Kupfer sind es derzeit 52 Prozent. Da ist noch Potential zur Steigerung. Aber das hängt von jedem Einzelnen, vom politischen Willen und von den daraus resultierenden Rahmenbedingungen ab.“ Am politischen Willen scheint es in der deutschen Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts nicht zu mangeln. Immerhin trat 1991 die „Verpackungsverordnung“ und 1996 das „Kreislauf- und Abfallwirtschaftsgesetz“ in Kraft: Deutschland als Welt-Musterknabe im Umweltschutz trat an, um vorzuexerzieren, wie Rohstoffe eingespart und gleichzeitig Abfallberge abgetragen werden. Der „Grüne Punkt“ und das schon 1990 ins Leben gerufene „Duale System Deutschland“ (DSD) – eine Non-Profit-Organisation, die Lizenzen an verpackende Unternehmen vergibt und das eingenommene Geld an Entsorgungsfirmen weiterleitet – sollten den Verpackungsmüll in den Griff bekommen. Vermeidung, Wiederverwendung und anderenfalls Verwertung in „ werkstofflichem“ oder „rohstofflichem“ Recycling heißen seitdem die offiziellen Ziele. Dem Bundesbürger wurde eingeimpft, nicht nur – wie bisher schon – Altglas und Altpapier, vom Hausmüll getrennt, einem Entsorger anzuvertrauen. Auch seine Ölsardinendosen und Romadurverpackungsfolien hat er seitdem separat im „gelben Sack“ oder in der „gelben Tonne“ zu verstauen, damit aus vormaligem Müll neue Produkte werden. Eine Erfolgsstory im Geiste der Nachhaltigkeit? „Deutschland hat Fortschritte gemacht“, zieht Karl-Otto Henseling vom Umweltbundesamt eine Zwischenbilanz. Doch er räumt sofort ein, man sei von einer nachhaltigen Stoffwirtschaft noch weit entfernt: „Von der Masse sämtlicher Stoff- und Güterströme – ausgenommen Luft und Wasser – in den Industrieländern fließt derzeit ein Anteil von nur drei Prozent nach Gebrauch wieder in die Volkswirtschaft zurück. Von ,Kreislaufwirtschaft‘ kann also höchstens ansatzweise die Rede sein.“ Einen noch kritischeren Blick wirft Dr. Henning Friege auf die deutsche Szene: „Es gehört zur Political Correctness hierzulande, so zu tun, als mache das Abfallrecycling gute Fortschritte. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.“ Vor allem die Entsorgung der leichten Verkaufsverpackungen – das, was der Bürger daheim in den gelben Sack oder die Wertstofftonne sortiert – bezeichnet er als Problemfall. Friege, gelernter Chemiker, hat die deutsche Umweltszene aus unterschiedlichen Blickwinkeln kennen gelernt. Seit 1980 ist er beruflich im Umweltschutz engagiert – zeitweise auch ehrenamtlich im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). 1990 wurde er Dezernent für Umweltschutz der Stadt Düsseldorf. 1998 wechselte er in die Rolle des Firmenchefs: als Sprecher der Geschäftsführung bei der Awista GmbH. Das Düsseldorfer Entsorgungsunternehmen zählt mit seinen Beteiligungen 1200 Beschäftigte und macht einen Jahresumsatz von 150 Millionen Euro. Als intimer Kenner des Müllgeschäfts bezeugt Friege: „Das Sammeln und Trennen des kleinteiligen Kunststoffmülls, der den Entsorgern in den gelben Tonnen oder Säcken angeliefert wird, ist mit zirka 1000 Euro pro Tonne schlicht zu teuer.“ Zum Vergleich nennt er die Entsorgungskosten für normalen Restmüll: um 250 Euro pro Tonne. Das schlägt sich in den Kosten nieder, die anteilig als Müllgebühr an den Bürger weitergegeben werden. Der normale Düsseldorfer Haushalt bezahlte im Jahr 1998 – für dieses Jahr liegen exakte Berechnungen vor – für die Entsorgung der „gelben Tonne“ rund 25 Euro. Das waren 40 Prozent der jährlichen Müllgebühr für nicht einmal 12 Gewichtsprozente des Mülls. Und es birgt Überraschungen, wenn der mühsam getrennte, gesammelte und transportierte „Wertstoff“ schließlich beim Entsorger auf den Schüttelrost fällt. „Sortierrest“ heißt schamhaft der Anteil, der unbrauchbar ist und seinerseits vom Entsorger entsorgt werden muss. „Auch wenn sauber gesammelt wurde, vor allem in ländlichen Gegenden, sind das trotzdem noch 20 bis 30 Prozent“, weiß Friege. In Großstädten beträgt der Verschmutzungsgrad sogar bis zu 50 Prozent. Wenn wenigstens der Rest werkstofflich verwertbar wäre – also das Material einer Polystyrol-Verpackung wieder als Polystyrol-Gegenstand in den Stoffkreislauf eingeschleust würde. Doch auch diese Illusion fegt der Awista-Chef vom Tisch: „Es ist noch unwirtschaftlich, kleinteiligen Kunststoffmüll nach Werkstoffen zu sortieren und dann werkstofflich zu rezyklieren.“ Das lohnt sich nur bei großen, wenig verschmutzten Teilen wie großflächigen Folien und Plastikflaschen, klärt Friege auf. Die kleinen Teile werden also gleich ausgesiebt und wandern als Brennstoff in Zementwerke oder als Kohlenstoffquelle in Hochöfen, anstelle von Kokskohle. Dabei wird letztlich der Energieinhalt des Erdöls genutzt, aus dem die betreffenden Kunststoffprodukte fabriziert wurden. Für das gesamte Procedere – im Jahr 2000 wurden über das Duale System Deutschland 589000 Tonnen Kunststoffverpackungsmüll umgewälzt – werden jährlich rund 2 Milliarden Euro bewegt. Lohnt sich das, wenn schon ökonomischer Luxus, am Ende wenigstens ökologisch? Der Düsseldorfer Experte winkt ab und verweist auf die Ergebnisse von Ökobilanzen: „Das rohstoffliche und energetische Recycling von leichten Kunststoffverpackungen schneidet nicht besser ab, als wenn diese Verpackungen direkt in den Hausmüll und dann in die Müllverbrennung gewandert wären.“ Diese Erkenntnis schlug sich 2000 in einigen Positionspapieren nieder, unter anderem vom Verband kommunaler Unternehmen. Darin wird gefordert: Die getrennte Erfassung der Leichtverpackungen soll auf die werkstofflich verwertbaren großen Stücke – etwa 25 Prozent des derzeit anfallenden Kunststoffmülls – beschränkt werden, die der Bürger an qualifizierten städtischen Sammelstellen abgeben kann. Die kleinteiligen Stücke jedoch sollen gleich im Restmüll abgeholt und mit ihm zusammen verbrannt werden. Die Kosten für dieses ökologisch gleichwertige Verfahren betrügen etwa 350 Euro pro Tonne – weniger als ein Drittel der heutigen Aufwendungen für den gleichen Umweltnutzen. Protestiert das Umweltbundesamt beim Reizwort „Verbrennung“? Mitnichten. „Aus modernen Müllverbrennungsanlagen“, sagt Karl-Otto Henseling, „kommen keine Dioxine und Furane mehr heraus. Aus meiner Sicht ist es heute kein Problem mehr, kleinteiligen Kunststoffmüll zu verbrennen – dabei wird schließlich auch dessen hoher Energieinhalt genutzt.“ Warum tut man es dann nicht einfach? Warum eigentlich sollen Deutschlands Hausmänner und -frauen weiterhin fettige Wursteinwickelfolien in den gelben Sack stopfen? 1999 hatten die rot-grünen Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag angekündigt, man wolle die Verpackungsverordnung entschlacken und sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoller gestalten: eine Chance, das deutsche Luxussystem auf ein vernünftiges Maß zurückzuschneiden. Doch bis dato lässt die Entschlackung auf sich warten. Nur Optimisten glauben, im Wahljahr 2002 werde ein solcher Brocken noch in Angriff genommen. Ein nachhaltiges Ärgernis – auf dem deutschen Sonderweg zur Nachhaltigkeit. Und wenn schon das reiche und umweltkompetente Deutschland sich damit so schwer tut: Wie mag es dann im Rest der Welt darum bestellt sein?

Kompakt

Trotz intensiver Rohstoffgewinnung ist es, anders als 1972 in „ Grenzen des Wachstums“ vorhergesagt, nicht zu Rohstoffmangel gekommen. Kreislaufwirtschaft ist heute in Deutschland ein gesetzlich verankertes Ziel – für bestimmte „Wertstoffe“. Doch das Recycling vor allem von Kunststoffabfällen zieht Kritik auf sich.

Thorwald Ewe

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