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Der Lange Marsch in die Öko-Welt

Allgemein

Der Lange Marsch in die Öko-Welt
Die Fortschritte im Umweltschutz springen nicht sofort ins Auge. Sie sind dennoch vorhanden. Das ökologische Bewusstsein wächst drei Jahrzehnte „nach Meadows” weiter.

Uwe Möller verteilt schlechte Zensuren: Mit „vier minus” benotet der Generalsekretär des Club of Rome die Umsetzung von Umweltschutzideen in die alltägliche Praxis. „Es ist unbefriedigend.” Erhard Eppler ist auch nicht gerade euphorisch: „ Es gibt heute so etwas wie ein ökologisches Bewusstsein, aber es kapituliert zu schnell vor der Ökonomie”, analysiert der Mann, der für die SPD einst die ökologischen Grundlagen legte. In der Tat mutet die deutsche Situation, 30 Jahre nach Meadows, schizophren an: Fast alle Bundesbürger messen dem Umweltschutz eine überragende Bedeutung zu (siehe Umfrage rechts), bei der praktischen Umsetzung in die kleine Münze des Alltags jedoch sacken die Zustimmungszahlen in den Befragungen rapide ab. Wer gar dem deutschen Auto ans Blech will, lebt politisch gefährlich. Der Aufbruch in das ökologische Zeitalter hatte eher subversiv begonnen. Am Ende der sechziger Jahre bildete sich durch Bücher wie Rachel Carsons „Der stumme Frühling” oder wissenschaftliche Analysen wie Paul Ehrlichs „Bevölkerungsbombe” oder durch eigene Dritte-Welt-Erfahrungen wie beim damaligen Entwicklungsminister Eppler ein zunächst diffuses Bewusstsein: So können wir nicht weitermachen. Dr. Dieter Rucht, Soziologe am Wissenschaftszentrum Berlin: „Vor 1970 war Umweltschutz überhaupt kein Thema. Dann aber formierten sich die etwas aufgeweckteren Eliten. Umweltschutz etablierte sich als Politikfeld.” Naturschutzvereine streiften ihr Schmetterlingsimage ab und mutierten zu schlagkräftigen Umweltverbänden. 1970 bereits initiierte der agile Staatssekretär im Bundesinnenministerium Dr. Günter Hartkopf das erste Umweltsofortprogramm, ein Jahr später das fortlaufende Umweltprogramm. Es entstand ein bundesflächendeckendes Netz von Umweltministerien. 1972 veranstaltete die Uno ihre erste Umweltkonferenz in Stockholm. Im Vergleich zu den Zeiträumen anderer Politikfelder, so findet der Wissenschaftler Rucht, „ist im Umweltschutz ungeheuer schnell ungeheuer viel passiert”. Der Boden war also bereitet, als 1972 der Club of Rome mit seiner „Provokation: ‚Grenzen des Wachstums‘ ” (Möller) die Bühne betrat. Politologe Rucht: „Zehn Jahre früher hätte Meadows keinen Erfolg gehabt.” Politiker Eppler: „Jetzt hatte endlich mal einer ausgerechnet, was ich schon immer dachte.” Die Missverständnisse blieben nicht aus, Meadows wurde zum Propheten des Untergangs stilisiert. „Das war er natürlich nie und wollte er auch nicht sein”, meint SPD-Vordenker Eppler. „ Meadows hat nur gerechnet und gesagt: Wenn ihr so weitermacht, passiert dies und das – deshalb macht bitte nicht so weiter.” Die nachhaltigen Änderungen „nach Meadows” sieht Dieter Rucht im gewandelten Bewusstsein der Menschen. Die Hochachtung für Umweltthemen zeige sich weltweit und sei – entgegen herkömmlicher Wahrnehmung – stabil. Das Wissen um die Endlichkeit der Erde ist offenbar Allgemeingut geworden. Im Gegensatz dazu sind die aktuellen Änderungen nicht so deutlich fassbar, aber vorhanden. Rucht zählt auf: Die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch gilt als wesentlich. Das Einfrieren der Atomenergie ab Mitte der achtziger Jahre wird positiv bewertet. Der Ausbau der regenerativen Energien sei nicht mehr zu stoppen, meint Rucht, der diese kleinen und indirekten Schritte in die Öko-Welt auf der Haben-Seite bucht, auch wenn sich vieles noch im niederen Prozentbereich bewegt. Solardächer, Wärmedämmung, das Drei- oder gar Ein-Liter-Auto, umweltfreundliche Haushaltsgeräte und die Bereitschaft, sie bevorzugt zu kaufen, Renaturierung von kanalisierten Flüssen, Tier-, Boden- und Gewässerschutz – sie ließe sich fortsetzen, die Liste der Bereiche, in denen sich etwas, etwas mehr oder sogar viel getan hat in den letzten 30 Jahren. Rückfälle bleiben nicht aus. Als größten Minusposten verzeichnen die Umweltschützer die Verkehrspolitik. „Die ist, umweltpolitisch gesehen, ein absoluter Fehlschlag”, konstatiert Rucht. Nachdem die progressiven Ideen des damaligen SPD-Verkehrsministers Georg Leber 1966 (Verminderung des Individualverkehrs, Ausbau von Bahn und öffentlichem Nahverkehr, Verlagerung des Lastverkehrs auf die Schiene) von der „starken und rücksichtslosen Lobby des Güterfernverkehrs” niedergewalzt wurden, hat sich „kein Minister mehr an dieses Thema gewagt”, resümiert Eppler. Individuelle Mobilität ist den Deutschen heilig, und „zu seinem Auto hat der deutsche Mann ein sexuelles Verhältnis, das ist jenseits aller Vernunft”, stöhnt Club-of-Rome-Mann Möller. Selbst bei verdoppeltem Benzinpreis, so prognostiziert der Bericht „Umweltbewusstsein in Deutschland 2000″ , wird „eine massenhafte Abkehr vom Auto und ein Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr nicht stattfinden”. Dazu passt, dass nur sieben Prozent der Befragten die persönliche Gefährdung durch Autoabgase für sehr groß halten. Überhaupt ist die Umweltqualität in Deutschland für 75 Prozent sehr gut und gut; nur in der fernen, weiten Welt sieht es ganz schlimm aus (84 Prozent). Zwar sind zwei Drittel beunruhigt, wenn sie daran denken, unter welchen Umweltverhältnissen die Kinder und Enkel werden leben müssen, aber daran sind natürlich die anderen schuld, denn der größte Teil der Bevölkerung verhält sich wenig umweltgerecht, meinen 65 Prozent. Die Politiker tun sowieso viel zu wenig für den Umweltschutz (67 Prozent), dagegen ist es „für mich Einzelnen” schwierig, viel für die Umwelt zu tun, meint jeder Dritte. Und höhere Steuern für einen verbesserten Umweltschutz lehnen 14 Prozent strikt ab, 13 Prozent wären dazu sehr bereit. Der Einzelne ist als Konsument einer der drei Akteure bei der Umsetzung von Umweltbewusstsein in Umwelthandeln. „Der aufgeklärte Verbraucher der gesellschaftlichen Eliten”, so Uwe Möller, „weiß, dass man Alternativen zur gegenwärtigen Lebensgestaltung hat.” Wenn er nur 10 Prozent seines Verbrauchs mit nachhaltigen Produkten decken würde, gäbe das „einen Durchbruch für die grünen Märkte”. Das ist bislang nicht passiert, die Gutverdienenden sind hier nicht gerade Vorbild. Der zweite Akteur im Spiel um die Zukunft der Erde sind die Unternehmer. Laut Möller haben viele Firmenführer begriffen, dass „die schmutzigen Märkte von heute nicht die Märkte von morgen sind”. Doch müsse der Konsument eben die umweltfreundlichen Produkte, etwa das Drei-Liter-Auto, auch kaufen. Zudem: Die Industriemanager sind heute weitgehend abhängig von jenen 30000 Fondsmanagern, die die Finanzmärkte steuern – die müssen vom langfristigen Nutzen nachhaltigen Wirtschaftens überzeugt werden. Als Dritter im Bunde fungieren die Politiker. Sie agieren, laut Möller, „im härtesten Markt, den es heute gibt”. Kurzfristige Erfolge für Mehrheiten sind wichtiger als ein langer Atem. Der aber wäre nötig, denn die Zukunft der Menschheit entscheidet sich im Süden der Welt, wo 80 Prozent der Erdbevölkerung lebt. Club-of-Rome-Sprecher Möller: „Wenn es nicht gelingt, die wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt voranzubringen, also die Armut zu überwinden, werden wir keine Sicherheit haben.” Deshalb sei Wirtschaftswachstum in der Entwicklungswelt notwendig, „doch müssen dort die ökonomischen Abläufe um den Faktor 10 de-materialisiert werden”, so Möller (siehe auch das folgende Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker). Möller bleibt verhalten optimistisch: „Die Probleme der Welt werden irgendwie gelöst werden.” Dazu sieht er zwei Wege: „Der Mensch lernt entweder durch Einsicht – oder durch Nackenschläge.”

Michael Zick

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