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Schneebälle aus dem All

Allgemein

Schneebälle aus dem All
Steht die Erde unter Beschuß von Mini-Kometen? In jeder Minute – so behauptet ein amerikanischer Forscher – wird unser Planet von bis zu 30 kosmischen Schneebällen getroffen, jeder von der Größe eines Einfamilienhauses. Stammt sämtliches Wasser auf der Erde von diesen Kometen – und haben sie sogar die Entstehung des Lebens ermöglicht?

Seit Jahren sieht sich Louis Frank einer geballten Abwehrfront des wissenschaftlichen Establishments gegenüber. „Wissenschaftlichen Vandalismus“ nennt der Forscher die Methoden seiner Fachkollegen, mit denen es ihnen fast gelang, seine Karriere zu zerstören. Im letzten Jahr schien es, als könnte er, dank neuer Beobachtungen mit dem Satelliten Polar, die Kritiker endlich von seiner umstrittenen These vom beständigen Einfall wasserhaltiger Mini-Kometen in die Erdatmosphäre überzeugen. Doch schon nach kurzer Pause ging der Streit mit unverminderter Heftigkeit weiter.

Die Geschichte dieser Auseinandersetzung begann im Jahre 1981 mit dem Start des Satelliten Dynamics Explorer. Louis Frank, schon damals ein weltweit anerkannter Weltraumexperte, heute Professor für Physik an der University of Iowa, betreute mehrere Instrumente an Bord des Satelliten, darunter eine Ultraviolett-Kamera, mit der er Polarlichter und die im UV-Licht strahlende Hochatmosphäre („Dayglow“) untersuchen wollte. Die Aufnahmen erfüllten seine Erwartungen voll und ganz.

Ein kleines Ärgernis allerdings gab es: Auf den Bildern tauchten häufig schwarze Punkte auf, gerade ein Bildelement („Pixel“) groß. Weder Louis Frank noch seine Kollegen schenkten ihnen zunächst groß Beachtung. Offensichtlich waren es Bildfehler, elektronisches Rauschen – oder vielleicht doch Spuren von echten Objekten?

Im Sommer 1982 begann der Student John Sigwarth bei Frank zu arbeiten. Mit Hilfe eines automatischen Bildauswerteverfahrens sollte er sogenannte Dichtewellen in der Atmosphäre nachweisen, die häufig zusammen mit Polarlichtern auftreten. Doch zu Sigwarths Verzweiflung scheiterte das Computerprogramm immer wieder an den vermeintlichen Bildfehlern. Entnervt setzte Frank den Studenten schließlich darauf an, die Ursache der Störungen zu finden. Meßgeräte, Datenübertragung und Analyseprogramme wurden peinlich genau untersucht – ohne Erfolg.

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Da hatte Sigwarth die rettende Idee: Er ließ die Kamera einen kleinen Ausschnitt der Atmosphäre in rascher Abfolge wieder und wieder abtasten – und siehe da, die Punkte tauchten stets, langsam schwächer werdend, auf mehreren einander folgenden Aufnahmen auf. Und sie verschoben sich dabei. Es waren also keineswegs Bildfehler, sondern völlig korrekte Meßwerte. „Atmosphärische Löcher“ taufte Frank das rätselhafte Phänomen.

Offenbar gab es dort in den obersten Schichten der Atmosphäre irgend etwas, das die UV-Strahlung in jeweils etwa 50 Kilometer großen Gebieten absorbierte. Die einzige Substanz, die als Absorber in Frage kam, war Wasser. Es mußte sich also um große Wolken aus Wasserdampf handeln. Woher aber, so fragten sich die beiden Forscher verwirrt, kommt dieses Wasser?

Im Frühjahr 1986 veröffentlichte Louis Frank seine Daten samt einer Erklärung des Phänomens in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters: Die Erde wird, so folgerte Frank aus seinen Beobachtungen, beständig von kosmischen Schneebällen bombardiert, kleinen Minikometen, jeder von ihnen rund 40 Tonnen schwer – und zwar in ungeheurer Zahl: 30000 jeden Tag, 10000000 Millionen pro Jahr!

Der Herausgeber der Zeitschrift, Alex Dessler, hatte Franks Artikel trotz ablehnender Stimmen zweier Gutachter publiziert. „Wenn Frank mit seinen Wasserträgern aus dem All recht hat“, kommentierte einer der Fachgutachter entrüstet, „dann müssen wir die Hälfte aller Bücher in den geophysikalischen Fachbibliotheken verbrennen.“ Doch Dessler wollte seiner Zeitschrift ein neues, provokantes Profil geben – was ihm auch gelang: Franks Arbeiten lösten einen Sturm der Kritik aus.

Wenn auf die Erde Minikometen in gigantischer Zahl herabregnen – so eines der Hauptargumente der Kritiker -, dann muß auch der Mond von diesen Objekten getroffen werden. Warum also registrieren die von den Apollo-Astronauten auf dem Mond zurückgelassenen Seismographen keine derartigen Einschläge?

Besonders die Geophysiker schüttelten den Kopf. Erdgeschichtlich sollen die Minikometen genug Wasser auf unseren Planeten gebracht haben, um alle Ozeane zu füllen – dieses neue Szenario stand völlig im Gegensatz zur Lehrmeinung, nach der das irdische Wasser vor allem aus dem Erdinneren stammt.

Doch es blieb nicht bei diesen – ja durchaus berechtigten – Einwänden. Zusehends wurde die Kritik persönlicher. Franks Gegner begannen sogar, seine wissenschaftliche Arbeit zu torpedieren. Hatte Louis Frank bislang überaus erfolgreich etliche Instrumente auf Satelliten und Raumsonden untergebracht – auf Polar, Galileo und Geotail etwa -, so bekam er nun nicht einen Projektvorschlag mehr bewilligt.

Auf Fachtagungen wurde er von ehemals befreundeten Kollegen geschnitten. Die renommierte Fachzeitschrift Nature lehnte eine weitere Arbeit von ihm über die kleinen Kometen mit der Begründung ab, eine „repräsentative Umfrage“ unter Experten sei mehrheitlich gegen ihn ausgefallen.

Zu seinem Glück hatte Frank bereits vor Beginn der Auseinandersetzung eine UV-Kamera für den damals noch in Planung befindlichen Satelliten Polar bewilligt bekommen. Ein paar unscheinbare Änderungen – hier ein weiteres Filter, dort eine Verringerung des instrumentellen Rauschens – machten das Instrument, das eigentlich der Untersuchung von Polarlichtern gewidmet war, auch für die Beobachtung der umstrittenen „atmosphärischen Löcher“ tauglich.

Schon die ersten Aufnahmen der UV-Kamera nach dem Start von Polar im Februar 1996 zeigten deutlich die dunklen Flecken in der Hochatmosphäre. Doch diesmal waren es, dank der verbesserten Bildauflösung, nicht nur einzelne Pixel, sondern jeweils 20 bis 30. Selbst die hartnäckigsten Zweifler mußten nun eingestehen, daß Bildfehler als Erklärung ausschieden. Serienaufnahmen demonstrierten darüber hinaus die langsame Ausbreitung der Dampfwolken und ihre Bewegung.

Im Mai 1997, auf einer Fachtagung der American Geophysical Union (AGU) in Baltimore, trug Louis Frank seine neuen Daten vor. Und er setzte noch eins drauf: Es war ihm gelungen, mit seiner Polar-Kamera die Leuchtspuren der zerfallenden kosmischen Schneebälle vor ihrem Eintritt in die Lufthülle aufzuzeichnen.

Die Kritiker verstummten. Sollte Frank doch recht haben? „Die Polar-Ergebnisse zeigen eindeutig, daß wasserhaltige Objekte in die Erdatmosphäre eindringen“, gestand Thomas Donahue von der University of Michigan, weltweit einer der führenden Atmosphärenforscher und von Anfang an einer der schärfsten Kritiker Franks.

Doch damit war der Streit keineswegs beendet. Im Dezember präsentierte ein anderes Mitglied des Polar-Teams, George Parks von der University of Washington, eine Analyse von Aufnahmen mit dem schmalbandigen UV-Imager des Satelliten. Auch auf diesen Bildern waren dunkle „Löcher“ zu erkennen – doch nicht bei Bildern von der Atmosphäre, sondern bereits auf Testaufnahmen, die im Labor, lange vor dem Start gemacht worden waren.

Auf der nächsten Tagung der AGU im Dezember in San Francisco prallten die Meinungen erneut aufeinander. Louis Frank wütete: sein Kollege Parks sei unfähig, instrumentelles Rauschen von realen Effekten zu unterscheiden. Auch Frank präsentierte neue Daten, die zeigten, daß die scheinbare Ausdehnung der Löcher mit der Flughöhe der Satelliten abnahm – wie es aus perspektivischen Gründen für ein atmosphärisches Phänomen zu erwarten, bei instrumentalen Artefakten aber unmöglich ist.

Während für die Auseinandersetzung über die Minikometen also vorerst kein Ende in Sicht ist, denkt Frank bereits einen Schritt weiter: Gemeinsam mit Donahue hat er bei der NASA einen Projektvorschlag für eine spezielle Raumsonde eingereicht, die sich die „Schneebälle“ aus der Nähe anschauen und ihre chemische Zusammensetzung analysieren soll.

Der nächste Schritt wäre dann die Entnahme einer Materialprobe – ein wissenschaftliches Abenteuer. „Es wäre doch möglich“, sinniert Frank, „daß diese Objekte organische Materie enthalten – und so die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten gefördert haben.“

Infos im Internet

Klein-Kometen: http://www.smallcomets.physics.uiowa.edu

Rainer Kayser

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