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Die Riesenröhre vom Atzenhof

Technik|Digitales

Die Riesenröhre vom Atzenhof
In Fürth steht der größte Computertomograf der Welt. Er durchleuchtet ganze Autos und Container.

Eine uralte Mikrowelle, eine verstaubte Kaffeemaschine, eine Waschmaschine mit Schrammen, ein verbeultes Fahrrad und jede Menge weitere Möbel, Geräte und Altmetall – der Inhalt des schwarzen Seefrachtcontainers ist eindeutig reif für den Sperrmüll. Bevor das Gerümpel den Weg alles Irdischen geht, muss es allerdings eine letzte Mission im Dienste der Wissenschaft absolvieren: Es wird durchleuchtet – und zwar im größten Computertomografen der Welt.

Der steht seit wenigen Wochen auf dem neuen Campus des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS in Fürth-Atzenhof. Draußen vor dem Gebäude werden gerade Bäume gepflanzt. Drinnen pinseln die Handwerker die Wände weiß, damit bei der Einweihung der Halle durch den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer alles tipptopp aussieht. Bis dahin wird der riesige Apparat mithilfe des üppig gefüllten Containers getestet.

Projektstart als One-Man-Show

Schon die ersten Bilder zeigen winzige Details aus der Mikrowelle oder aus dem Innenleben der Wachmaschine. 0,8 Millimeter beträgt die Auflösung, 0,4 Millimeter sind anvisiert – und machbar. „Man hat uns ausgelacht, als wir mit dem Projekt begonnen haben”, sagt Randolf Hanke, Leiter des Fraunhofer Entwicklungszentrums für Röntgentechnik (EZRT) am IIS und Inhaber des Lehrstuhls für Röntgenmikroskopie an der Würzburger Julius-Maximilians-Univer-sität. „Inzwischen lacht niemand mehr.”

Begonnen hatte das Labor 1989 in Erlangen als One-Man-Show mit dem damaligen Diplomanden Hanke. Der sollte eine Röntgen- anlage aufbauen, um Gussteile zu durchleuchten. Das gelang – und bei Autofelgen aus Aluminium ist die Röntgeninspektion heute Standard. In den 1990er-Jahren entwickelte die stetig wachsende Arbeitsgruppe dann Apparate, um Lötverbindungen auf Elektronikplatinen zu kontrollieren, die etwa bei einem Unfall für das Auslösen des Airbags sorgen sollten. Doch schon bald war klar, dass die Industrie 3D-Verfahren braucht, mit denen sich Materialfehler nicht nur in einer Art Schattenwurf, sondern dreidimensional aus beliebiger Perspektive betrachten lassen. Heute beschäftigen sich am Atzenhof 90 Mitarbeiter mit dieser Technik, eine weitere Vergrößerung des Teams in den nächsten Jahren ist geplant.

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Blick durch dicke Metallplatten

Der neue Computertomograf in Fürth ist der Gipfel der Entwicklung der letzten 25 Jahre. Er schaut durch die Blechwand des Containers und durch zentimeterdicke Metallplatten hindurch in jeden millimeterkleinen Winkel des Gerümpels. In den nächsten Monaten sollen hier einmal Prototypen von Autos auf dem Drehteller stehen. Die Hersteller wollen diese vermessen, um die Übereinstimmung zwischen dem realen Auto und den digitalen Konstruktionsdaten zu bestimmen. Außerdem können die Konstrukteure so besser sehen, wo freier Raum übrig ist, in den man weitere Aggregate einbauen kann.

Der Test mit dem Container dient dabei keineswegs nur zur Justierung. Laut US-Gesetz müssen ab 2014 alle Container, die mit Schiffen, Flugzeugen und LKWs in die USA kommen, durchleuchtet werden. Wie das technisch gelingen soll, war bisher unklar. Eine Anlage wie in Fürth könnte das Problem lösen, denn sie macht extrem feine Einzelheiten sichtbar – zum Beispiel Details von gefährlichen Objekten oder Schmuggelware. Außerdem ist die Anlage relativ schnell: Schon nach wenigen Minuten würden die verantwortlichen Behörden brauchbare Bilder erhalten.

Hankes Team arbeitet auch an etwas kleineren, dafür aber mobilen Computertomografen. Die sollen künftig dort aufgestellt werden, wo nicht transportable Bauteile inspiziert werden müssen, etwa bei der Produktion von Windturbinen. Oder an Produktionsstraßen, wo die Qualitätskontrolle im Takt des Fließbands erfolgen muss. Das ist möglich, wie ein Pilotprojekt beim Stuttgarter Kolbenhersteller Mahle zeigt: In 25 Sekunden liefert ein Computertomograf des Fraunhofer EZRT ein dreidimensionales Bild aus dem Kolben, das winzige Materialfehler sichtbar macht. Bei der alten zweidimensionalen Röntgenmethode wurden die Teile bei verdächtigen Schatten im Bild lieber wieder eingeschmolzen. Der neue Apparat erkennt dagegen, ob ein Fehler wirklich kritisch ist und reduziert so den Ausschuss. Besser noch: Die Aufnahme lässt Rückschlüsse auf die Fehlerursache zu, und die Produktion kann sofort gegensteuern.

nicht NUR die Grösse zählt

Größe ist nicht alles – das Fraunhofer EZRT baut auch den kleinsten portablen Computertomografen der Welt. Er sieht aus wie ein Mini-Backofen mit einer Glasscheibe, hinter der eine Halterung zu erkennen ist. Dort werden biologische Proben oder kleine Kunststoffteile mit einer Auflösung von 0,030 Millimeter (30 Mikrometer) durchleuchtet. Das ist für viele Anwendungen noch zu grob, und deshalb geht der Trend zu Nano-Computertomografen, die eine Auflösung von weniger als einen Mikrometer (1000 Nanometer) haben. „Aber eigentlich spricht man von Nanotechnologie erst unterhalb von 100 Nanometern”, sagt Hanke. Und da hat das Fraunhofer EZRT ein heißes Eisen im Feuer.

Studenten und Doktoranden am Lehrstuhl von Hanke in Würzburg tüfteln an einem Apparat mit einer Auflösung deutlich unter 100 Nanometern. Das Team hat ein Elektronenmikroskop zu einer Röntgenröhre umgebaut, die einen extrem kleinen Brennfleck liefert. Zum Verständnis: In einer Röntgenröhre treffen elektrische Ladungsträger mit Wucht auf ein Metall, das dadurch Röntgenlicht aussendet. Weil der Brennfleck eben ein Fleck ist und kein Punkt, ist auch das Bild des Objekts unscharf – genau wie man mit einem Autoscheinwerfer keinen Stecknadelkopf scharf beleuchten kann. Die Lösung: Die Würzburger Physiker schießen die Ladungsträger, die hier aus dem Elektronenmikroskop zweckentfremdet werden, seitlich auf eine dünne Nadel. Dadurch tritt aus der Nadelspitze Röntgenlicht aus – mit einem Brennfleck von etwa 50 Nanometern. Noch ist das Forschung, doch mit dieser Auflösung könnte man zum Beispiel beobachten, wie Wasser in Holzfasern geleitet wird. Biologen in Neuseeland nutzen die neue Methode schon, um den Wassertransport in Pinien zu untersuchen.

Bislang analysierten Forscher biologische Proben und neue Materialien in Synchrotronen – riesigen experimentellen Anlagen, die ein sehr intensives Röntgenlicht erzeugen. Doch solche Einrichtungen sind rar. Deutsche Wissenschaftler etwa müssen eigens nach Berlin oder Grenoble fahren, um ein Synchrotron nutzen zu können, und dort lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

verschnupftE Chinesen

Das Röntgen-Know-How in Würzburg und Fürth sorgt nicht immer für Begeisterung. Einmal hat es sogar zu politischen Verstimmungen zwischen Deutschland und China geführt. Das war 2007. Teile der berühmten Terrakotta-Armee vor dem Mausoleum des ersten chinesischen Kaisers Qin Shihuangdi aus dem dritten Jahrhundert vor Christus waren auf einer Ausstellung in Leipzig zu sehen. Die Fraunhofer-Forscher durften einige Statuen im Röntgenlicht untersuchen. Dabei erwiesen sich etliche der Terrakotta-Soldaten als so stark restauriert und verändert, dass Experten kaum noch von Originalen sprechen wollten – eine Nachricht, die die chinesischen Partner nicht akzeptieren wollten. Auch Kunstfälscher leiden unter den Röntgenbildern, weil diese aufdecken können, wenn angeblich alte Möbel oder Musikinstrumente mit Methoden des 20. Jahrhunderts hergestellt wurden. Denn Lötnähte oder Verleimungen unterscheiden sich je nach Epoche, was man mit dem bloßen Auge nicht in jedem Fall erkennen kann.

Die Einweihung des neuen Röntgenlabors in Fürth-Atzenhof ist erst der Startschuss für den Bau eines noch größeren Computertomografen. Er soll in einigen Jahren dort errichtet werden, wo jetzt der schwarze Container mit dem Sperrmüll auf dem Drehteller steht. Derzeit dreht der Teller den Container – oder andere Messobjekte wie Autos oder Flugzeugteile –, während eine zwei Tonnen schwere Röntgenquelle mit einem Linearbeschleuniger auf der einen Seite und ein vier Meter langer Röntgen- detektor auf der anderen Seite zwischen Boden und Decke hin und her fahren. Durch die Drehung des Objekts und das zeilenweise Aufnehmen entstehen Schichtbilder, die der Computer zu einem dreidimensionalen Bild verrechnet.

Bagger in die Röhre

Wer schon einmal in einer Computertomografie-Röhre gelegen hat, weiß, dass sich dort nicht der Patient dreht, sondern Röhre und Detektor versteckt in einem ringförmigen Gehäuse rotieren. Genau so, nur viel größer, soll auch die künftige Anlage arbeiten. Auf einem zehn Meter hohen Ring werden sich Röhre und Detektor um noch größere Objekte drehen, zum Beispiel um Bagger oder Windturbinen. Wie die schwere Röntgenquelle präzise bewegt und außerdem noch gekühlt werden soll, ist noch nicht geklärt. Eine Wasserkühlung wie in der jetzigen Anlage ist jedenfalls nicht möglich.

Fest steht aber schon der Name des rotierenden Riesenrings, verrät Michael Böhnel, der Koordinator des Messlabors: „Wir nennen ihn ,Star Gate‘ – wie das Sternentor aus einer gleichnamigen TV-Sendung.” Wer dort hindurchgeht, betritt die Zukunft. ■

Bernd Müller ist ist Wissenschafts- und Technikjournalist in Bonn. Er konnte den riesigen Computertomografen von Fürth schon vor der offiziellen Eröffnung besichtigen. Begleitet hat ihn dabei Kurt Fuchs, Fotograf und Fotodesigner aus Erlangen.

von Bernd Müller (Text) und Kurt Fuchs (Fotos)

Kompakt

· Der Super-Tomograf liefert Bilder mit o,8 Millimeter Auflösung.

· Solche Anlagen könnten bald bei der Zollkontrolle zum Einsatz kommen.

· Eine Miniröhre blickt in die Nanowelt.

Röntgen auf dem Drehtisch

Beim neuen Riesentomografen in Fürther dreht sich das durchleuchtete Objekt im Röntgenlicht. Dieses wird in einem sogenannten Magnetron erzeugt, wo Elektronen-Pakete durch Magnetfelder beschleunigt werden und dabei Strahlung abgeben.

Gut zu wissen: Computertomografie

Bei der Computertomografie (CT) wird der menschliche Körper, eine biologische Probe oder ein technisches Objekt mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Anschließend fangen Detektoren das Röntgenlicht auf und messen, wie viel davon auf dem Weg etwa durch ein menschliches Organ absorbiert wurde. Anders als bei einer normalen Röntgenaufnahme, rotieren die Röntgenquelle und die Detektoren rasch um den Körper, der dadurch aus allen Richtungen bestrahlt wird. Aus der Summe der so erhalten Absorptionsdaten berechnet ein Computerprogramm ein Schnittbild des untersuchten Objekts in der Rotationsebene. Indem die Röntgenquelle mehrfach in leicht versetzten Ebenen um den Körper kreist, lässt sich per Computerscan schließlich eine dreidimensionale Aufnahme erzeugen. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Röntgenbild zeigt eine CT-Aufnahme feinere Details in den Weichteilen des Körpers. Ein Vorteil der Computertomografie gegenüber Magnetresonanzverfahren, bei denen statt Röntgenlicht Magnetfelder genutzt werden, ist die kurze Untersuchungsdauer.

Mehr zum Thema

Internet

Röntgentechnik am Fraunhofer IIS in Fürth: www.iis.fraunhofer.de/de/bf/xrt.html

Röntgenmikroskopie an der Uni Würzburg: www.physik.uni-wuerzburg.de/institute_ einrichtungen/physikalisches_institut/ lehrstuhl_fuer_roentgenmikroskopie/lrm

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