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Was macht eigentlich der Manager Heinz Dürr?

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Was macht eigentlich der Manager Heinz Dürr?
Heinz Dürr, ehemals AEG- und Bahnchef, ist 80 Jahre alt geworden. Sein Motto: Tätig und nützlich sein bis zum letzten Tag.

Es ist ein schöner Morgen, ein wolkenloser Himmel. Ich warte an der Universität Stuttgart auf Heinz Dürr. Der Mann, den viele als ehemaligen „Bahnchef“ und Leiter des einstigen Elektrokonzerns AEG kennen, kommt aus Berlin. Dort wohnt er mit seiner Frau Heide. Und dort befindet sich auch das Büro der Stiftung, die er zusammen mit seiner Frau gegründet hat. Sein Engagement ist ungebremst – trotz des 80. Geburtstags am 16. Juli.

Er kommt mit Verspätung vom Flughafen. Heinz Dürr – hochgewachsen, schlank, mit grauen Haaren und dunklem Anzug – erzählt mir auf unserem kurzen Fußweg von einem fiktiven Gespräch mit Cato, dem Älteren. Der römische Staatsmann, der vor über 2000 Jahren starb, philosophierte oft über das Älterwerden – ein Thema, mit dem sich auch Heinz Dürr in seinem Buch „Über das Alter“ auseinandergesetzt hat. Als er es schrieb, war er 78 Jahre alt. Da habe ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Gedanke getroffen: Du bist nicht mehr 40 und kannst dir nicht mehr alle Aufgaben der Welt zutrauen.

Nach dem Abitur in Stuttgart, einer Lehre als Stahlbauschlosser und drei Jahren Maschinenbaustudium, traute Dürr sich viel zu: Er wurde technischer Leiter und Geschäftsführer der väterlichen mittelständischen Anlagen- und Maschinen-baufirma. Mitte der 1970er-Jahre wurde er dann Vorsitzender des Verbands der Metallindustrie von Baden-Württemberg. In Deutschland kriselte es – wirtschaftlich, politisch, sozial. Dürr bewältigte harte Tarifrunden mit Streik und Aussperrung. Doch das Tischtuch zwischen ihm und den Gewerkschaften blieb heil. 1980 wurde er dann Chef der faktisch bankrotten AEG. Dürr, der Mittelständler aus Württemberg, brachte den Großkonzern so weit, dass ihn die Daimler Benz AG erwarb. Der Manager saß nun im Daimler-Vorstand.

Schließlich kam 1990 der größte Brocken: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl fragte Dürr, ob er die Bundesbahn sanieren wolle. Der Staatsbetrieb war mit seinen Milliardenschulden zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Staatsfinanzen geworden. Dürr sagte zu. Im Zuge der Wiedervereinigung übernahm er auch noch die Deutsche Reichsbahn und wurde Chef von rund einer halben Million Eisenbahnern. Bei seiner Bahnreform entstand 1994 die privatrechtlich organisierte Deutsche Bahn AG. Der Bund übernahm die immensen Altschulden, ermöglichte so Neustart und „Kulturrevolution“: Aus „ Beförderungsfällen“, sagt Dürr, wurden Kunden.

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Eine erstaunliche Karriere für einen mittelständischen Unternehmer. Er hat viele Chef-Hüte getragen – Chef von Dürr und AEG, Bahnchef, Daimler-Vorstand, Vorsitzender von Aufsichtsräten und Stiftungen. Nun, mit 80, steht er einer weiteren Einrichtung vor: Er ist Vorsitzender des Beirats des EEP. Das Institut für Energieeffizienz in der Produktion wurde im Herbst 2012 an der Universität Stuttgart gegründet. Die Mittel, eine halbe Million Euro pro Jahr, stellen die „Heinz und Heide Dürr Stiftung“ und die „Karl Schlecht Stiftung“ bereit.

Im Konferenzraum ist alles gut vorbereitet für die Sitzung: große Namensschilder, Leinwand, Kaffee, Getränke, Brezeln. Die haben es Dürr angetan. „Wenn der Beirat kommt“, sagt er, „gibt es immer Butterbrezeln.“ Jörg Mandel, der Abteilungsleiter, und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter warten bereits. Dürr genießt die Runde. Mit dem Gestus des Vorsitzenden nimmt er die Diskussion in die Hand: „Also, was habt ihr herausgefunden?“ Die EEP-Mitarbeiter haben zusammengetragen, was Forscher über Energieeffizienz in Deutschland wissen. Für diese Metastudie haben sie 250 Einzelstudien ausgewertet.

Eine echte Fleißarbeit – viele Diagramme, Tabellen, Zahlen. Doch Dürr ist unzufrieden. „Die 250 Studien waren notwendig“, sagt er. „Aber sie bringen es nicht auf den Punkt.“ Er sorgt sich darum, wie man Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert: deutliche Maßstäbe, dramatische Kurvenverläufe, große Bilder, prägnante, „kampagnenfähige“ Aussagen. „Könnt ihr das?“, fragt er beschwörend. So kennt man Dürr: ein Motivator und Optimist, der komplizierte Vorgänge auf einfache Botschaften reduziert.

Dürr will mehr sein als nur Geldgeber für das Institut. Er „ netzwerkt“, befindet sich ständig in politischen Diskussionen, besucht Veranstaltungen, redet mit einflussreichen Leuten. Seine Botschaft: „Wir kriegen die Energiewende nur hin, wenn die Energieeffizienz gesteigert wird.“ Ihm gefällt die Zusammenfassung der Präsentation mit der Aussage: „Nach jetzigem Stand der Technik und aktuellen Rahmenbedingungen werden die Energieziele verfehlt.“ Das müsse man Umweltminister Altmaier vorhalten. Dürr weist gerne darauf hin, dass von den 30 Gigawatt Wind- und 30 Gigawatt Solarenergie, die in Deutschland installiert sind, oft nur wenige Prozent verfügbar seien. Das trägt ihm Kritik ein. So warf ihm der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer von den Grünen, vor, er sei einer von der „ alten Industrie“ und gegen „neue Energien“.

Abschließend erläutert Jörg Mandel die weitere Arbeit des EEP: Man plant den Aufbau einer Datenbank und eine Buchreihe zur Energieeffizienz. Außerdem möchte man einen Energieeffizienzindex entwickeln, der, vergleichbar mit dem IFO-Konjunkturindex, regelmäßig über den Stand der Effizienzbemühungen informiert. Diese Idee imponiert dem Beiratsvorsitzenden. Der Index scheint ihm „griffig“ genug zu sein. „Ihr seid auf dem richtigen Weg“, lautet Dürrs Fazit.

Zum Schluss kommt der Direktor des EEP dazu, Thomas Bauernhansl. Dürr und er ziehen sich für ein paar Minuten zurück. Dann brechen wir auf, zum nächsten Termin – und plaudern ein wenig.

Das Thema Energieeffizienz liegt Ihnen sehr am Herzen, Herr Dürr. Ihr Engagement geht über die bloße Finanzierung des Instituts hinaus.

Absolut. Energieeffizienz ist eine wichtige Aufgabe, und auf meine alten Tage möchte ich da noch etwas bewegen. Derzeit dreht sich aber alles um das Angebot, also um die Erzeugung von Strom, und nicht um die Nachfrage, was ja Energieeffizienz bedeutet.

Die Bundesregierung hat Energiesparziele formuliert. Bis 2020 soll der Energieverbrauch um 20 Prozent sinken. Andere reden von noch höheren Einsparungen.

Greenpeace meint, man könne 85 Prozent der Weltenergieversorgung bis 2050 aus erneuerbaren Quellen bestreiten. Das setzt voraus, dass der Verbrauch drastisch eingeschränkt wird. Natürlich muss man Ziele setzen. Aber sie brechen sich herunter auf viele Tausend Einzelmaßnahmen. Als wir hier beim Dürr neu gebaut haben, war es unser Ziel, 30 Prozent weniger Energie pro Arbeitsplatz als im alten Gebäude zu verbrauchen. Das haben wir längst erreicht.

Die Umstellung auf erneuerbare Energie heißt, dass man ein vorhandenes effizientes Energiesystem durch ein ineffizienteres ersetzt. Frisst das die höhere Energieeffizienz nicht wieder auf?

Erneuerbare Energie wird schon effizient hergestellt, wenn auch mit hohem Aufwand. Sind die Anlagen einmal installiert, gibt es die Energie praktisch umsonst. Überhaupt nicht gelöst ist die Frage, wie man diese Energie verteilt, ebenso wenig wie das Problem der Volatilität, des stark schwankenden Anfalls der erneuerbaren Energien.

Energieeffizienz bedeutet, dass man mit weniger Energie einen größeren Nutzen erzielt. Doch das Resultat sind größere Kühlschränke und bequemere Autos und ein insgesamt steigender Energieverbrauch. Das ist der sogenannte Rebound-Effekt. Wie wollen Sie das regeln?

Umdenken. Aber Sie haben schon Recht: Seit Autos billiger hergestellt werden, verkauft man weltweit betrachtet auch mehr davon. Ich bin pragmatisch. In den Haushalten kann man den Rebound-Effekt berücksichtigen, in der Produktion nicht. Dort müssen die Kosten minimiert werden. Im Luxusbereich könnte man einiges vielleicht durch Gesetze regeln. Doch derzeit gilt: Wer in Deutschland erneuerbare Energie macht, verdient einen Haufen Geld.

Was bedeutet Energieeffizienz für die Industrie?

Gegenfrage: Können wir uns bestimmte Industrien überhaupt noch leisten, wenn die Energiepreise aufgrund des derzeitigen EEG immer weiter steigen? BMW verbaut in den USA hergestellte Kohlefasern, weil die Kilowattstunde Strom dort 2 Cent, hier bei uns dagegen 15 Cent kostet. Die Aluminiumindustrie denkt daran, Deutschland zu verlassen. Die BASF baut ein neues Werk in den USA, weil Erdgas dort billig ist. Deutschland ist ein Industriestandort. Auf billige Energie angewiesene Industriebereiche dürfen wir deshalb nicht aufgeben.

Unser Ziel ist das Kinderzentrum St. Josef in Stuttgart-Ostheim. Wir sind spät dran. Der ortskundige Fahrer nimmt ein paar Abkürzungen. Dürr fingert ein Zigarillo aus der Tasche, betrachtet es unschlüssig und steckt es zurück. Die Stiftung, sagt er, unterstütze St. Josef seit 2007 dabei, das aus England stammende Konzept „Early Excellence“ umzusetzen. Es geht dabei nicht um frühkindliches Leistungstraining. Jedes Kind, so die Idee, ist mit seinen individuellen Stärken und Interessen exzellent. Erziehung entwickelt und fördert diese Exzellenz. Wichtig dabei: Eltern und Pädagogen arbeiten eng zusammen. In Deutschland wurde dieser Ansatz erstmals in Berlin umgesetzt, gefördert von der Dürr’schen Stiftung. Inzwischen wird er bundesweit praktiziert. Die Stiftung hat dafür bislang fast drei Millionen Euro gezahlt.

Im Familienzentrum der Tagesstätte erwarten uns Michael Leibinger, Geschäftsführer von St. Josef, und Stefanie Entzmann, Leiterin der dortigen Kindertagesstätte. Aus Berlin ist Isa Baumgarten angereist, die Geschäftsführerin der Stiftung. Wir sind in einer freundlichen Welt: frische Blumen auf dem Tisch, Säfte und Wasser, angenehme Farben. Die Atmosphäre färbt ab: Dürr ist locker, entspannt, fragt nach dem Stand der Dinge. Vier Kitas mit 250 Kindern gibt es im Zentrum, in ganz Stuttgart betreut St. Josef etwa 700 Kinder. Die Stiftung finanziert die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften nach Early Excellence und den Aufbau von Familienzentren. „Wie leben unsere Kinder sozial?“, möchte der Stifter wissen. Drei Viertel, berichtet Leibinger, stammen aus Einwandererfamilien. Man habe 42 Nationalitäten. Eltern und Kinder aus verschiedenen Schichten und mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund zusammenzubringen, sei ein wichtiger Punkt.

St. Josef weitet das Konzept nun auf weitere Einrichtungen aus. Auch das wird die Dürr-Stiftung unterstützen. Dürr unterzeichnet dafür einen Vertrag. Dann geht es zu einem kurzen Rundgang durch die anliegenden Häuser, in denen die Kitas untergebracht sind. Die Kinder sind beim Mittagessen, schauen mit großen Augen auf den hereinbrechenden Trupp. Für Fotos setzt sich Dürr auf ein Sofa, umringt von Kindern, ein Kind sitzt auf seinem Schoß. Er scherzt und lacht. Er kann gut mit Kindern.

13:30 Uhr – der Besuch bei den Kindern ist zu Ende. Nach einen Mittagsimbiss soll es „zum Dürr“ nach Bietigheim-Bissingen gehen. Doch es gibt ein Problem mit einer angelsächsischen Aktionärsgruppe. Und das muss der Aufsichtsratsvorsitzende vor der Aktionärsversammlung erst einmal klären – ohne Beobachter von der Presse. Zusammen mit Isa Baumgarten geht es mit dem Taxi in die nördlich von Stuttgart gelegene 40 000-Einwohner-Stadt, vorbei am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt. Da ist man automatisch beim Thema „Stuttgart 21″. Die Grundidee: Man mache aus dem vorhandenen Kopfbahnhof einen Durchgangsbahnhof, lege alles unter die Erde, demontiere die nun überflüssige riesige Gleisanlage und erhalte viel Platz für die innerstädtische Entwicklung. Dürr stellte die Idee Mitte der 1990er-Jahre vor und stieß damals auf große Zustimmung beim Stuttgarter Oberbürgermeister sowie in der Landes- und Bundespolitik, berichtet Isa Baumgarten. Warum die Kosten heute so aus dem Ruder gelaufen seien, sagt mir Dürr später, könne er nicht beurteilen. Auf Kritik stieß auch ein weiteres Zukunftsprojekt aus Dürrs Bahnzeiten: die Magnetbahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg, Fahrtzeit: 50 Minuten. Hamburg wäre ein Vorort von Berlin geworden und umgekehrt. Kritiker bemängelten die hohen Kosten. Politiker der Grünen stießen sich daran, dass die „Stelzenbahn“ die Landschaft verschandeln würde.

Doch das Gespräch führt uns wieder zu Dürrs sozialem Engagement.

Was hat Sie dazu bewogen, mit der „Heinz und Heide Dürr Stiftung“ Erziehungsprojekte zu fördern?

Die Persönlichkeit des Menschen wird vor allem zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr geprägt. Für diesen Lebensabschnitt wird bei uns zu wenig getan. Unser Land investiert lieber in Schulbildung und Universitäten als in Kindergärten. Diesem Mangel wollen wir mit unseren Early-Excellence-Projekten abhelfen.

Die Dürr-Stiftung bringt Kinder in die Oper und fördert Theaterprojekte. Was bedeutet Ihnen Kultur?

Theater ist mein Hobby. Theater ist Arbeit an der Gesellschaft. In Deutschland gibt es über 100 Stadttheater und über 200 freie Theater. Dort kann man nicht nur Schiller oder Tschechow spielen. Wir brauchen neue Stücke, und das fördern wir.

Das Hin und Her um Stuttgart 21 muss Ihnen als ehemaligem Stuttgarter und „Bundesbahner“ doch sehr nahe gehen.

Es geht dabei ja um viel mehr als einen Bahnhof: Stuttgart erhält praktisch einen neuen Stadtteil. 40 000 Menschen haben sich das Projekt damals im Rathaus angesehen, kaum einer war dagegen. Der spätere Widerstand war politisch motiviert. Die Grünen haben die Chance gesehen, sich zu profilieren.

Sie haben sich als Bahnchef auch für eine Magnetbahnstrecke von Hamburg nach Berlin stark gemacht. Warum ist nichts daraus geworden?

Ich habe das Projekt zusammen mit dem damaligen Verkehrsminister Matthias Wissmann forciert. Mit der Bundesregierung haben wir eine Vereinbarung über die Finanzierung geschlossen. Das Projekt rechnete sich zwar nicht besonders gut. Doch wir waren dafür, weil es sich um eine fortgeschrittene Technologie handelte. Mit einer Referenzstrecke hätte man sie verkaufen können. Mein Nachfolger bei der Bahn, Johannes Ludewig, und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder haben das Projekt gekippt. Das ist bedauerlich, denn die Technologie ist in Ordnung.

Bietigheim-Bissingen ist eine der wohlhabendsten Städte Deutschlands, seit 2004 ist sie schuldenfrei. Man sieht der Stadt an, dass es ihr gut geht, ebenso wie der Dürr AG. Die Firma hat viel gebaut und baut immer noch: Montagehallen, ein architektonisch beeindruckendes Verwaltungsgebäude – drei rechteckige Gebäude mit Innenhof, verzahnt durch ein hohes, helles Atrium. Hier tritt der Besucher ein, nachdem er ein hohes gläsernes Tor durchschritten hat. Die Architektur soll Offenheit, Transparenz und Klarheit ausdrücken. Folgerichtig spricht man beim Dürr nicht mehr vom Werksgelände, sondern vom „Dürr-Campus“ .

Betriebsrundgang. Heinz Dürr, von den Mitarbeitern „HD“ genannt, ist mit dabei. Wir betreten eine große Halle mit Reihen von Robotern. Sie tragen einen langen Rüssel mit einem Lackzerstäuber am Ende. Die Firma entwickelt und baut Anlagen vor allem für die Automobilindustrie. Bei Lackieranlagen ist sie Weltmarktführer. Beim Kunden werden die Roboter paarweise in abgeschlossenen Lackierkabinen – auch von Dürr entwickelt – platziert, dazwischen steht die zu lackierende Karosserie. Lackiert wird innen und außen, Miniroboter öffnen die Türen.

Die Halle ist hell, der Boden glänzt, alles ist fast klinisch sauber. Kein Putzlappen, kein Werkzeug liegt herum. Ruhig ist es auch. Man ahnt, warum die Zeitschrift Focus die Firma Anfang 2013 zu einem der besten Arbeitgeber Deutschlands kürte. An verschiedenen Stellen der Roboterreihen sind Gruppen von drei oder vier Leuten tätig. „Sie sind Kunden“, erklärt Vertriebsleiter Salvador Vergara. „Sie richten die Roboter ein, bevor sie in ihrem Betrieb aufgebaut werden.“ Eine Gruppe kommt aus den tschechischen Skoda-Werken, eine andere aus Brasilien. HD scherzt mit den Leuten.

Dürr ist eine globale Firma. Die meisten Aufträge kommen aus Schwellenländern wie China oder Brasilien. Von den weltweit 7600 Mitarbeitern arbeitet etwa die Hälfte in Deutschland. Shanghai ist mit 1600 Mitarbeitern inzwischen der zweitgrößte Standort. Auch dort wird gefertigt und in andere Länder exportiert. „ Allerdings einfachere Anlagen, etwa zum Auswuchten“, sagt HD. Jeder Dürr-Roboter, der irgendwo auf der Welt steht, kommt aus Bietigheim.

Leitmotiv des Unternehmens: Jede Innovation muss die Produktion beim Kunden messbar effizienter machen. Messbar heißt: Kosten senken. Dafür steckte die Firma im vergangenen Jahr 40 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. Höhere Effizienz beginnt im Detail. Für die Roboter haben die Ingenieure einen neuen Farbwechsler entwickelt, der in zehn Sekunden auf eine andere Farbe umsteigt – bei deutlich geringerem Lackverlust. Eine neue Lackierkabine spart bis zu 60 Prozent an Energie und Wasser. Zum Gesamtprogramm gehören auch Trockenanlagen mit Abluftreinigung und Wärmerückgewinnung. Sie verringern die Emissionen um 90 und den Energiebedarf um 80 Prozent. Die Kosten sinken um zwei Drittel.

Nach dem Rundgang folgt ein Treffen mit dem Vorstand der Dürr AG. Dann setzen wir uns in ein Besprechungszimmer. HD kommt endlich zu seinem Zigarillo – und stellt sich einem weiteren Interview.

Man sagt Ihnen eine mittelständische Denkweise nach. Wodurch zeichnet sich die aus?

Dass es sich um eine personale Führung handelt, nicht um eine technokratische. In einer mittelständischen Firma ist der Chef der Inhaber. Er kennt seine Leute und redet mit ihnen. Er weiß, was jeder macht und wie er es macht. Ich bin kein Konzernmann. Das ist meine Stärke. Bei der Bahn habe ich gesagt: Wir sind eigentlich ein mittelständischer Betrieb. Jeder Bahnhof ist ein Betrieb für sich, wo sich der Vorsteher um seine Leute kümmert.

Worin sehen Sie die Aufgaben eines Unternehmens?

Ein Unternehmen ist eine gesellschaftliche Veranstaltung. Es soll ordentliche Produkte liefern, die gebraucht werden. Es soll sich um die Menschen im Unternehmen kümmern, die die Produkte erzeugen, und dafür sorgen, dass die Menschen, die dem Unternehmen Geld geben, eine ordentliche Rendite erhalten.

Der Gewinn kommt ganz zuletzt?

Der Sinn eines Unternehmens ist nicht nur, Gewinn zu machen. Gewinn muss sein, sonst wird das Unternehmen asozial und fällt jemandem zur Last. Auch Dürr macht Gewinn. Nur so bleiben wir selbstständig. Aber nicht Gewinn um des Gewinns willen, wie im amerikanischen System. Das ist kurzfristiges Denken. Ein Mittelständler denkt langfristig.

In Ihrer Autobiografie beschreiben Sie die Lage beim Sanierungsfall AEG sehr drastisch. Die Firma gehörte praktisch den Banken. Wie konnte das passieren?

Falsche Führung. Hohe Schulden. Falsche Strategie. Die AEG hatte immer erstklassige Technik: den ersten Mikroprozessor, Farbfernseher, moderne Stromrichter, Hochspannungstechnik. Die AEG hatte alles, konnte es aber nicht richtig am Markt umsetzen. Der Kunde stand nicht im Vordergrund, so wie hier beim Dürr. Hier überlegt man, was der Kunde will, wie man ihm helfen kann, seine Kosten zu senken, weniger Energie und Material zu verbrauchen.

26. April 2013: Die Hauptversammlung der Dürr AG findet in der Firma statt, Beginn: 11 Uhr. Vorher tagte noch der Aufsichtsrat. Heinz Dürr ist mit seiner Frau Heide, einer Psychologin, und zwei seiner drei Töchter da: Alexandra und Nicole. Alexandra Dürr, Neurogenetikerin in Paris, sitzt seit 2006 im Aufsichtsrat, führt die Familientradition weiter. Ein paar Minuten sind noch Zeit. HD geht hinaus, raucht. Er wirkt nachdenklich. Zum 24. Mal wird er als Aufsichtsratsvorsitzender eine Hauptversammlung leiten. Es ist das letzte Mal. Mit 80 tritt Dürr vom Vorsitz zurück. Eine Ära geht zu Ende, wird gleich ein Redner sagen.

Dürr begrüßt alle. Er verkündet, was jeder schon weiß, seinen Rücktritt, und dass der Aufsichtsrat „in seiner Weisheit“ ihn zum Ehrenvorsitzenden ernannt habe. Er begrüßt ein neues Mitglied im Rat, kündigt ihm eine „gute Zusammenarbeit“ an und freut sich, dass mit Klaus Eberhardt, seinem Nachfolger als Vorsitzendem, „ ein weiterer Schwabe“ ins Gremium einzieht.

Die Aktionäre freuen sich über eine hohe Ausschüttung, denn der Firma geht es gut. 2012 sei ein Rekordjahr gewesen, berichtet der Vorstandsvorsitzende Ralf Dieter: 2,4 Milliarden Euro Umsatz – ein Viertel mehr als im Vorjahr. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern sei sogar um zwei Drittel auf 177 Millionen Euro gestiegen, der höchste Wert der Firmengeschichte. Die Familie Dürr hält über 25 Prozent Anteil am Unternehmen.

Dürr eilt routiniert durch die Tagesordnung. Dann schließt er die Versammlung, eine Abschiedsrede hält er nicht. Es folgt ein Empfang für ausgewählte Gäste, mit Maultaschen, Linsen und Spätzle. Dürr ist zwar international, aber auch bodenständig. Das gilt für beide: Firma und Mensch.

Eine letzte Frage: Fällt der Abschied schwer? „Nach 105 Aufsichtssitzungen reicht es nun“, sagt Heinz Dürr. „Mir geht es fast wie Papst Benedikt XVI, der gesagt haben soll: Ich mag nicht mehr.“ Ruheständler ist HD allerdings nicht. Jüngst hat man ihm in Washington einen Preis verliehen – für die Gründung und Förderung des EEP. Wie ist das nun mit dem Alter, Herr Dürr? Wir müssen uns selbst beschäftigen, nützlich sein, wenn wir Glück haben, hat er von Cato gelernt. Bis zum letzten Tag. ■

HEINZ HOREIS, Wissenschaftsjournalist mit Sitz zwischen Mosel, Rhein und Nahe, wohnte davor ein Jahrzehnt im „Ländle“, mit dem er sich nach wie vor verbunden fühlt. Er hat Heinz Dürr einen Tag lang begleitet – genau wie der Stuttgarter Lifestyle-, Porträt-, Industrie- und Wissenschaftsfotograf Wolfram Scheible, der den Manager ins Bild setzte.

von Heinz Horeis (Text) und Wolfram Scheible (Fotos)

Kompakt

· Heinz Dürr hat Unternehmergeschichte geschrieben, etwa mit der Sanierung der Traditionsfirma AEG und der Reform der Deutschen Bahn.

· Mit der „Heinz und Heide Dürr Stiftung“ fördert er die Energieeffizienz in der Produktion – genau wie frühkind- liche Erziehung und Theaterprojekte.

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