Der Psychologe unterscheidet zwei Arten des Denkens: das schnelle und das langsame System 1 und System 2. Während System 1 fortwährend Eindrücke, Gefühle, Intuitionen und Absichten erzeugt, übernimmt System 2 das bewusste und anstrengende Überlegen. Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, arbeitet meistens nur System 1. Komplexe Fragen, wie die nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, ersetzt es durch leichtere, etwa Wie fühle ich mich gerade?. Statt Wahrscheinlichkeiten zu analysieren, vertraut es darauf, wie schnell uns etwas einfällt: Wenn wir Bilder von terroristischen Anschlägen leicht abrufen können, erscheinen uns solche Attacken wahrscheinlich.
Vieles wird so mancher stirnrunzelnd lesen. Welcher Börsenexperte lässt sich schon gerne sagen, dass seine Prognosen nichts taugen und er einer Kompetenzillusion aufsitzt? Und: Die meisten Menschen eilen anderen nicht spontan zu Hilfe. Sie meinen, das gilt nicht für Sie? Dann sind Sie dem nächsten Denkfehler zum Opfer gefallen. Denn statistische Befunde, die uns nicht gefallen, beziehen wir prinzipiell nicht auf uns. Indem Kahneman den Leser so immer wieder in Fallen tappen lässt, macht er ihn skeptisch gegenüber dem eigenen Denken. Für die unangenehmen Einsichten entschädigt er mit Ratschlägen, etwa wie man besser darin wird, eine Entwicklung vorauszusehen.
Viele Befunde stammen aus Kahnemans eigener Forschung. Oft beschreibt er, wie sie in sorgfältiger und mühsamer Arbeit entstanden sind. So penibel, wie er als Psychologe forscht, so penibel schreibt er auch. Bei fast jedem Effekt erläutert er, wann jener nicht auftritt. Diese exakte Darstellung geht bisweilen auf Kosten des Lesegenusses. Doch wer bereit ist, das Buch mithilfe seines Systems 2 durchzuarbeiten, geht danach wacher durch die Welt.
Hanna Drimalla