Sollte eine Frau mit 40 Jahren ohne Anlass an einer Reihenuntersuchung zur Diagnose von Brustkrebs teilnehmen, ein Mann von 50 sich routinemäßig auf Prostatakrebs untersuchen lassen? Vom Nutzen solcher Reihenuntersuchungen („Screenings“) wird oft gesprochen, von falsch positiven Befunden ist seltener die Rede. Dabei kann ein Fehlalarm tragische Folgen haben.
Um ein positives Testergebnis richtig bewerten zu können, muss man rechnen. Wenn zum Beispiel
o die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung insgesamt bei 0,8 Prozent liegt,
– ferner die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer vorliegenden Erkrankung der Befund positiv ist, 90 Prozent beträgt,
– jedoch auch bei 7 Prozent der Gesunden der Test positiv ausfällt,
dann verstehen die meisten Patienten nur noch „Bahnhof“. Schlimmer noch: Die Ärzte wissen es auch nicht besser. Wozu braucht ein Chirurg schon Mathematik?
Er braucht sie, doch in einer etwas anderen Form. Statt mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert Gigerenzer mit „natürlichen Häufigkeiten“. Die Übersetzung des obigen Beispiels liest sich dann so: Von jeweils 1000 Personen einer bestimmten Gruppe sind 8 krank. Von diesen 8 Personen haben 7 ein positives Testergebnis, aber das bekommen auch 70 von den 992 Gesunden. Von den 77 Personen, die einen positiven Befund bekommen, sind also nur 7 tatsächlich krank.
In diesem Licht betrachtet wird klar: Entscheidungen, die Ärzte und Patienten treffen, finden nicht als Wahl zwischen „Sicherheit“ und „Risiko“ statt, sondern nur zwischen „Risiko A“ und „Risiko B“. Ähnlich liegen die Dinge in der Rechtsprechung, wenn es darum geht, einen Indizienprozess zu führen oder Gewalttäter aus der Haft zu entlassen. Überall dort, wo mit Ängsten buchstäblich „gerechnet“ wird, ist das richtige Verständnis statistischer Information dringend notwendig.
Gigerenzer, Psychologe und Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, hilft mit dem „Einmaleins der Skepsis“, den Zahlensalat der Informationsgesellschaft besser zu verstehen. Eine Jury aus elf Wissenschaftsjournalisten hat dieses Buch gerade mit dem Preis „Wissenschaftsbuch des Jahres“ ausgezeichnet.
Barbara Messing ist promovierte Mathematikerin und arbeitet als Dozentin für „Künstliche Intelligenz“.