Sollte man nicht stutzig werden, wenn ein moderner Physiker wie Stephen Hawking Visionen vom drohenden Ende der Menschheit entwirft? Keine 1000 Jahre mehr werde sie überleben, und Rettung verheiße allein die Emigration auf ferne Planeten. Wohlgemerkt: Eine Vision, die er vor dem 11. September 2001 hatte.
Das Mittelalter war voll von solchen Prophezeiungen. Aber kaum ein Forscher wollte bisher sehen, dass moderne Naturwissenschaft und frühe Endzeitvorstellungen eng miteinander zusammenhängen. Was der Historiker Fried hier unternimmt, besticht. Quellengestützt und souverän belegt er, dass der Westen kollektiv apokalyptisch denkt. Sogar Symbole auf der Dollarnote unterstreichen den Bezug von Wall Street und Neuer Ordnung, der die Apokalypse vorausgeht: etwa das einem Dreieck eingeschriebene Auge Gottes, das Symbol für die Trinität.
In der Erwartung des Untergangs, der dann doch nie erfolgte, und vor allem des darauf folgenden Paradieses, wollten die Menschen vor tausend Jahren das Ungewisse genauer kennen. Und so versuchten sie, die Zeichen am Himmel zu deuten, die Welt zu berechnen, zu erkunden und zu gestalten.
Wenn dies, wie Fried überzeugt ist, der Ursprung der modernen Wissenschaft war, dann ist der Aufstieg des Westens über den Orient durch dieses Denken gefördert worden. Im Orient endet dagegen alle zur Moderne führende Wissenschaft abrupt im Mittelalter. Auch wenn Fried nur Denkanstöße geben will: Die Vorstellung beunruhigt, dass die sich so rational gebende Wissenschaft im Westen (Ethik und Soziologie eingeschlossen) auf die Lehren vom Endgericht zurückgeführt werden könnte.
Prof. Michael Dallapiazza